XXV

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Als ich aufwache, bin ich schweißgebadet. Meine Augen sind verklebt, ich versuche sie mit den Händen zu säubern, aber meine Arme sind zu schwach, um sie auch nur einen Zentimeter anzuheben. Stattdessen bleibe ich mit geschlossenen Lidern liegen, fühle eine kühle, weiche Decke unter meinen Händen und höre meinem Herz zu, das gleichmäßig in meiner Brust schlägt. Eins, zwei, drei, vier, zähle ich.
„Clarice? Bist du wach?" Eine dumpfe Stimme dringt an mein Ohr, sie scheint von weit weg zu kommen, auch wenn ich warmen Atem über meinem Gesicht spüre.
Ich rümpfe die Nase als Zeichen, dass ich noch lebe.
Ein starker Arm schiebt sich unter meinen Rücken, im nächsten Moment sitze ich aufrecht im Bett. Jetzt erst bringe ich die Kraft auf, mir über die Augen zu wischen und sie zu öffnen.
Ich erwarte gleißend helles Licht, aber stattdessen ist es dämmrig. Ich weiß sofort, wo ich bin, als ich die aneinander gereihten Betten ausmache. Das Krankenlager.
„Wie fühlst du dich?", fragt mich jemand und ich erkenne Janae, die mich besorgt beäugt.
„Scheiße und du?", krächze ich und lasse mich zurück in das weiche Kopfkissen sinken.
Janae seufzt und lässt sich an der Bettkante nieder, um die Decke glattzustreichen.
„Du warst leicht unterkühlt, aber bist mit ein paar Kratzern und einem ordentlichen Schock davongekommen, Liebling. Ach du meine Güte, weißt du eigentlich wie viel Glück du hattest?" In ihren Augen glitzern feuchte Tränen und sie tätschelt vorsichtig meine Hand, als hätte sie Angst, ich könnte zerbrechen.
„Was ist mit Arkyn?" Meine Stimme überschlägt sich fast, mein Herz schmerzt, während ich hoffe, dass meine Ahnung nicht bestätigt wird. Bitte, lass ihn nicht tot sein, lass ihn nicht tot sein. Janae sieht mich ernst an, bevor sie sich räuspert. Es kommt mir wie eine Ewigkeit vor.
„Er lebt."
Vor lauter Erleichterung werde ich ohnmächtig.

Das zweite Mal werde ich mitten in der Nacht wach. Es ist stockfinster in meinem Zimmer und ich fühle mich so einsam wie schon lange nicht mehr. Langsam krieche ich aus dem warmen Bett und setze mich so auf, dass meine nackten Füße den kalten Boden berühren.
Kurz muss ich mich sammeln und warten, bis die lila Pünktchen vor meinen Augen verschwunden sind. Mir geht es gut, ich bin mit ein paar Kratzern davongekommen, wiederhole ich in Gedanken immer wieder. Um das klitzekleine Problem, dass ich mich in ein Tier verwandeln kann, werde ich mich später kümmern; das kann ich jetzt sowieso nicht ändern.
Arkyn. Ich muss ihn suchen. Ich stemme mich hoch und schleiche von Bett zu Bett, um unter den blassen Gesichtern Arkyns auszumachen. Vergeblich; er scheint nicht hier zu sein. So leise wie möglich husche ich aus dem Zimmer und betrete den Vorraum. Hier brennt eine Kerze, deren Flamme in der Dunkelheit tanzt. Magretta sitzt auf dem Stuhl, hat den Kopf auf den Tisch gelegt und schnarcht leise. Auch für die Krankenpflegerinnen müssen die letzten Stunden der reine Horror gewesen sein.
Mein Blick fällt auf das Krankenbett, das provisorisch im Vorzimmer aufgestellt wurde. Arkyn liegt etwas verloren darin. Er wirkt so leblos und zerbrechlich, dass ich Angst habe, er könnte vielleicht doch nicht mehr leben.
Auf Zehenspitzen, um Magretta nicht zu wecken, schleiche ich zu seinem Bett und lasse mich vorsichtig an der Kante nieder.
Da liegt er vor mir. Die Augenlider geschlossen, seine Haut schimmert im Kerzenlicht blassgolden, seine Lippen sind leicht geöffnet und ich beuge mich darüber, um seinen gleichmäßigen Atem zu hören. Um seine beiden Oberarme hat er weiße Verbände gewickelt. Sie scheinen erst vor Kurzem gewechselt worden zu sein, denn sie wirken noch frisch. Der Rest seines Körpers ist unter der Bettdecke versteckt; doch ich erkenne die Schrammen über seiner rechten Augenbraue und am Hals.
Meine Finger wandern ganz automatisch zu seiner Hand. Ich streiche über seine warmen Handballen, wie meine Mutter es immer tut, wenn ich krank bin.
So sitze ich da und sehe ihn einfach nur an. Die definierte Kinnlinie, die dunklen Haare, die einen Kranz um seinen Kopf bilden, und die dichten Wimpern. Ich sehe, wie seine Lider im Schlaf leicht zucken und er die Nase kräuselt. Hoffentlich plagen ihn keine Albträume, denke ich.

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„Clarice?" Eine Stimme dringt von ganz weit her in mein Gehirn und ich werde aus einem schrecklichen Traum in die genauso schreckliche Realität katapultiert.
Müde öffne ich die Augen. „Clarice, du liegst auf meinem Arm." Es ist Arkyns Stimme und ich richte mich sofort auf. Ich bin wohl eingeschlafen; das Letzte, woran ich mich erinnern kann, ist, dass ich zu ihm geschlichen bin.
„Tut mir leid", murmle ich gähnend. Ich spüre eine sanfte Bewegung an meiner Hand, die immer noch Arkyns hält. „Wie geht es dir?", frage ich besorgt.
Er sieht frischer aus, aber immer noch sehr schwach.
„Hab' mich noch nie besser gefühlt", nuschelt er und bringt sogar ein winziges Lächeln zustande.
„Clarice! Runter von seinem Bett", schimpft Magretta, die jetzt wohl ebenfalls aufgewacht ist. Ein paar lose, graue Haarsträhnen fallen aus ihrem Zopf. „Ich muss die Verbände wechseln. Du kannst Janae draußen helfen, Mädchen."
Ich nicke und torkle durch die Tür nach draußen in die frostige Dezemberluft.

SchattenmächteWo Geschichten leben. Entdecke jetzt