I-Der Abschied und das Wiedersehen

26.9K 958 73
                                    

Hermines Hände waren kalt wie ein Eiszapfen und sie vergrub sie in den Taschen, um wenigstens ein wenig Wärme zu bekommen. Der Mantel hielt sie, da er bis zu den Knien ging und aus dickem gewälzten Stoff war, zwar warm, aber leider nicht ihre Hände. Das Wetter war ziemlich kalt für einen Septembermorgen und Hermine hatte soeben bis zum Umfallen gewunken. Harry, Ron und Ginny hatten sich von ihr verabschiedet und waren auf der Suche nach irgendeinem Wildtier, das noch nie jemand zu Gesicht bekommen hatte. Der Krunzende Gnix nannte Ron ihn. Er und Hermine hatten sich mächtig in die Haare gekriegt als sie ganz frech rumposaunte, dass Ron zu dümmlich für das richtige Lesen seie. Es heiße der Grunzende Knix, hatte sie gemeint. Ron aber beharrte auf seiner Ausführung und Hermine ließ ihn, nicht ohne Harry leise zu zuflüstern, dass sie recht hätte, in Frieden. Ihre Diskussion wurde von einer hektisch atmenden Ginny unterbrochen, die verkündete, dass der Zug nun doch eine Stunde früher gehe. Für Hermine war das eine große Erleichterung, da der Zug nach Hogwarts eigentlich später als der von ihren Freunden losfuhr. Sie hatten sich mit ganz großen Stil verabschiedet (Hermine rannte sogar ein wenig dem Zug hinterher) und dann verschwand er aus ihrer Sicht.

Sie wollte sich auf die Bank unter der großen Bahnhofsuhr setzten und wonnig seufzen. Die Uhr gab von sich zu hören und als der Zeiger sich bedrohlich der vollen Stunde näherte, hielt Hermine sich genervt die Ohren zu. Der Gong war laut und erschreckend. Erschreckend weil Hermine feststellte, dass sie nur noch einige Minuten hatte. Der Hogwartsexpress würde nur noch drei Minuten auf die letzten Passagiere warten und dann würde er mit lautem Quietschen die Türen schließen und mit schwerfälligem Schnaufen losfahren. Hermine sprang auf und rannte los. Ihr Mantel ging auf, aber es störte sie nicht weiter. Sie hatte von Ron und Harry gehört, wie es war mit einem fliegenden Auto Hogwarts aufzusuchen. Zwar war sie sich sicher, dass sie sich schlauer anstellen würde, aber leider hatte sie kein Auto und somit blieb ihr nur der Zug, der aber schon bald weg sein würde. Ihre Freunde hatten beschlossen einen Muggelzug bis zum Flughafen zu nehmen (nachdem Ron die waghalsige Idee hatte, auf seinem Besen in den Amazonas zu fliegen) und somit musste sie sich durch lauter Muggeltruppen kämpfen. Einige warfen ihr empörte oder mitleidige Blicke zu. Wahrscheinlich sah sie wirklich komisch aus, der wehende Mantel und die zerzausten Haare. Die Gleise 9 und 10 waren bereits zu sehen und sie hastete die Treppe herunter um zum Gleis 9 3/4 zu gelangen. Ohne auf  die umstehenden Muggels zu achten, rannte sie durch die Wand, spürte das leichte Kribbeln und kam, noch zerzauster als davor, am Gleis 9 3/4 an.

Ihre Koffer standen als einzige auf dem verlassenen Bahnsteig und schienen auf ihre Besitzerin zu warten. Hermine wusste, dank einigen hinterhältigen Slytherin oder neugierigen Hauselfen, dass es manchmal besser ist, seinen Besitz zu sichern. Deshalb hatte sie den Koffer durch einen Zauber, der mit einem Passwort gesichert war, geschützt. Aber in dem Moment, wo noch genau eine Minute übrig war, bereute sie diese Entscheidung. Sie legte die Hand um den Koffergriff, murmelte Slytherin sind hinterhältige Frettchen und lief los. Hermine war, wie sie ohne große Überraschung feststellte, der letzte Passagier. Die Koffer fest in der Hand sprang sie in den Zug. Grade noch rechtzeitig, denn die alten Türen des Zuges schlossen sich mit einem lauten Aufprall und rissen beinahe einen Fetzen von Hermines Mantel ab. Keuchend lehnte sie sich gegen die Wand und klammerte sich an ihre Koffer.

Der schmale Flur des Waggons wurde von einem warmen Licht mit einem orangen Stich erhellt und wirkte einladend und heimisch. Dieser Zug war, genau wie Hogwarts, ein fester Bestandteil ihres Lebens. Nur musste sie den Start in das neue Schuljähr ganz alleine meistern. Erst jetzt fiel ihr wirklich auf, wie einsam sie ohne Harry und Ron war. Niemand winkte sie in ein Abteil und niemand steckte ihr eine dieser himmlischen Schokoladenschlangen zu. Der Gang war überfüllt von Schülern. Die, die nicht zum ersten Mal nach Hogwarts gingen, versammelten sich in ihren Grüppchen und belegten die sogenannten Stammabteile. Erstklässler versuchten vergeblich sich an jemanden erfahrenen zu klammern und standen verloren auf dem Gang rum. Hermine beschloss den Versuch zu wagen und in ihr altes Abteil zu gehen. Sie kämpfte sich durch quirlige Erstklässler, übermütige Drittklässler und stolze Fünftklässler, die die Kleinen herumkommandierten.

"Verzeihung! 'Tschuldigung! Kann ich durch?", rief Hermine und drängte sich zu dem gesuchten Abteil nach vorn.

Erleichtert blieb sie vor der verschlossenen Tür stehen, ließ aber augenblicklich die Schultern hängen. Aus dem kleinen Raum waren Stimmen zu vernehmen, die Hermine aber irgendwie bekannt vorkamen. Sie zuckte bloß mit den Schultern und hoffte, dass niemand von ihr Geschichten über Harry Potter hören wollen würde oder sie aus dem Abteil jagen würde. Der Griff der Schiebetür war handlich und die Tür selbst leicht zu öffnen. Hermine schob die eine Türhälfte von der anderen weg und starrte entgeistert in die Gesichter von Neville Longbottom und Luna Lovegood.

"Hermine?", fragte Neville ungläubig und schaute sie mit großen Augen an.

Glücklich warf Hermine sich auf ihre wiedergefundenen Freunde und lachte unaufhörlich.

"Oh Gott, ihr ahnt nicht wie froh ich bin euch zu sehen.", sagte sie außer Atem und schaute sich Luna und Neville genauer an.

Luna war immernoch bleich, zierlich und drückte eine gewisse Sanftheit aus. Ihre Wunden waren verheilt und sie sah in keinster Weise ausgehungert oder verletzt aus. Die hellblonden Haare waren lang und beinahe so  weiß wie der Schnee, der bei den kalten Temperaturen nicht weit sein konnte.

Neville hatte wie immer diesen leicht fragenden Ausdruck im Gesicht, aber zu diesem war ein anderer dazugekommen. In seinem Gesicht spiegelte sich auch eine unerklärliche Kraft wieder und ließ ihn mutiger und entschlossener erscheinen.

"Wo ist Harry? Und Ron?", fragte Neville, als Hermine ihn endlich zu Wort kommen ließ.

"Die werden dieses Jahr leider nicht dabei sein.", antwortete Hermine und die anfängliche Trauer kam zurück.

"Wieso das denn? Harry hätte so viel erreichen können. Mit seiner Geschichte und dem Potenzial.", erkundigte sich Luna und ihre Stimme klang wie immer sanft, gesittet und ruhig.

Nach dieser Frage witterte Hermine die Möglichkeit, Ron endlich zu korrigieren und zu beweisen, dass sie die richtige Benennung des Wesens beherrschte.

A hidden year (Dramione FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt