Kapitel 22 - Schlaflos

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Wir saßen in der ratternden U-Bahn wo jegliche Art von Menschen aufeinander traf. Von jung bis alt, Geschäftsleute in Anzügen und Punks in Nietenwesten, ich fühlte mich sofort wohl. In all den unterschiedlichen Menschen fand ich meine Mitte, Ruhe machte sich in mir breit, der innere Frieden setzte ein. Ich dachte nicht an zu Hause, nicht an Ben und Theresa und auch nicht an Chloe, die sich wohlgemerkt möglichst weit weg von mir setzte und mich anfangs sehr damit verärgerte. Ich ignorierte die Gefühle, die in meinem Körper tobten, hielt an dem hier und jetzt fest, an diesen einen Moment. Als ich die Augen wieder öffnete lächelte mich eine ältere Dame an, welche an der nächsten Station ausstieg. Unwillkürlich stellte ich mir die Frage, ob sie meine Oma sein könnte und es kränkte mich zu wissen, dass ich sie niemals erkennen würde. Sie könnte vor mir stehen und mich anlächeln und ich würde sie nicht erkennen. Links von mir unterhielt sich Fiona angeregt mit Robert, der beste Freund von Kevin, der natürlich auch dort saß und meinen Blick auffing. Lächelnd nickte er mir zu und kam herüber geschlendert, innerlich stöhnte ich auf. Wieso ließ er mich nicht in Ruhe? Immerhin wusste er doch, dass ich mit Jonas zusammen bin, auch wenn nur zum Schein. „Wie hat es sich auf dem Sofa geschlafen?", fragte er mich neugierig und hielt sich an der Stange über mir fest. Ich rückte auf der Bank ein Stück nach hinten, um ihm nicht ganz so nah zu sein und blickte nach oben. „Ganz gut, besser als in meinem Bett", gab ich zurück und schaute flehend Mona an mich zu retten, doch sie kicherte nur und drehte sich wieder zu Fiona. Sauer sah ich wieder Kevin an und legte eine nette Miene auf, er bemerkte nicht mal wie ich mich dazu zwingen musste. Eine gute Sache hatte diese Situation, Chloe beobachtete uns. Sie mochte glauben ich bemerkte es nicht, doch wenn ihr Blick auf mir ruhte konnte ich es so gut wie immer ausmachen. Verrückte Sache. Nur noch zwei Stationen und wir mussten aussteigen, ich sehnte mich so sehr danach hier wegzukommen. Interessant wie sich die Dinge innerhalb weniger Minuten ändern konnten, Kevin störte meine innere Ruhe. Aus den Augenwinkeln sah ich wie Chloe sich langsam erhob und sie den Schülern um sich herum etwas sagte, wahrscheinlich Anweisungen zum Ausstieg. Nur noch eine Station, langsam erhob ich mich, doch Kevin wich nicht von seiner Position, sodass ich gezwungen war mich an ihm vorbeizudrücken und ihm dabei näher zu kommen als gewollt. Seufzend hielt ich mich an der Stange neben ihm fest, während die anderen Schüler und auch Lehrer in unsere Richtung kamen da wir genau neben der Tür standen. Kevin beugte sich vor, seine Augen funkelten als er versuchte das Gespräch aufrecht zu erhalten: „Wenn du nächstes Mal eine schlaflose Nacht hast Lilly, kannst du auch gerne zu unserem Zimmer kommen und bei mir schlafen. Das Sofa kann nicht so gemütlich sein wie mein Bett!" Er grinste mich schelmisch an, mir kam fast die Galle hoch, doch dann hörte ich ein wütendes Schnauben und drehte mich um. Chloe stand genau hinter uns und verdrehte die Augen, ihr Kopf mochte zur anderen Seite schauen, aber ich sah ihr Gesicht in der Spiegelung der Scheibe. Es machte ihr also was aus, egal schien ich ihr nicht zu sein. Immerhin etwas. „Ach ist das so? Ich glaube nicht, dass du mich von meinen Gedanken hättest ablenken können. Ereignisse des gestrigen Tages haben mich sehr beschäftigt!", gab ich leise von mir, aber noch laut genug damit Chloe sie mitbekam. Sie zog ihre Stirn kraus und wirkte nachdenklich, sie sollte wissen wie sehr mich der Kuss beschäftigte. Egal mit was sie mich bestrafen wollte, ich musste ihr zeigen was sie mir bedeutete. Kevin jedoch verstand meine Aussage falsch und grinste mich wissend an: „Davon hätte ich dich ablenken können! Falls du verstehst was ich meine!" Er wackelte mit seinen Augenbrauen und ich verzog angewidert den Mund, doch bevor er das überhaupt wahrnehmen konnte gingen die Türen auf und Chloe boxte ihn regelrecht nach draußen. Er stolperte durch die Tür und verschwand aus meinem Sichtfeld, zufrieden trotte ich auf den Bahnsteig und musste mir ein Lachen verkneifen. Chloe versperrte Kevin den Weg, der sich suchend nach mir umsah. Ihr Körper schien angespannt, ihr Gesicht sah so aus als wäre sie jederzeit dazu bereit ihn zurechtzuweisen. „Lilly?!", rief er über ihren Kopf hinweg, ich duckte mich hinter einer Säule und sah wie Chloe verärgert den Kopf schüttelte. „Nicht stehen bleiben, ihr sollt dem Rest nach draußen folgen! Das gilt auch für dich Kevin!", hörte ich sie rufen, obwohl sie den letzten Teil deutlich leiser sagte. Kevin eilte seinen Kumpels hinterher, während ich auf Mona wartete und mit ihr zusammen den Bahnhof verließ. Ich behielt Chloe weiterhin im Auge, auch wenn sie krampfhaft versuchte mich nicht anzusehen und zu ignorieren. Ich muss zugeben ignoriert zu werden tat weh, aber zu wissen, dass ich ihr trotzdem wichtig bin, gab mir ein wenig Sicherheit. Natürlich ist mir klar, dass das was da gestern passiert ist, hätte nicht passieren dürfen. Chloe ist meine Lehrerin, ich bin ihre Schülerin. Sie ist vergeben, ich bin es vom Prinzip auch, auch wenn das eigentlich nicht zählt. Wenn uns jemand gesehen hätte, gäbe es große Probleme für uns, vor allem aber für sie. Ich konnte es ihr also nicht einmal richtig verübeln wie sie nun mit ihr umging, auch wenn ich es nicht für gut befand. Trotz allem fragte ich mich, ob wir Beide gleich empfanden, oder ob ich mir das nur erhoffte.

Midnight Snow - Teil 1Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt