„Diese Mädchen hat es sich verdient, in den Rat aufgenommen zu werden."
Arkyns Stimme hallt von den Wänden wider. Er ist vom Stuhl aufgesprungen, die Fäuste geballt und den Blick stur auf die anderen Gestaltenwandler gerichtet. Ich merke wie ein paar Mitglieder seinem fordernden Blick ausweichen, als könnte das etwas an Arkyns Meinung ändern. Wenn für ihn etwas feststeht, dann steht es fest.
„Sie ist noch nicht lange hier. Wir wissen nicht viel von ihr und ihren Kräften." Jetzt spricht Frau Hakennase und seltsamerweise stimmt ihr Herr Wal, mit dem sie sich sonst immer in die Haare kriegt, zu. „Das ist richtig, sie muss sich erst beweisen."
„Clarice hat mein verdammtes Leben dort draußen gerettet; das ist wohl Beweis genug", braust Arkyn auf. „Erinnert sich noch jemand daran, wie schnell ich aufgenommen wurde? Wieso kann ihr das nicht auch vergönnt werden?"
Königin Zinariya, die bis jetzt schweigend auf ihrem Stuhl saß und die angeregte Diskussion schweigend verfolgt hat, erhebt sich.
„Setz dich hin Arkyn", befiehlt sie, bevor sie fortfährt.
Gegen die Königin hat Arkyn keine Chance und er lässt sich seufzend auf den Stuhl fallen.
Als mein Blick auf den langen Kratzer auf seiner Wange fällt, zieht sich mein Magen schmerzhaft zusammen. Unser erster Ausflug in den Schattenwald wäre beinahe tödlich ausgegangen, doch trotzdem besteht die Königin darauf, die Exkursionen nicht abzubrechen.
Arkyn hat zugestimmt, unter der Bedingung, dass ich in den Rat aufgenommen werde.
Königin Zinariya erhebt die Stimme und reißt mich aus meinen Gedanken.„Arkyn hat Recht. Clarice hat äußerst starke Fähigkeiten, sie ist klug und lernt schnell. Im Schattenwald hat sie, soweit ich das laut Arkyns Schilderungen beurteilen kann, ihren Mut bewiesen. Ich wüsste nicht, was gegen ihre Aufnahme sprechen würde."
Ich bin erstaunt. Normalerweise ist die Königin keine Frau des großen Lobes und dass sie sich jetzt so für mich einsetzt, verwundert mich. „Trotzdem stimmen wir ab", bestimmt sie und nimmt wieder Platz.
Auf einmal liegen alle Augen der Ratsmitglieder auf mir. Ich komme mir vor wie eine Zirkusattraktion, die vors Publikum geführt wird. Mein Blick flackert zu Arkyn und er nickt mir zu.
„Wer ist dafür, dass Clarice in den Rat aufgenommen wird?", fragt die Königin. Kurz ist es still, nichts tut sich. Doch dann hebt Arkyn die Hand. Selbstsicher streckt er sie in die Höhe und ich seufze erleichtert. Wenigstens eine Stimme.
Niemand rührt sich. Die eisblauen Augen der Königin treffen meine und das Herz rutscht mir vor Erleichterung in die Hose, als sie die Hand hebt. Ein paar weitere Ratsmitglieder folgen ihrem Beispiel. So auch die junge Frau, die Arkyn gegenübersitzt. Ein verschmitztes Lächeln ziert ihr schmales Gesicht und sie zwinkert mir kurz zu.
Ich versuche zu zählen, wie viele die Hand heben, doch bevor ich fertig bin, fährt die Königin auch schon fort.
„Wer ist dagegen?"
Frau Hakennase und Herr Wal heben als erstes die Hände. Sie mit einem verkniffenen Lächeln, er mit regloser Mimik. Etwa fünf weitere Gestaltenwandler tun es ihnen gleich.
„Wir sind zwanzig Ratsmitglieder. Dreizehn stimmen dafür, sieben dagegen. Das ist eine eindeutige Entscheidung", sagt die Königin; ich weiß nicht, ob sie mit der Entscheidung zufrieden ist oder nicht.
„Clarice, du wirst morgen Abend in den Rat aufgenommen. Um Punkt Mitternacht beginnt die Zeremonie."~~~~
Arkyn stützt lässig seinen Arm auf das untere Ende des Treppengeländers, seine Augen mustern mich ohne Scheu. Ich sitze auf den Stufen, die Knie angezogen und mit den Armen umschlungen. Mitglied im Rat, denke ich, ich habe es geschafft.
Es fühlt sich gut an, endlich mein Ziel erreicht zu haben, doch trotzdem spüre ich einen beklemmenden Kloß in meinem Hals. Ich kann nicht sagen, wieso.
„Du hättest dich nicht so für mich einsetzen müssen", bedanke ich mich schließlich.
Arkyn Mundwinkel heben sich leicht, aber er scheint mit Gedanken woanders zu sein.
„Dafür sind Freunde doch da."
„Wie läuft diese Zeremonie eigentlich ab?"
„Um Mitternacht entzünden wir Kerzen, singen das mystische Lied der Gestaltenwandler und du musst einen Schwur ablegen", beginnt er, „Ach ja, und ein Schluck aus einem Kelch gefüllt mit Blut gehört auch noch dazu."
Erst als Arkyn zu lachen beginnt, verstehe ich, dass es ein Witz war.
„Du hättest dein Gesicht sehen sollen", prustet er und ich verdrehe die Augen.
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Schattenmächte
FantasyClarice fiebert ihrem sechzehnten Geburtstag seit Wochen entgegen und nun ist es endlich soweit: Sie soll erfahren, welche Gabe sie besitzt. Als sie von der Königin zur Gabenenthüllung in den Palast gebeten wird, kommt jedoch alles anders als erwart...