XVI

130 13 12
                                    

Es ist ein seltsames Gefühl, auf etwas zu schießen, das sich bewegt. Und auch wenn es nur Attrappen sind, die Arkyn für mich in die Luft pfeffert, empfinde ich zuerst so etwas wie Mitleid. Vor allem zu Beginn fühle ich mich schlecht, wenn die Spitze meines Messers die Tiere durchbohrt, aber nach einer Zeit legt man dieses Gefühl ab und schießt einfach.
Inzwischen konnte ich schon einige Male treffen, aber meistens verfehle ich mein Ziel trotzdem.
Arkyn hält inne, bückt sich und hebt die Attrappen auf, die über dem feuchten Erdboden verteilt liegen. „Ich glaube zur nächsten Jagd kannst du mitkommen", meint er und verstaut die Tiere in seinem Rucksack.
„Meinst du wirklich?", frage ich mit aufgeregter Stimme. „Wann findet die nächste Jagd statt?"
Arkyn blickt auf und seine dunklen Augen treffen meine. „Wir gehen immer sonntags, dienstags und donnerstags jagen. Also ist die nächste Jagd am Sonntag."
„Dann habe ich ja noch drei Tage zum Üben", seufze ich erleichtert. Meine Trefferquote beim Werfen ist immer noch nicht sonderlich hoch, aber wenn ich die nächsten Tage noch ordentlich übe, werde ich mich am Sonntag vermutlich nicht ganz blamieren.
„Ich soll dir von der Königin ausrichten, dass du am Abend Zutritt zum Versammlungsraum bekommst, um die Drei Bücher zu studieren. Sie will, dass du dich über den Schattenwald informierst. Den Schlüssel zur Kiste wird dir heute noch irgendjemand vorbeibringen", erzählt Arkyn, während er die Messer verstaut und wir langsam zurück Richtung Schloss zu joggen beginnen.
Die einzige Antwort, die Arkyn von mir bekommt, ist ein Keuchen, als ich über einen umgefallenen Baumstamm hinwegspringe. Meine Kondition bessert sich tagtäglich; das Training beginnt mir langsam zu gefallen. Beim Laufen kann man einfach die Gedanken abschalten und sich nur auf den eigenen Herzschlag konzentrieren. Irgendwann fliegt man lautlos über den unebenen Boden hinweg und könnte ewig so weitermachen.

Als wir über das feuchte Gras Richtung Schloss joggen, müde vom anstrengenden Training, ist es schon düster. Nur die Konturen des Anwesens und die Obstbäume neben dem Feld kann ich in der Ferne ausmachen.
Arkyn und ich schweigen, nur das Krächzen einer Krähe unterbricht die nächtliche Stille.
Als wir uns jedoch dem Kiesweg nähern, erkenne ich eine kleine Menschentraube, die sich vor dem Tor versammelt hat. Man hört leises Gemurmel und das Knirschen des Kieses unter ihren Fußsohlen.
Ich werfe Arkyn einen fragenden Blick zu, er bleibt zögernd stehen und beobachtet die Menschen. Schlitternd finde ich neben ihm Halt und klammere mich kurz an seiner Jacke fest, um im nassen Gras nicht auszurutschen. Er versichert sich, dass ich sicher stehe, lässt die Menschenmenge aber nicht aus den Augen.
„Was ist da los?" frage ich, meine Stimme ist ganz kratzig und mein Mund staubtrocken. Arkyn runzelt die Stirn und wir nähern uns den Gestaltenwandlern, die sich in einem kleinen Halbkreis um das Eingangstor versammelt haben. „Ich weiß nicht genau", meint er, aber in seinem Gesicht erkenne ich, dass er lügt.
„Warte hier, ich sehe kurz nach", krächzt Arkyn und wirft mir einen schnellen Blick zu. Empört schnappe ich nach Luft.
„Ich komme mit", beschließe ich sofort und auch wenn er nicht gerade begeistert aussieht, widerspricht er mir nicht, als ich mich an seine Fersen hefte.

Die immer größer werdende Menschenmenge, die sich nun in einigem Abstand zum Tor versammelt hat, versperrt mir die Sicht, aber ich glaube, einen Blick auf Königin Zinariya zu erhaschen.
„Was ist denn hier los?", wispere ich Arkyn zu, dessen Augen sich verdüstern.
„Wenn es das ist, was ich denke, dann bin ich mir ziemlich sicher, dass du es nicht wissen willst."
Ich ziehe einen Schmollmund. Was kann da schon los sein? Eine Prügelei? Wieso tut Arkyn immer so geheimnisvoll?
„Ich guck mir das jetzt an", bestimme ich und schiebe ein paar Ellbogen zur Seite, wodurch ich finstere Blicke ernte.
„Clarice!", schimpft Arkyn leise, aber meine Neugier gilt den Menschen. Ein neuer Gestaltenwandler, schießt es mir durch den Kopf, aber mein Verdacht wird nicht bestätigt.
Nach einer gefühlten Ewigkeit habe ich mir endlich einen Weg durch die Menge gebahnt und stehe jetzt in der zweiten Reihe.
Mein Blick fällt als Erstes auf die Königin in einem nachtblauen Kleid mit breitem Rock und hochgeschlossenem Kragen. Weil sie bereits mitten in einer Rede ist, habe ich keinen blassen Schimmer, worum es geht.
Auch wenn ich immer noch nicht verstehe, was eigentlich los sit, verraten mir die Mienen der anderen Gestaltenwandler, dass es sich nicht gerade um eine Geburtstagsparty handelt.
„Ach, hier bist du", höre ich ein erleichtertes Seufzen hinter mir und Arkyn drängt sich neben mich, was ihm ein ärgerliches Brummen einiger Gestaltenwandler einbringt.
„Erklär mir bitte, was hier passiert", wispere ich, aber er blickt starr nach vorne und lässt sich nicht beirren.

SchattenmächteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt