43. Zuhause ✔

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Love loves to love love. - James Joyce

Song: A big world - Joel Adams

Sebastian ging als der Himmel noch von trügerischen Sonnenstrahlen überzogen waren – es war trotzdem viel zu kalt, um sich länger als zehn Minuten draußen aufzuhalten, ohne zu frieren.

Mittlerweile ziert ein blasses Rosa gemischt mit kräftigem Orangenrot und einem gelben Feuerball. Die Wolken wirken wie schwebende Wattebausche.

Trotz der Kälte, wegen des Farbspiels, sitze ich bei offenem Fenster in meinem Erkerchen und starre leer nach draußen. Meine Gedanken fliegen vermutlich irgendwie zwischen Sonne und Venus umher, auf der Suche nach einer Antwort... nach vielen Antworten.

Ich frage mich, was um alles in der Welt mich geritten hat Sebastian zu küssen.

Die Spannung zwischen uns war zum Greifen nahe, ich hätte nur an ihr festhalten müssen, mit Clive nach heute reden sollen und die Beziehung beenden. Dann hätte ich nun keine Probleme.

Alles hätte so einfach sein können. KÖNNEN.

Aber natürlich gebe ich meinen Bedürfnissen nach, küsse ihn oder lasse mich küssen, was auch immer!

Ich spüre eine flammende Wut auf mich selbst im Bauch. Spannung ist doch viel reizvoller, viel...

Verdammt, er hat mir vorhin gesagt, dass er in mich verliebt war und... womöglich noch immer ist und... und... und... die Gedanken in meinem Kopf gleichen einem Tunnel, in dem man bereits seit Stunden herumirrt und schließlich vor Dutzend Abzweigungen steht. Insgeheim hofft man, dass eine davon nach draußen in die Freiheit führt, aber in Wahrheit stürzt man sich nur noch tiefer in die Grübelei, ganz egal welchen Weg man wählt.

Dazu kriecht die Kälte allmählich durch die Fasern meiner Kleidung und selbst meine Arme – die ich kindlich um meine Beine geschlungen habe – helfen nichts.

Fraglich, was ich mir davon erhoffe. Vielleicht eine Erkältung, damit ich morgen und nie wieder in die Schule muss und weder Clive noch Sebastian zu begegnen. Selbst schuld!

„Rosie!"

Hastig presse ich mir eine Hand auf den Mund, um nicht vor Schreck laut aufzuschreien. Zeitgleich rinnt mir ein Schauer über den Rücken.

Clive steht unten an der Straße und grinst breit zu mir hinauf.

Perplex starre ich zu ihm hinab. Er trägt seine schwarze Winterjacke – ich finde, er sieht darin aus wie in ein paar gestapelten Schwimmreifen -, die blaue Mütze und einen ebenso pechschwarzen Schal. Wären seine Jeans nicht blau, hätte er glatt zu den 'Men in black' marschieren können und sich bewerben.

Dieser Stift... alles vergessen, das wäre jetzt schön.

Ich schlucke, während ich ihn stumm dabei beobachte wie er zu unserer Haustür trabt. „Machst du mir auf, oder soll ich hochklettern?"

Mir ist absolut nicht nach Lachen zumute, aber die Vorstellung wie Clive an unserer Regenrinne im Affenstyle hochkommt... das erinnert mich an „Briefe an Julia" als Charlie am Rosengitter...

„Rosie?"

Er lacht warm, ein elender Kontrast zur Temperatur. Der Druck auf meine Brust wird stärker und immer schwerer.

Trotzdem muss ich über seine Worte schwach lächeln. Vielleicht bemerkt er nicht, dass es meine Augen nicht vollkommen, wenn überhaupt ein bisschen, erreicht.

„Komme."

Vor ein paar Wochen hätte ich ihn noch angefaucht, was er hier zu suchen hat, warum er nicht vorher geschrieben hat.

Clive | Original | √Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt