Kapitel 23 - Jeder nächste Schritt ist ein Schritt zu weit

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Noch immer wanderte ich über die Flure des Hostels, mittlerweile fiel es mir schwer aufrecht zu gehen. Das Stechen in den Rippen wurde schlimmer, schlimmer als im Naturkundemuseum. Schnaufend hielt ich inne und lehnte meinen Rücken an eine Säule, was machte ich überhaupt hier? Als ob sie mich sehen will, als ob sie meine Rufe hört. Langsam, aber sicher merkte ich, wie mein Körper herunterfuhr, die Schwärze ummantelte mich schleichend. Ein letztes Mal rief ich ihren Namen, dann sank ich auf den Boden zusammen.

Ein Arm zog mich nach oben, mein Arm wurde um die Schulter einer Person gelegt, zur Stütze bekam ich noch einen Arm um meine Taille. Ich schlurfte vorwärts, ohne zu wissen wohin. Ich hörte wie eine Tür geöffnet und wieder geschlossen wurde, weicher Stoff empfing mich als ich mich setzte. Meine Hand fiel schlaff auf den Stoff, mit meinen Fingern fuhr ich darüber und merkte, dass es sich um ein Sofa handeln musste. Mein Kopf sank nach unten, eine Hand bettete ihn vorsichtig auf ein Kissen. Dieser Geruch. Dieser Geruch, unverkennbar, er zog in meine Nase und vernebelte meine Sinne. Ich wollte blinzeln, meine Augen öffnen, doch es ging nicht. Ich hörte meinen eigenen Atem rasseln, jeder Atemzug schmerzte in meiner Brust. Ich griff automatisch nach meinem Bauch, als ob das was ändern würde. Eine fremde Hand griff dafür nach meiner Hand, legte sie an die Seite und hob dann mein Shirt hoch. Im ersten Moment wollte ich protestieren, doch da ist wieder dieser Duft. Endlich schaffte ich es meine Augen zu öffnen, anfangs flatterten sie noch, doch das legte sich sobald sich meine Vision klärte. Blondbraune Haare tanzten vor meinem Gesicht auf und ab, ich sah Sorgenfalten auf Chloes Stirn. Chloe. Sie sah so besorgt aus. Ich blickte nach unten und erkannte, dass es sich um ihre Hand auf meinem Bauch handelte. „Dein Bauch ist richtig angeschwollen, Lilly. Ich mache mir wirklich Sorgen!", sagte Chloe zu mir. Sie stand auf und verschwand für einen Moment, sie kehrte mit einer Salbe in der Hand zurück zu mir. Sie kniete sich auf den Teppichboden und drückte etwas von der Salbe auf meinen Bauch. Die Kühle überraschte mich, ich zog den Bauch ein und bereute es sofort. Schmerz durchfuhr mich und ich verzog das Gesicht. Chloe dagegen wirkte so distanziert, trotz ihrer Sorgen. Ich sah es ihr an, ihre Augen sprachen Bände, doch ihr Gesicht wirkte versteinert. Als hätte sie mein Schmerz aus ihrer Trance befreit, griff sie nach meiner Hand: „Alles okay? Was hast du überhaupt hier oben zu suchen?" Die Kälte traf mich, auch wenn ich erkannte, dass sie sich dafür anstrengen musste. Was sollte ich schon sagen? Ich kann ihr ja schlecht sagen, dass ich ihr gefolgt bin, um sie zu beruhigen. Weil ich glaube zu wissen weshalb sie im Frühstücksraum das Tablett geknallt hat, aber das konnte ich nicht bringen. Ich will etwas sagen, doch die Worte blieben mir im Hals stecken. Plötzlich blickte Chloe auf unsere Hände und ließ meine Hand los, so als sei sie aus Feuer. Sie rappelte sich hoch und entfernte sich von mir. „Du musst gehen! Sofort!", brüllte sie. Erschrocken schaute ich sie an, meinte sie das gerade ernst? Erst versorgt sie mich und jetzt will sie mich rausschmeißen? „Okay?", gab ich kraftlos von mir. Ich schien ihr nicht schnell genug zu sein, Panik machte sich in ihr breit, ich sah es ihr an. „Geh! Verschwinde Lilly!", sie klammerte sich an einem Stuhl fest und blickte krampfhaft zu Boden. Mein Herz blutete, doch ich hievte mich hoch. Blind vor lauter Tränen stolperte ich vorwärts und fiel fast hin. Arme griffen nach mir, doch ich schlug sie weg. „Fass mich nicht an!", knurrte ich ihr entgegen. Ich hielt ihre Ambivalenz nicht aus! „Lilly! Es tut mir leid!", Chloe stand direkt hinter mir, während ich meine Arme gegen die Tür presste, um nicht hinzufallen. Noch immer stand ich mit dem Rücken zu ihr, durch mein Schluchzen bebte mein ganzer Körper, doch ich brachte es nicht über mich sie anzusehen. Mit einer Hand griff ich nach dem Türgriff, doch bevor ich sie hinunter drücken konnte, legte sich eine Hand auf meine. Chloe presste sich zwischen die Tür und meinen Körper. Sie stand so dicht vor mir, dass ich ihren Atem auf meiner Haut spüre, wieder einmal. Ich war so wütend, dass ich aufhörte mich festzuhalten und ging wackelig einen Schritt zurück. Chloe ging mir hinterher und griff mit ihren Händen nach meinem Gesicht. Ihre Finger fuhren unter meinen Augen her, sie versuchte die Tränen fortzuwischen, doch sie hörten einfach nicht auf zu fließen. „Lilly! Es tut mir so unendlich leid...ich...ich...", stammelte sie und sah mir tief in die Augen. Die Wut verpuffte, ohne dass ich das wollte. Ich wollte stark sein, ihrem Charme widerstehen, doch dahin war mein Wille.

Midnight Snow - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt