Kapitel 11 - Ich hab es nicht vergessen

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A/W: Triggerwarnung
Gewalt, Nötigung
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„Ich gebe euch diese Zettel hier mit, da steht alles drauf was ihr wissen müsst. Der Überweisungsträger ist ganz hinten angeheftet, denkt bitte auch an die Unterschrift eurer Eltern! Ich freue mich schon riesig darauf und ihr?", Frau Deckerts Locken sprangen auf und ab als sie auf ihren Turnschuhen wippte. Ich konnte meine Augen kaum von ihren Waden nehmen, ihre Muskeln schienen stahlhart zu sein, bei jeder Bewegung spannte sich der Muskel in ihrer Wade an. Mona hielt mir die Zettel entgegen, ich nahm mir einen Stapel und gab sie weiter. Der Gedanke nicht daran teilnehmen zu können schmerzte mir sehr, weshalb ich sie direkt in meiner Tasche verschwinden ließ. Frau Deckert sah mich fragend an, kommentierte es jedoch nicht. „Das wird richtig cool, wie lange bleiben wir dort, Frau Deckert?", fragte Luisa interessiert. „Eine Woche!", eine Woche in der ich Frau Deckert und auch Mona nicht sehen würde. Mittlerweile ist sie mir sehr ans Herz gewachsen. Ich schluckte den Kloß in meinem Hals hinunter und lehnte mich zu Mona hinüber: „Gehst du mit?" Mona sah mich mit großen Augen an: „Aber klar, du natürlich auch! Das wird eine so gute Zeit, Lilly! Eine Woche London, hallo?!" Ich grinste halbherzig und ging in meinem Kopf die Ersparnisse durch, das würde niemals hinhauen und nie im Leben bitte ich Theresa um Geld. „Ich glaube nicht", ich zuckte mit den Schultern und sah wie Monas Mundwinkel nach unten gingen. „Warum?", sie sah wirklich empört darüber aus, immerhin eine Person, die es interessierte, ob ich dabei bin oder nicht. „Ich kann den Stoff in den anderen Fächern einfach nicht verpassen...und mein Vater ist auf Reisen, ich kriege keine Unterschrift", ich sah sie entschuldigend an und hoffte sie würde das Thema fallen lassen. „Frag doch deine Stiefmutter? Die darf das doch auch unterschreiben, oder?", sie wusste von der Heirat meines Vaters und Theresa, aber nichts davon, wie sehr sie mich hasste. „Ich denke sie wird mir das nicht gönnen, sorry", nun wurde auch ich traurig, ich hasste gerade einfach alles und jeden. Jonas der mir heute Morgen wieder einen Kuss aufzwang, Finn der mich wütend und missbilligend ansah, Ben der mir eine Droh-SMS schrieb, weil ich nicht nach Hause gekommen bin und Karla die sauer auf mich ist, weil ich ihr nichts von Jonas und mir erzählt habe. Die Glocke läutete und ich eilte zur Cafeteria, die kleine Pause gab mir nur fünf Minuten Zeit, um einen Kaffee zu besorgen. Mit dem dampfenden Becher machte ich mich zurück auf den Weg zu unserem Raum, aus dem schon alle Schüler verschwunden waren, nur Frau Deckert saß an ihrem Schreibtisch. Mit meiner freien Hand klopfte ich an den Türrahmen und wartete bis sie aufblickte, augenblicklich legte sich ein Lächeln auf ihr sonst so konzentriertes Gesicht. „Ich habe den Kaffee nicht vergessen. Latte Macchiato mit Vanille, mein Lieblingsgetränk", ich legte den Kopf schief und reichte ihr den Becher. Sie nippte vorsichtig daran und grinste: „Ich wusste doch du hast Geschmack, sehr lecker Lilly. Danke! Ich habe kurzzeitig gedacht du hast es vergessen, dann hätte ich dich nachsitzen lassen müssen." Ich strich mir eine Haarsträhne hinters Ohr und zwinkerte ihr zu: „Tollpatschig zu sein bedeutete nicht gleich vergesslich zu sein. Wie könnte ich vergessen Ihnen einen Kaffee zu schulden?" Für einen Moment dachte ich ihre Wangen hätten sich rot gefärbt, doch im nächsten Augenblick war ich mir nicht mehr sicher darüber was ich wirklich gesehen hatte. „Danke, Lilly. Freust du dich schon auf London?", erwartungsvoll sah sie mich an. Vorsichtig lehnte ich mich an den Tisch hinter mir und seufzte auf: „Ich kann leider nicht mitkommen. Mein Vater ist auf Reisen...und ich kann mir nicht leisten den ganzen Stoff zu verpassen!" Gerade als sie etwas erwidern wollte, tauchte Jonas in der Tür auf und streckte sein Hand nach mir aus: „Babe, wir haben Erdkunde, kommst du?" Wüsste ich nicht wie er wirklich ist, hätte ich es süß gefunden, doch so drehte sich alles um mich herum und ich hielt mich kurzzeitig krampfhaft am Tisch fest. Ich sah wie Frau Deckerts Blick von Jonas, zu mir und dann meiner Hand huschte, sie muss es ganz genau gesehen haben. Ich sah wie sie sich selbst versteifte und wegschaute, ich entschuldigte mich und ging auf Jonas zu, der seinen Arm um mich legte. Eins musste ich ihm lassen, seit ich mitspielte, mich nicht mehr wehrte, ging er fast schon liebevoll mit mir um. Er tat mir nicht weh, behandelte mich respektvoll und wie seine Freundin. Die ich ja auch bin, nur eben nicht freiwillig. Gemeinsam gingen wir zu Erdkunde und setzten uns in die letzte Reihe. Simon flüsterte etwas zu Jonas der dreckig grinste und seine Hand auf meinen Oberschenkel legte, ich wollte nicht wissen worüber sie redeten. Unterbewusst zog ich langsam mein Bein fort was Jonas bemerkte, aber nicht kommentierte, nein er bestrafte mich nicht. Die Stunden gingen schneller um als mir lieb war, am Ende des Schultages würde Jonas mich nach Hause bringen und mit Ben reden, da ich es verpasst hatte ihm die Sache mit dem Geld zu verklickern. Mich wunderte es noch immer warum Jonas mich am Morgen nicht darauf angesprochen hatte, warum ich wieder mit Finn gefahren bin, aber ich hinterfragte es lieber nicht. Wie gerne würde ich mich im Supermarkt verkriechen, oder hier in der Schule, doch leider ist das nicht möglich.

Midnight Snow - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt