Kapitel 38 - Ist alles okay?

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A/N: Triggerwarning

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„Lill...", hörte ich meinen Namen aus Bens Mund. Er trat dicht vor mich und schloss die Tür hinter mir. Meine Nackenhaare stellten sich auf als ich seinen Atem auf meinem Gesicht spürte und er seine Hand um meine Hüfte schlang. Unwohl versuchte ich seiner Berührung auszuweichen, ging einen Schritt zurück, jedoch drückte sich die Wand in mein Kreuz. „Hast du mich vermisst?", fragte er hämisch und folgte mir, bis sich sein Körper gegen meinen drückte. Wieder stieg diese Übelkeit in mir auf, doch ich hörte Schritte und urplötzlich sprang Ben von mir und griff nach meinen Koffern. „Schön, dass du wieder hier bist, Lilly. Ich bringe deinen Koffer nach oben!", sagte er und versetzte mich damit in eine Schockstarre. Wieso redete er so? Ben verschwand nach oben, wo ich hörte wie er meinen Koffer achtlos auf den Boden schmiss, dann knarrte es links von mir und ich drehte mich zum Geräusch. Da stand er, mein Vater. Mein Vater, der mich angelogen hatte, mir den Kontakt zu meiner Familie verwehrte, meiner richtigen Familie. Eine explosive Mischung von Gefühlen kam in mir hoch. Freude darüber, dass er hier war, was auch bedeutete halbwegs sicher zu sein vor Theresa und Ben. Andererseits fühlte ich Wut in mir auflodern, so viele Fragen schwirrten in meinem Kopf umher. Fragen, die ich nicht stellen konnte, da ich sonst Dinge sagen würde, die ich später bereuen könnte. Mein Vater kam langsam auf mich zu und breitete die Arme aus, noch wusste er nichts von seinem Glück. Er drückte mich fest und hauchte einen Kuss auf meinen Kopf, ich machte keine Anstalten ihm etwas von seiner Liebe zurückzugeben, was er auch bemerkte. „Lilly, wie schön dich zu sehen. Ist...ist alles okay?", fragte er verunsichert und musterte mich von oben bis unten. „Wie konntest du nur?", sagte ich mit bebender Stimme und Tränen sammelten sich in meinen Augen. Ich blinzelte, um sie loszuwerden und mein Vater wollte sie fortstreichen, doch ich wich zurück. „Lill?", ich sah ihm an wie es hinter seiner Stirn arbeitete, er fragte sich was passiert sein mochte, da zuckte etwas in seinem Gesicht auf und ich erkannte, er ahnte etwas. „Na? Fällt dir wieder ein, was du mir all die Jahre weggenommen hast? Was du mir vorenthalten hast?", meine Stimme triefte vor Hass, was mir unendlich leidtat, da ich meinen Vater natürlich trotzdem liebte. Aber wenn die Wut mich übernahm, fiel es mir schwer mich ihm Zaum zu halten. Da sprach etwas tief aus mir, etwas was ich sonst immer gut versteckte. Er sog erschrocken Luft ein und legte eine Hand auf meine Schulter: „Lilly...ich...was meinst du?" Mein Vater versuchte tatsächlich diese Karte auszuspielen, ich hätte mehr von ihm erwartet, wirklich. „Ich gebe dir einen Tipp. Meine Familie. Wieso hast du mir meine Familie genommen?", ich zitterte und stützte mich an der Wand ab. Die Wand, die mir eben nicht genug Platz zum Entkommen geboten hatte, war nun meine Stütze. „Was redest du denn da? Ich bin deine Familie. Wir sind deine Familie...", nuschelte er und ich hätte ihm am liebsten auf die Füße gekotzt. Er nannte diese Frau, diesen Jungen meine Familie? „Das ist nicht meine Familie, John. Das ist deine Frau und ihr Sohn, mit denen ich absolut nichts gemein hab. Ich meine die Familie in London, die Menschen, die mich so sehr lieben und mich unendlich vermisst haben. Die Briefe geschrieben haben, die nie bei mir angekommen sind. Wie. Kann. Das. Sein?", presste ich hervor und die Tränen liefen wie Wasserfälle an meinen Wangen hinunter. Ich sah Schmerz in den Augen meines Vaters aufblitzen, aber es war mir egal. Gerade war es mir egal was er fühlte, in diesen einem Moment ging es um mich, nicht ihn. „Lilly...", raunte er mir meinen Namen entgegen und ich spürte wie der Zorn sich in mir breit machte. „Es ist nicht so wie du denkst, ehrlich nicht!", mein Vater kam wieder einen Schritt auf mich zum wollte seine Arme um mich legen, ich sprang jedoch zur Seite und lief Richtung Treppe. „Falls du mir die Wahrheit sagen willst: ich warte oben!", brüllte ich ihn an und nahm die abgewetzten Stufen vor mir nach oben. Ich schlug die Tür hinter mir zu, musste keine Gewalt von Ben oder Theresa befürchten und schmiss mich auf mein Bett. Nie hätte ich geglaubt, dass mich die Anwesenheit meines Vaters so aus dem Konzept bringen könnte. Er hat immer Sicherheit bedeutet, doch jetzt gerade fühlte ich nichts als Hass. Es mochte übertrieben klingen, aber an meinem inneren Auge zogen die verpassten Jahre mit meinen Großeltern vorbei. Ich hätte meinen Opa kennenlernen können, aber mein Vater entschied sich lieber dazu mich von ihnen fernzuhalten. Tränen brannten sich feurige Pfade über meine schon aufgeraute Haut, sie verstärkten sich als mein Handy vibrierte und ich Chloes Namen auf meinem Display entdeckte. Ich wollte gerade kein Wort von ihr lesen, nicht das auch noch. Gerade schaffte ich es kaum mich meinem Vater zu stellen, geschweige denn Ben. Und dann auch noch Chloe und Tara? Ich drückte den Power-Button meines Telefons und schaltete es aus, ich brauchte Abstand. Ich brauchte keinen klugen Ratschlag von Jonas, Mona, Matt oder wem auch immer. Ich unterdrückte seit Tagen die Enttäuschung darüber all die Zeit in London kaum was von Finn und Matilda gehört zu haben, das wäre noch die Spitze des Eisberges zu meiner momentanen Situation. Also versuchte ich alles zu unterdrücken was mir gerade nicht allzu wichtig erschien.

Midnight Snow - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt