Kapitel 44 - Der Weg ist das Ziel

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A/N: Triggerwarning

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Eine Weile später erschien Chloe im Türrahmen und räusperte sich geräuschvoll. Mit roten Augen und nassen Haaren kam sie auf uns zu, taxierte vor allem Jonas dessen Arm um mich lag. Ich pellte mich aus seiner Umarmung heraus und ging auf Chloe zu, die sich auf die Lippe biss und die Augen niederschlug. „Komm mit...", hauchte sie mir ins Ohr, sodass Jonas davon nichts mitbekam. „Wohin?", fragte ich flüsternd, Jonas richtete sich hinter uns auf. „Was ist los?", mischte er sich nun ein und trat neben mich. Wieder versuchte er den Arm um mich zu legen, seine Show abzuziehen, doch ich wand mich sofort aus der Berührung heraus und sah ihn ermahnend an. Kurz sah ich Verwunderung auf seinem Gesicht, doch er legte sie schnell ab und ging einen Schritt zurück. Chloe sah nicht mehr ganz so angespannt aus als sie mir bedeutete ihr zu folgen. Jonas verschwand in der Menge zwischen unseren Mitschülern, die alle noch immer feierten und tranken, nichts von dem Drama in meinem Leben mitbekamen. Stolpernd versuchte ich mit Chloe Schritt zu halten, die kein Wort über meinen Vater verlor. „Warte doch!", rief ich als Chloe einige Meter vor mir lief. Zögerlich ging sie einen Schritt langsamer und wartete darauf, dass ich neben ihr ankam. „Warum bist du so?", fragte ich enttäuscht, mit fahler Stimme. Ihre Augen musterte mich eine Weile, bis sie endlich Worte fand: „Nicht hier, Lilly. Hier sind zu viele Schüler, das wirft Fragen auf." Es fühlte sich an wie ein Stich ins Herz, auch wenn ich wusste wie Recht sie doch hatte. Natürlich konnte ich nicht hoffen mit ihr rumzulaufen als seine wir ein Paar, aber trotz allem tat es weh. Da war für einen Moment diese kalte Nuance in ihrer Stimme, die mir das Blut in den Adern gefrieren ließ. Meine Füße fühlten sich schwer wie Blei an, schlurfend folgte ich ihr zu ihrem Auto. Piepend öffnete sich ihr schwarzer Mini und wir ließen uns darin fallen. Sie drehte die Heizung auf und reichte mir eine Decke. Ich schüttelte den Kopf und gab sie ihr zurück: „Ich glaube du brauchst die dringender als ich..." Meine Augen blieben an ihren nassen Haaren hängen, die sie kurz darauf mit der Decke trocken rubbelte. „Danke!", sagte sie flach und ließ den Motor an. „Wohin fahren wir?", fragte ich sie unsicher, mit Angst in der Stimme. Ihre Gesichtszüge wurden sofort weicher als sie meine Angst hörte und sie ergriff meine Hand, die auf meinem Oberschenkel lag. „Zu dir nach Hause...", murmelte sie und ich riss die Augen auf. „Nein! Auf keinen Fall!", schrie ich sie an, aber Chloe blieb absolut ruhig. „Wir holen Sachen ab, Lilly. Anziehsachen, Schulsachen...sowas eben...", sagte sie und blickte mir tief in die Augen. Der Schock musste mir ins Gesicht geschrieben stehen, denn sie schmunzelte leicht und zwinkerte mir zu. Dann sah sie zurück nach vorne und fuhr los. Die Stille im Auto erdrückte mich fast, nur unser Atem und das Rattern der Räder durchbrach diese ab und an. Wir bogen in die mir so vertraute Straße meines Hauses ab und mein Körper begann sofort zu rebellieren. Seit ich die Nacht bei Chloe verbracht hatte, fühlte ich mich hier absolut nicht mehr sicher. Chloe zeigte mir was Sicherheit und Liebe bedeutet, etwas was ich hier seit Ewigkeiten nicht mehr empfand. Wir kamen vor unserem Gartentor zum Stehen, nur die Straßenlaterne drei Häuser weiter erleuchtete die Nacht. Ich drehte meinen Kopf Richtung Haustür, wo ein schwaches Licht brannte, sie schienen daheim zu sein. Chloes Hand umfasste bereits den Türöffner ihres Autos, aber mit einer Handbewegung hielt ich sie auf: „Warte..." Durchdringend sahen wir uns an, ihre feinen Gesichtszüge durch die fahle Beleuchtung dezent hervorgehoben, verzogen sich zu einem fragenden Ausdruck: „Was ist los? Ich bin bei dir, dein Vater ist auch dort. Dir passiert nichts..." Ich ergriff ihre Hand in der Dunkelheit und führte sie an meinen Mund, meine Lippen berührten federzart ihre weiche Haut und ein Grinsen umspielte meine Lippen. „Ich liebe dich auch, Chloe Deckert", mit diesen Worten ließ ich ihre Hand los und öffnete meine Tür. Chloe folgte mir in Windeseile und trat neben mich, grinsend von einem Ohr zum anderen. „Bereit?", murmelte sie und ich nickte. Gemeinsam schritten wir die Betontreppen hinauf, wo ich meinen Schlüssel in die Haustür steckte, um sie aufzuschließen. Kaum war die Tür einen Spalt geöffnet, hörte ich laute Stimmen die sich anscheinend stritten. Ich erkannte sofort die Stimme meines Vaters, die Andere gehörte zu Theresa. Sie brüllten sich an, wobei ich öfters meinen Namen hörte, ebenso wie den meines Stiefbruders. „Dein Sohn hat meine Tochter geschlagen! Wusstest du davon?!", die Stimme meines Vaters bebte und brachte das Haus zum Zittern. Wie erstarrt blieb ich im Hausflur stehen, doch Chloe schubste mich gen Treppe und folgte mir hinauf. Meine Hand schloss sich zitternd um die Türklinke zu meinem Zimmer. Aufregung durchschoss meinen Körper, der Streit meines Vaters und meiner Stiefmutter drang immer wieder an mein Ohr. „Na los jetzt...", drängte Chloe mich, die dicht hinter mir stand. Grummelnd öffnete ich meine Tür und trat mit Chloe in mein kleines Reich, mein Reich in dem Ben mich mehrfach misshandelte und fast vergewaltigt hatte. Schluckend ging Chloe an mir vorbei und sah sich um, im ersten Moment fragte ich mich warum sie sich so neugierig umsah, aber dann fiel mir wieder ein, dass sie zum ersten Mal hier war. Neugierig blieb sie vor dem Bilderrahmen an meinem Bett stehen, meine Mutter lächelte ihr entgegen. Chloe nahm den schwarzen Rahmen in ihre Hand und hielt ihn mir entgegen: „Einpacken!" Lächelnd nahm ich ihn ihr ab, wobei sich unsere Finger berührten und ein mittlerweile sehr vertrautes Zucken durchzog meinen Körper. Ich suchte nach meinem großen alten Seesack, ein Überbleibsel meiner Mutter und legte den Rahmen, behutsam in ein Handtuch eingewickelt, hinein. Ich kramte die Kiste meiner Mutter unter dem Bett hervor und verstaute es ebenfalls darin. Es folgten Klamotten, von denen ich eh nicht viel besaß, Schulsachen und ein paar Bücher. Chloe beobachtete mich dabei, während sie immer wieder die Ohren spitzte und dem Streitgespräch folgte. „Ich glaube das war es schon", sagte ich und Chloes Blick blieb an mir hängen. „Tatsächlich?", fragend sah sie sich um und betrachtete die leergeräumten Schränke. Nickend schloss in den Reißverschluss des Sacks und setzte mich auf mein Bett, Chloe stellte sich vor mich, legte ihre Hände um mein Gesicht und hauchte einen zarten Kuss auf meine Lippen. „Ich geh noch kurz zur Toilette", murmelte sie in meine Lippen hinein und ging ins Badezimmer. Lächelnd plumpste ich zurück auf die Matratze und starrte an die Decke, komisch wie sich alles entwickelte. Was Chloe und mein Vater wohl in meiner Abwesenheit besprochen hatten? Und wieso stimmte er zu dass ich auszog? Wusste er, dass ich bei meiner Lehrerin wohnte, oder hat sie von Jonas gesprochen? Fragen über Fragen plagten meinen Geist, nahmen mich komplett ein und vernebelten meine sonst so geschärften Sinne.

Midnight Snow - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt