Kapitel 29 - Globe Theatre

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Ein starkes Rütteln riss mich aus meiner Traumwelt und ich schlug nach dem Störenfried, doch das Wackeln hörte einfach nicht auf. „Aufwachen!", schrie mich plötzlich jemand an. Erschrocken riss ich die Augen auf und blickte in Monas amüsiertes Gesicht. Sie ließ sich zu mir aufs Bett plumpsen und zog eine Augenbraue nach oben: „Wohin bist du gestern verschwunden?" Ich drehte vorsichtig meinen Kopf und suchte das Zimmer nach Fiona ab, doch sie war nirgends zu sehen. „Sie ist bei den Jungs, kannst also ganz offen reden", Mona schien zu ahnen was mich beschäftigte. „Was zur Hölle war das gestern?", fragte ich, anstatt ihr zu antworten, da ich noch keine Antwort für sie parat hatte. Nun lächelte Mona mich unsicher an und kratzte sich am Kopf: „Wenn ich ehrlich bin? Keine Ahnung. Ich glaube keiner im Raum hat damit gerechnet, nicht mal Anna selbst. Sie ist erst hinter dir hergelaufen, aber kurze Zeit später habe ich sie heulend in einer Ecke gesehen. Anna sah echt schlecht aus und hat alle abgewiesen die auf sie zugekommen sind!" Empört zuckte ich mit den Schultern: „Soll ich jetzt mit ihr Mitleid haben? Sie hat mich einfach geküsst! Und das nachdem sie mich vor allen bloßgestellt hat?!" Mona strich mir beruhigend über die Schulter: „Mach dir keinen Kopf, Lilly. Alle waren betrunken, das wird heute kein Thema mehr sein. Und was Anna angeht...vielleicht steht sie auf dich?" Ruckartig richtete ich mich auf und funkelte Mona böse an: „Nein! Kein Wort mehr darüber! Ich geh duschen!" Ich hatte keine Ahnung was mich so an der Thematik reizte, aber zu wissen, dass alle den Kuss gesehen haben machte mich fertig. Was wenn sie mich oder Anna vor Chloe darauf ansprachen? Oder in der Schule? Gerüchte streuten sich so schnell! Aber was, wenn ich mir einfach zu viele Gedanken machte und Mona behielt Recht? Solche Dinge passierten auf Klassenfahrten und interessierten die Meisten nach einiger Zeit nicht mehr. Ich band meine Haare lässig zum Zopf und kletterte an Mona vorbei, die mich im Stillen musterte. „Magst du sie?", fragte sie mich auf einmal während ich mir Klamotten zusammensuchte, die ich anziehen wollte. Ich blieb wie vom Blitz getroffen stehen und drehte mich langsam um: „Nein? Wie kommst du bitte darauf?" „Naja, du reagierst so gereizt...?", Mona sah verlegen zur Seite, ich merkte wie unangenehm ihr die Situation war. „Um Gottes Willen, mich nervt es einfach so nun Aufmerksamkeit auf mich gezogen zu haben. Du weißt genau, dass ich das nicht mag! Und nein, ich mag Anna nicht, nicht auf diese Art und Weise!", ich fletschte die Zähne und schloss das Bad hinter mir ab. Ich hörte Mona noch irgendwas murmeln, dann übertönte das heiße Wasser ihre Stimme. Langsam entledigte ich mich von meinen Klamotten und warf nach Tagen wieder einen Blick in den Spiegel. Mein Körper sah längst nicht mehr so geschunden aus wie am ersten Tag der Reise, doch noch immer konnte man deutlich die Spuren von Ben erkennen. Noch immer bereitete mir der Fleck unter der Brust Sorgen, er tat auch noch immer weh und sah sehr dunkel aus. Seufzend stieg ich unter das dampfende Wasser und ließ mich davon berieseln. Ich öffnete das Zopfgummi und schüttelte die Haare aus, sie fielen mir Kaskadenähnlich über die Schultern.

„Noch Tee?", fragte mich Fiona, die gerade eine dampfende Kanne herumreichte. Nickend hielt ich ihr meine Tasse entgegen und schaute mich über die Köpfe der Anderen hinweg um. Noch keine Spur von Anna und ihren Mädels, auch Chloe fehlte noch. Wo blieb sie nur? Ich hatte noch immer ihren Pulli und wollte ihr diesen unbedingt wiedergeben. Was wenn sie sonst keinen mehr dabeihatte? Endlich entdeckte ich Chloe die mit müdem Blick durch den Frühstücksraum wanderte, geradewegs auf das Buffet zu. „Entschuldigt mich. Ich hole mir noch einen Orangensaft, Mona soll ich dir einen mitbringen?", fragte ich aus Höflichkeit und nahm ihr Glas entgegen. Mit zwei Gläsern in der Hand huschte ich zum Buffet Richtung Getränke, wo auch Chloe gerade stand und sich einen Apfelsaft zapfte. „Hey! Gut geschlafen?", wisperte ich, als ich neben ihr zum Stehen kam. Erschrocken zuckte sie zusammen, doch entspannte sich sofort beim Klang meiner Stimme. „Gott, Lilly. Du hast mich erschrocken!", sie kicherte, hielt sich aber spielerisch die Hand auf ihr Herz. Mein Blick folgte ihrer Hand und blieb an ihrem Ausschnitt hängen, der mehr zeigte als sonst. „Hier oben spielt die Musik!", sagte sie neckisch und lachte unheimlich süß. „Ich habe ausversehen deinen Pulli mitgenommen, soll ich ihn dir gleich geben?", ich versuchte zu unterdrücken wie heiß mir gerade war und es Chloe nicht merken zu lassen welche Wirkung sie auf mich hatte. Aber gerade spielte mein Körper verrückt und ich kannte das einfach nicht von mir. Ich hatte das Gefühl, dass selbst mein Blut kochte, von meinem Gesicht ganz zu schweigen. Chloe goss mir Orangensaft ins Glas und schüttelte den Kopf: „Du kannst ihn behalten. Für die Klassenfahrt, meine ich. Ich hab genug Klamotten mit und bevor du mir erfrierst, kannst du ihn behalten!", murmelte sie mir zu und wurde leiser als Tim sich näherte. „Frau Deckert! Gut sehen Sie aus! Haben Sie gut geschlafen?", er drängte sich einfach zwischen uns und schob mich unauffällig zur Seite, dabei zwinkerte er mir zu. „Jetzt bin ich dran!", raunte er mir zu und drehte sich mit dem Rücken zu mir. Ein wenig fassungslos stand ich dort und musste zusehen wie Tim mit Chloe flirtete. Er flirtete tatsächlich mit seiner Lehrerin, aber ich konnte ihn wohl kaum verurteilen. Ich griff nach meinen Gläsern und eilte zu den Mädels zurück. Auch wenn ich mich an ihren Gesprächen beteiligte, behielt ich meine Augen immer auf Tim und Chloe gerichtet. Die Beiden standen noch immer vor den Getränken und unterhielten sich. Warum und worüber redeten sie so lange? Ich spürte wieder dieses Unwohlsein in meiner Magengrube und der Appetit war mir vergangen. Na super, dabei brauchte ich das Essen wirklich dringend. Wieder zweigte ich einige Brötchen und Nutella ab, ebenso wie Äpfel und Bananen, Mona warf mir einen fragenden Blick zu. „Warum packst du Essen ein? Wir gehen später doch bestimmt in ein Restaurant?", sie beugte sich zu meinem Rucksack und warf einen Blick herein. Scham überkam mich und ich wäre am liebsten im Erdboden versunken: „Ich...ich...mag mittags lieber Brot essen als was Warmes. Bekommt mir nicht so gut!" Ich sah ihr an, dass sie meiner Aussage kaum Glauben schenkte, jedoch stichelte sie nicht weiter sondern trank weiter ihren Tee. Aus den Augenwinkeln vernahm ich Tim, der sich leicht vorlehnte und etwas zu Chloe sagte, welche daraufhin lachte. Ich biss mir auf die Lippe und wollte meine Augen zwingen wegzusehen, doch es ging nicht. Immerhin das wurde mir abgenommen, mein Sichtfeld wurde von einem blonden Mädchen verdeckt. Anna. „Hey...", sagte sie verunsichert und grinste schief. Ihre Mädels saßen auf Stühlen in der hinteren Ecke und warfen uns immer wieder dreckige Blicke zu. Was ging hier ab? „Hi", gab ich tonlos von mir und blickte ihr nicht in die Augen, das brachte ich einfach nicht übers Herz. „Sorry wegen gestern, war betrunken! Hauptsache du denkst jetzt nicht ich sei eine Lesbe oder sowas!", Annas Stimme klang hart und emotionslos, doch in ihren Augen las ich etwas anderes, doch ich kommentierte es nicht. „Nein keine Sorge, aber mach das nie wieder!", forderte ich von ihr und sie nickte, aber wieder sagten ihre Augen etwas Anderes. Mochte sie mich wirklich? Hatten Chloe und Mona Recht? „Danke!", nuschelte Anna und tätschelte meine Schulter, wobei sie länger liegen blieb als nötig. Anna starkste davon und meine Mädels hielten sich vor Lachen die Bäuche. „Die hat Nerven!", brüllte Fiona und schlug mit ihrer Tasse auf den Tisch, Tränen liefen an ihrem Gesicht hinunter. Auch Mona lachte Tränen und gab Fiona Recht: „Erst Lilly küssen und dann eine Szene machen. Wie lächerlich!" Wie gerne wäre ich jetzt woanders? Ich blieb still und trank meinen Orangensaft, immerhin Tim stand nicht mehr bei Chloe. Diese saß mittlerweile neben Frau Henning und aß ihr Frühstück.

Midnight Snow - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt