XVIII

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Es ist leichter, Personen zu verzeihen, wenn man ihre Taten verstehen kann. Wenn man auch nur ein kleines bisschen nachvollziehen kann, warum sie etwas getan hat.
Aber Arkyn ist erste Klasse im Totschweigen. Er ist eine dieser Personen, mit denen man wunderbar streiten kann, denen man dauernd wüste Beschimpfungen nachrufen möchte und die einen zur Weißglut treiben.
Und er ist einer dieser Personen, die nichts von sich preisgeben. Wie ein verschlossenes Buch, das man versucht aufzubekommen, das einem aber die Finger abbeißt, wenn man es versucht.
Eine gefährliche Mischung.

Ich bin Arkyn den restlichen Tag einige Male über den Weg gelaufen, aber er hat mich nicht beachtet. Als wäre das heute Morgen nie passiert. Er hat weder gegrüßt oder gelächelt, noch wütend ausgesehen und ich habe keine Ahnung, woran ich bei ihm bin.
Als Rancor mit sagt, dass die Königin mich nach dem Abendessen gemeinsam mit Arkyn in ihrem Zimmer erwartet, ist mir klar, dass ich mächtigen Ärger bekommen werde. Ich kann nicht genau sagen, was ich falsch gemacht habe, aber Arkyn findet immer etwas.
Vielleicht die Tatsache, dass ich mich bei der Jagd heute – wieder einmal – als zu tierliebend herausgestellt habe oder dass ich ihn einen blöden Arsch genannt habe. Wahrscheinlich beides.
Beim Abendessen bin ich ganz schweigsam, ich führe keine angeregten Diskussionen mit Xanthio oder schaufle Essen in mich hinein. Stattdessen ignoriere ich die fragenden Blicke meines Sitznachbarns und stochere mit der Gabel auf meinem Teller herum, bis ich Xanthio schließlich meine Portion überlasse.

Nach dem Abendessen mache ich mich mit einem unangenehmen Kloß im Hals auf den Weg zu Königin Zinariyas Turmzimmer. Die Ungewissheit macht mich fertig und ich kann mir noch nicht einmal eine Entschuldigung zurechtlegen, weil ich nicht weiß, was ich überhaupt verbrochen habe. Mit jedem Schritt werde ich ein bisschen schneller, leite meine aufgestaute Energie und Angst über die Füße in den Steinboden. Völlig außer Atem erreiche ich keuchend den dritten Stock. Ich stütze mich ächzend an der Mauer ab und wische mir mit der Handfläche über die Stirn. Bloß keine Panik.
„Hat unser Lauftraining schon angeschlagen oder bist du immer noch ein hoffnungsloser Fall von Unsportlichkeit geballt mit Tollpatschigkeit und einem Hauch Naivität?"
Mir klappt die Kinnlade herunter.

Es ist Arkyn, der sich mit einer Hand an der Wand abstützt, während er sich mit der anderen verwegen die dunklen Locken aus dem Gesicht streicht. Er grinst leicht spöttisch und sieht dabei auch noch gut aus – obwohl ich ihm am liebsten eine reinhauen würde.
„Spinnst du jetzt?", frage ich entgeistert. Meine Stimme kiekst leicht und es ist mir plötzlich furchtbar peinlich, dass ich alle drei Stockwerke hochgerannt bin. Wahrscheinlich bin ich rot wie eine Tomate.
„Nein, ich bin immer noch der Alte", entgegnet Arkyn und fügt hinzu, „Ich dachte mir, ich fang dich hier ab, bevor du dich noch verirrst. Eine Königin lässt man nicht ewig warten."
Ich schnaube auf. Was fällt ihm eigentlich ein?
„Und ein Mädchen lässt man nicht einfach stehen, weil man launisch ist", kontere ich.
Darauf fällt ihm nichts ein. In seinem Blick ist keine Spur von Mitgefühl oder Scham zu erkennen, was meinen Zorn noch einmal aufflammen lässt.
„Kommst du jetzt?", meint Arkyn und ich folge ihm schweigend durch den Gang. Ich gehe neben ihm, aber lasse einen Sicherheitsabstand von einem Meter zwischen uns. Ich bin mir sicher, ob er es bemerkt, aber ich hoffe es zumindest.
„Hier rein", ordnet er an und wir betreten die enge und steile Treppe, die nach oben in das Turmzimmer der Königin führt.
Wieder schweige ich und richte meine Augen nur auf die Stufen. Es geht immerzu bergauf und nach einer Weile dreht sich die Welt um mich herum wie ein Karussell. Endlich ist ein Ende in Sicht. Die Treppe endet in einer Tür, an die Arkyn klopft.
„Wofür muss ich mich entschuldigen? Du könntest so freundlich sein und mir wenigstens das sagen", zische ich ihm zu.
Im selben Moment ertönt ein gebieterisches „Herein!" aus dem Inneren des Raumes und Arkyn runzelt nur fragend die Stirn, bevor er mir die Tür aufhält.

Es ist, als hätte ich einen mystischen Zauberwald betreten. Zinariya hat die Fenster mit flaschengrünen Tüchern verhängt, durch die weiches Abendlicht fällt und die Mauer ist ein einziges Kunstwerk aus naturgetreu gemalten Bäumen und Sträuchern. Sie ragen bis zur Decke hinauf und beinahe kann ich den Wind hören, der durch ihre Blätter fährt und sie zum Tanzen bringt. Das Bett ist der Inbegriff eines Himmelbettes, nur dass die wuchtigen Stäbe, die normalerweise Brokatstoffe tragen, bis zur Zimmerdecke hinaufreichen. Es scheint, als würden die Stäbe die Decke stützen, die dem Himmelszelt gleicht. Die gemalten Sterne scheinen mir von oben zuzuzwinkern.
Mein Blick wandert von dem massiven Bett zu einem runden, dunklen Tisch, dann von der vergilbten Landkarte an der Tür, die Duniya zeigt, zu einem Regal, in dem sich Fläschchen mit giftig aussehenden Flüssigkeiten und verschlossene Boxen stapeln.
„Wow", entfährt es mir und ich streiche mit meinen Fingerspitzen über die Zeichnung der blassrosa Blätter eines Harita-Baumes an der Wand.
„Arkyn hat das gemalt", meint Königin Zinariya und ich nehme reflexartig die Hände von der Mauer, als ich ihre schneidende Stimme vernehme.
Ich werfe Arkyn einen schnellen Blick zu. Er hat die Hände in den Hosentaschen vergraben und blickt stumm zu Boden. Als er merkt, dass er beobachtet wird, hebt er kurz den Kopf und unsere Blicke treffen sich. Auf einmal überkommen mich Zweifel, ob er wirklich zur Königin gegangen ist, um mich anzuschwärzen. Vielleicht weiß er selbst nicht, worum es geht.

SchattenmächteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt