Kapitel 10

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"Gleichstand", verkündete Alby. Getose brach aus, manche von Gallys Anhängern riefen laut. Ich drehte mich zu Newt um. Dieser stand scheinbar gelassen noch immer an der Wand und sah mit unergründlicher Miene Alby an. "Wir machen ein Stechen. Niemand darf sich jetzt enthalten, die beiden Kandidaten dürfen vorher noch eine Rede halten, wenn sie wollen".

Gally stand auf. Er mochte zwar unsympathisch sein, ich konnte ihm jedoch nicht nachsagen, dass er dumm war. "Hört zu", fing er an. "Manche von uns sind schon seit zwei Jahren hier und es ist an der Zeit, dass wir die Dinge ändern. Wir brauchen jemanden, der durchgreift, jemanden, der nicht nur redet, sondern auch wirklich Handelt. Wenn ihr keinen Bock mehr auf diesen ganzen Klonk habt, dann wählt mich. Jeder von euch Strünken will doch hier raus, aber so, wie wir es jetzt tun, bringt es doch offenbar nichts! Zwei Jahre sind wir schon hier? Das zeigt doch nur, dass wir etwas falsch machen, sonst wären wir doch schon längst aus diesem Klonk-Labyrinth draußen. Wer mich wählt, wählt Taten, nicht Worte!"
Einige johlten und pfiffen ihm Beifall, andere sahen ihn stirnrunzelnd an. "Und was schlägst du vor, was wir tun sollen?", erstaunt merkte ich, dass Newt das Wort ergriffen hatte. Mit schnellen Schritten bahnte er sich einen Weg in die Mitte des Raumes. Während er sprach, sah er jedem kurz in die Augen. "Jeden Tag riskieren die Läufer dadraußen ihr Leben. Jeden verdammten Tag und das seit zwei Jahren. Was du sagst, sind nur leere Worte. Du hast keine Ahnung, wie es im Labyrinth ist, denn du bist nie dort gewesen. Dieser Ort ist schlimmer, als du es dir vorstellen kannst. Wie gefährlich er ist, haben wir doch an George gesehen. Und du unterstellst uns, dass wir nicht genügend tun, dass wir schon draußen wären, wenn die Läufer besser wären?" Newt machte eine kleine Pause. Während er gesprochen hatte, war es komplett still geworden im Raum. Niemand wagte etwas zu sagen. Ich schauderte. Die Abscheu in seiner Stimme, als er vom Labyrinth sprach war so aufrichtig, dass ich das Gefühl hatte, sie wäre meine Eigene. Newt sah ernst aus und sprach nun leise, aber genau so eindringlich, wie zuvor weiter. "Ich glaube, Alby hat Recht, wenn er sagt, dass das alles hier nur mit Ordnung funktionieren kann. Wir dürfen auf keinen Fall riskieren, dass wir etwas unüberlegtes tun. Niemand hier hat das hier verdient, aber in einem Punkt hat Gally Recht. Wir müssen uns darauf konzentrieren, hier rauszukommen, denn je länger wir hier sind, desto mehr Unschuldige werden hier von WCKD reingeschickt. Wir dürfen nicht vergessen, wer unser Feind ist. Wir sind hier drinnen zusammen und müssen also auch zusammenhalten. Danke."
Sein Blick streifte nun meinen. Er sah mich traurig an, dann ging er wieder nach hinten.
Alby räusperte sich. "Wir stimmen ab", sagte er leiser als am Anfang.
"Wer ist für Gally?", fragte er in die Runde. Wieder meldeten sich einige, es wirkte aber zögerlicher und es waren deutlich weniger als zuvor. "Und wer ist für Newt?". Ich hob meine Hand und sah mich um. Viele meldeten sich, mehr als die Hälfte. Erleichtert atmete ich aus. "Unser neuer zweiter Anführer ist Newt", verkündete Alby.

Um mich herum brach ein Tumult aus, doch ich beachtete sie nicht. Newts Worte hatten Eindruck auf mich hinterlassen und ich war der Überzeugung, dass er Recht hatte. Wir waren hier zusammen. Zum ersten mal, seit ich hier war, fühlte ich mich nicht allein, nicht so, als wäre jeder gegen mich.
Viele der Jungen gingen auf Newt zu, gratulierten ihm oder klopften ihm auf die Schulter. Der Raum begann sich zu leeren, Gally hatte ihn als eimer der ersten verlassen, nicht ohne Newt einen abfälligen Blick zuzuwerfen. Als ich bei Newt angekommen war, waren wir beinahe allein. Ich sah im in die Augen und nickte. "Glückwunsch", sagte ich ernst. Er erwiderte meinen Blick und lächelte aufrichtig. "Danke".

Draußen atmete ich tief die Nachtluft ein. Es hatte aufgefrischt und ein kühler Wind wirbelte mir meine Haare ins Gesicht. Ich blieb kurz stehen und ließ die Geschehnisse auf mich einwirken. Newt war jetzt also zweiter Anführer. Mir war bewusst, welche Verantwortung jetzt auf ihm lastete.
Ich sah hinauf in den Himmel. Sterne sah ich dort keinen einzigen, was seltsam war. Dafür aber den Mond, der wie ein blasser Schatten der Sonne am Himmel hing. Vielleicht war es ja wirklich nicht so schlimm hier. Vielleicht war es alles eine Sache von Gewöhnung. Ich seufzte. Ich würde mich wohl niemals daran gewöhnen würden, dass ich nicht wusste, wer ich war. Mein eigener Körper fühlte sich fremd an, als würde er jemandem anders gehören. Das Gefühl blieb, als ich mich auf den Weg machte zu meiner Hängematte. Der Tag hatte mich müde gemacht, die Aufregung um George und die Abstimmung nach der ganzen Arbeit im Feld hatte mich müde gemacht. Ich suchte noch einmal die Toilette auf und zog mich schnell um.

Als ich mich auf den Weg zurück machte, begegnete ich niemandem mehr, also versuchte ich einzuschlafen, was mir auch trotz der fortwährenden Gräusche des Labyrinths schnell gelang.

DESTINY - Newt TMR ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt