Kapitel 1 - Paris

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Draußen prasselte der Regen ohne Unterlass auf den dunklen Asphalt vor unserem Haus, rhythmisch und dramatisch laut, es raubt mir fast die Konzentration während ich mich schminkte. Zum dritten Mal in den letzten zehn Minuten zog ich meinen Lidstrich mit dem flüssigen, schwarzen Kajal und rutschte wieder ab, meine Hand zitterte einfach zu sehr. Ich fluchte laut auf und blickte in den Spiegel, um mein Werk zu begutachten. Der Strich über meinem linken Auge verlief krumm und schief am Augenlid entlang, ich schaffte es einfach nicht meine Hand still zu halten, die Nervosität vor meinem ersten Schultag nach den langen Sommerferien brachte mich um. Seufzend nahm ich ein weiteres Abschminktuch und wischte den dunklen Strich erneut weg, meine Haut wirkte langsam rot und fühlte sich gereizt an vom vielen abschminken. Mein Blick fiel auf die Uhr, nur noch 20 Minuten und mein Bus würde kommen, also verzichtete ich auf den Lidstrich und schminkte mich so wie ich im Normalfall eh rumlief, dezentes schwarz über den Augen, immer leicht verwischt. Ein letztes Mal kontrollierte ich meinen Anblick im Spiegel, puderte über ein, zwei Stellen ein weiteres Mal rüber und befand es für halbwegs gelungen. Meine Hand fuhr automatisch über meinen Hals, woraufhin ich kurz zusammenzuckte, dann drehte ich mich um und zog eine Strickjacke über.

Eilig griff ich nach meinem Rucksack, ächzte aufgrund des Gewichtes auf und freute mich schon über die Tatsache die Bücher später im Spind unterbringen zu können. Ich nahm immer zwei Treppen auf einmal nach unten, rutschte am Ende fast aus und landete mit einem lauten Rums im Flur unseres Hauses. Niemand fluchte auf, schimpfte mit mir, alle schienen schon weg zu sein. Ein Grinsen legte sich auf meine Lippen und Erleichterung breitete sich in mir aus, ein Grund mehr entspannter in den Tag zu starten. Meinen Rucksack pfefferte ich auf den Hausflur, schlitterte in die Küche und nahm mir einen Apfel vom Obstteller, der sogleich meinem Hunger zum Opfer fiel. Dreimal biss ich geschmackvoll von meinem Apfel ab bevor ich einen weiteren für die Schule einpackte, nahm einen großen Schluck vom Orangensaft, der noch auf dem Tisch stand und zog mir dann meine Schuhe an. Einige Minuten verbrachte ich vor der Garderobe und entschied mich doch wieder für meine heißgeliebte schwarze Lederjacke mit Nieten, ein Kleidungsstück, welches ich in den Ferien ergattern konnte und seitdem zu jedem erdenklichen Anlass anzog und einem weißen Schal. Kurz blickte ich in den Spiegel, nickte zufrieden und sprintete aus dem Haus heraus, um den Bus noch rechtzeitig zu erwischen. Am ersten Schultag zu spät zu kommen wäre nicht cool, deswegen legte ich einen Zahn zu und rannte fast in einen fremden Jungen hinein, der am Ende der Schlange für den Bus anstand. Ich nuschelte eine Entschuldigung, woraufhin er sich umdrehte und etwas knurrte, doch sein Gesichtsausdruck änderte sich sobald er mich erblickte. Er wischte sich seine blonden Haare aus dem Gesicht und offenbarte somit seine stahlblauen Augen die mich durchdringend ansahen, und setzte sein Zahnpastalächeln auf. „Für diesen Rempler schuldest du mir echt einen Kaffee, ich hab meinen zur Hälfte verschüttet!", sagte der fremde Junge. Ich musterte ihn genervt, unterdrückte gerade noch ein Augenrollen und schaute zu seiner Hand, die einen Becher umklammerte. Tatsächlich floss ihm heißer Kaffee an der Hand hinunter und das schlechte Gewissen machte sich in mir breit. Wieso musste mir nur immer so etwas passieren? „Tut mir leid", nuschelte ich, „ich kaufe dir einen Neuen, oder ich gebe dir das Geld. Wie viel bekommst du?" Ich kramte schon in meinem Rucksack nach meinem Geldbeutel, doch seine freie Hand schnellte nach unten und er drückte den Rucksack weg. „Schon gut, lass stecken. Aber du könntest mir trotzdem einen Gefallen tun, da du mich nun schon angerempelt hast. Du fährst anscheinend auch zum Krämer-Gymnasium?", er sah mich fragend an, während wir uns dem Busfahrer näherten und ich meine Fahrkarte rausholte. Wieder fragte ich mich, wieso ausgerechnet mir das passieren musste, ich hasste es mit fremden Leuten zu reden. Zur Antwort brachte ich nicht mehr als ein Nicken hervor, wir stiegen ein, er setzte sich auf einen freien Zweier und ich ging an ihm vorbei, doch ich rechnete nicht damit, dass er sofort wieder aufstand und sich neben mir niederließ. „Also...würdest du mir die Schule zeigen? Wo das Sekretariat ist und sowas... Ich bin übrigens Jonas", ratterte er aufgeregt herunter. Aus den Augenwinkeln starrte ich ihn an, sah wie er sich über seine Bartstoppeln fuhr und bei meinem Blick auf seine Hände sie schnell wieder nach unten gleiten ließ. Waren das Narben an seinen Knöcheln? „Wenn es mehr nicht ist", seufzte ich. Seine Antwort wartete ich nicht ab, sondern griff nach meinen Kopfhörern und steckte den rechten Knopf ins Ohr damit er nicht weiter mit mir reden konnte, doch er gab nicht auf und klopfte auf meine Schulter: „Wie heißt du?"

Midnight Snow - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt