Kapitel 16 - Feels

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Heute ging ich das erste Mal Händchenhaltend mit Jonas in die Schule, es fühlte sich komisch und ungewohnt an, aber andererseits gab er mir damit ein Gefühl von Sicherheit. Er drückte aufmunternd meine Hand als wir vor unseren Freunden zum Stehen kamen, Karla saß mit Timo in einer anderen Ecke und schenkte uns keinerlei Beachtung. Für sie musste es besonders merkwürdig sein, immerhin habe ich vor einer Woche noch erzählt wie Jonas mich erpresst und dazu zwingt mit ihm zusammen zu sein. Zur Demonstration schmiegte ich mich an seine Brust, während er über mein Haar strich, Finns Augen schienen bei unserem Anblick immer schmaler zu werden. Jonas unterhielt sich mit Simon, der sehr wütend über Karlas neue Beziehung ist, diese Chance nutzte Finn. Er lehnte sich zu mir rüber und wisperte mir ins Ohr: „Geht es dir wirklich gut? Also...Jonas? Ich meine...wir haben doch gequatscht und...?" Genervt seufzte ich auf: „Finn, es ist alles in Ordnung!" Ich wusste er sorgt sich um mich, ich schätze das sehr an ihm, aber gerade musste ich eine Fassade aufrechterhalten, vor allem vor Karla und vor...ja...Frau Deckert... Die keine fünf Meter von uns entfernt stand und mich anstarrte, zumindest wurde ich das Gefühl nicht los, sie schaute mich an. Schon seit einigen Minuten fühlte ich mich beobachtete, aber erst jetzt fand ich die schuldige Person. Frau Deckerts blonde Locken schienen ein Stück dunkler geworden zu sein, sie gingen nun ein wenig ins hellbraun, es stand ihr verdammt gut. Ihre stechend blauen Augen bohrten sich in mein Gesicht, ich schenkte ihr ein Lächeln woraufhin sie sich wegdrehte. Bildete ich mir dieses Verhalten nur ein, oder benahm sie sich wirklich ungewöhnlich? Sie zog sich ruckartig ihre schwarze Lederjacke über ihr blaues Top an und verschwand nach draußen. Bevor ich wusste was ich tat, löste ich mich von Jonas und entschuldigte mich kurz, ich eilte hinter Frau Deckert her die unheimlich schnell ging. Warum folgte ich ihr überhaupt? Meine eigene Handlung ergab keinen Sinn in meinen Augen, ich konnte mich aber auch nicht stoppen. Meine Beine trugen mich immer schneller hinter ihr her, erst als sie an einer Parkbank stehen blieb, wurde ich langsamer. Sie setzte sich hin und spielte mit etwas in ihren Händen, langsam kam ich näher. „Frau Deckert?", gab ich leise von mir, um sie nicht zu erschrecken. Trotz meines Bemühens hüpfte sie leicht auf, doch blieb still als sie bemerkte wer ihr Gesellschaft leistete. „Darf ich?", ich zeigte auf den leeren Platz neben ihr und sie nickte. Neben ihr erfasste mich eine Welle des Kribbelns, mein ganzer Körper schien zu beben, Gänsehaut überzog meinen Rücken. Mein Herz schlug schneller, vor allem als der Wind ihr Parfüm zu mir herübertrug. Ein Schauer durchfuhr meinen Körper als sich unsere Schenkel berührten, auch Frau Deckert schien das bemerkt zu haben. Sie sah mich mit einem Ausdruck an, den ich nicht zu deuten wusste. „Ich wollte mich noch einmal richtig bei Ihnen bedanken wegen London. Ich glaube das ist an dem Tag nicht so rübergekommen und das tut mir leid. Ich habe mich sehr darüber gefreut, ich hatte den Ausflug schon abgehackt, dabei verbinde ich so viel mit diesem Ort. Meine Mutter kommt aus London, sie hat in dem Theater gearbeitet wo wir hinfahren...", ich schenkte ihr ein warmes Lächeln, was sie zu einem Schmunzeln verleitete. Mein Mund redete schneller als mein Gehirn nachdenken konnte, ich fragte mich warum zur Hölle ich ihr von meiner Mutter erzählte. Im Normalfall schwieg ich über dieses Thema, ich hasste es und vermied es so gut es ging. Ausgerechnet meiner Lehrerin erzählte ich von meiner Mutter, der Lehrerin, für die ich Gefühle entwickelt hatte. Frau Deckert bemerkte nicht wie sehr ich gerade mit mir rang, sie schien sich zu freuen, dass ich auf sie zugekommen bin: „Es ist schön, dass von dir zu hören. Ich habe wirklich gedacht, ich hätte was falsch gemacht... Außerdem ist es nicht meine Absicht gewesen dich damit zu überrumpeln, tut mir leid. Du freust dich also am meisten auf das Globe Theatre?" Immerhin sprach sie mich nicht auf meinen Zusammenbruch an, oder wie ich ihre Hand weggeschlagen habe, gottseidank. „Schon okay, ich bin einfach nur im ersten Moment geschockt gewesen. Jetzt freue ich mich umso mehr und ja, vor allem auf das Theater...", ich verstummte während ich an meine Mutter denken musste, Besorgnis zeichnete sich auf Frau Deckerts Gesicht ab. „Was ist los?", plötzlich lag ihre Hand auf meiner und ihre Haut fühlte sich auf meiner wie glühendes Feuer an, sie zog ihre Hand erschrocken weg. Tat sie das, weil sie es genauso empfand oder weil sie einfach merkte was sie da gerade machte? „Ich musste nur an meine Mutter denken...ich vermisse sie sehr!", ich senkte den Kopf und Frau Deckert rückte ein Stück näher, es wirkte wie eine instinktive Handlung, denn sie schien selbst überrascht. Ihr Arm legte sich um meine Schulter und sie drückte sich leicht an mich: „Ich kenne das Gefühl, ich habe meine Mutter früh verloren und vermisse sie immer noch wie am ersten Tag." Das wusste ich nicht. Ich schaute sie an und fühlte mich geehrt so etwas Persönliches von ihr zu erfahren, falls sie es genauso hasste wie ich darüber zu reden, konnte man sich schon auf einer Art und Weise besonders fühlen. „Das tut mir leid, seine Mutter so früh zu verlieren ist hart. Man wächst auf und fragt sich immer wieder: Was würde meine Mutter tun? Oder geht es nur mir so?", ich schaute beschämt zur Seite, doch Frau Deckert zwang mich sie wieder anzusehen. „Es geht nicht nur dir so, ich frage mich das in so gut wie jeder Situation...und besonders oft in Situationen, in denen ich verdammt nochmal was falsches tue!", plötzlich rückte sie ab und ich fragte mich, ob sie damit diesen Moment meinte. Sie stand auf, strich sich das Top glatt und lächelte mich irgendwie traurig an: „Ich muss in den Unterricht, wir sehen uns später Lilly." Frau Deckert ließ mich einfach sitzen und marschierte zurück in die Schule, ich zermarterte mir wieder einmal den Kopf darüber was das gerade gewesen ist. Was passierte hier nur?

Midnight Snow - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt