Kapitel 25

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Seltsamerweise wachte ich in meiner Hängematte auf. Nach und nach kehrten wage Erinnerungen an die Nacht zurück und ich fragte mich, wie ich hierher gelangt war. Es war morgen. Um mich herum war niemand mehr, sie alle schienen schon aufgebrochen zu sein. Umso besser. Mir wurde schmerzlich bewusst, dass die Läufer also auch weg waren. Langsam stand ich auf und versuchte das aufkeimende Schwindelgefühl zu ignorieren. Nachdem ich mich schnell angezogen und gewaschen hatte, machte ich mich auf den Weg zu Bratpfanne.
"Rachel, da bist du ja!", rief jemand hinter mir. Erschrocken drehte ich mich um. Alby. "Ich hatte dich gesucht, denn du warst nicht im Sanitätsraum. Geht es dir schon besser?", während er sprach war er näher gekommen und musterte mich nun. Sein Blick war mir unangenehm, allzu bewusst war mir, wie blass ich aussehen musste. "Ja", sagte ich schlicht.
"Nun", fuhr er fort, eine Augenbraue hochgezogen, "das freut mich. Es tut mir leid, aber so langsam sollten wir wieder damit beginnen, dass du die letzten zwei Berufe ausprobierst. Ich würde vorschlagen, du hilfst heute bei den Sanitäter, wenn das für dich in Ordnung ist. Sonst ist Ben noch vor dir fertig", fügte er mit einem Grinsen hinzu. "Der Frischling hat seinen Namen wieder, ungewöhnlich schnell, wenn du mich fragst". Ich nickte nur. "Also schön, geh, nachdem du bei Bratpfanne warst, zu ihnen. Sie erwarten dich schon", damit ging er.

~*~

Dank meinem langen Aufenthalt im Krankenzimmer kannte ich die beiden Sanitäter gut. Jeff und Clint waren beide nett, ich war also gut gelaunt, als ich mich nach Bratpfannes Kreation auf den Weg zu ihnen machte. "Ah, da bist du ja", begrüßte mich Clint, als ich in den provisorischen Raum eintrat. Bis auf uns war der Raum komplett leer, es gab also nichts zu tun. "Guten Morgen" sagte ich, obwohl mir völlig bewusst war, dass es schon fast Mittag war. Clint grinste nur und deutete dann auf eine der leeren Liegen.
"Wenig zu tun, wie du siehst", meinte er. Hast wohl heute mal einen Tag erwischt, wo sich die Strünke ausnahmsweise vorsehen". Jetzt  musste ich ebenfalls grinsen. Der Tag würde angenehm werden, dessen war ich mir sicher.
Und ich behielt recht. Es war schon später Nachmittag, als Clint beschloss, Schluss zu machen. "Du hast gut geholfen", sagte er mit einem Augenzwinkern. Ich lächelte, denn wir beide wussten, dass weder er noch ich überhaupt etwas getan hatten. "Moment", jetzt sah er nachdenklich aus. "Meinst du, du könntest im Wald nach ein bischen Minze ausschau halten? Wir haben keine mehr und Bratpfanne weigert sich, seine Vorräte herzugeben. Am Bach wächst etwas, du solltest sie schnell finden".
"Natürlich", sagte ich, froh, dass ich mich doch noch nützlich machen konnte und trat in die schwüle Abendluft hinaus. Es war komplett windstill, sodass die einzigen Geräusche meine Schritte und das leise plätschert des Bachs waren, die ich auf meiner Suche begleiteten. Ich wusste natürlich, wie Minze aussah, aber es gestaltete sich schwieriger, sie tatsächlich zwischen den langen Farnhalmen auszumachen.
Was noch hinzu kam, war, dass es langsam dämmerte, sodass es noch schwieriger war, den Wald Boden abzusuchen. Es waren sicherlich zwanzig Minuten vergangen, bis ich fündig wurde. Meine Gedanken waren jäh abgeschweift zum nächtlichen Gespräch mit Newt, sodass ich sehr froh war daraus herausgerissen zu werden. Ein paar Pflanzen wuchsen, wie Clint gesagt hatte, direkt am Bach und ich bückte mich um einige davon vorsichtig auszurupfen.

Ich entschloss mich, den Bach weiter zu verfolgen, um dann am Waldrand zurück zu gehen. Die Stille war angenehm, es war fast, als sei der Wlad friedlich. Der kleine Spaziergang war mir sehr willkommen, nachdem Clint und ich den gesamten Tag im Krankenzimmer verbracht hatten. So konnte ich die Zeit nutzen und endlich über das Geschehene nachdenken. Newt wusste es jetzt. Er wusste, dass potenzielle Gefahr von mir ausging und doch hatte er sich nicht dazu entschlossen den anderen davon zu erzählen. War das Loyalität oder Naivität? War er nur ein Freund oder war da noch etwas anderes, was er letzte Nacht im Wald angedeutet hatte? Wieso vertraute er mir einfach und und versuchte gar mit zu helfen? Es war mir ein Rätsel. Er war mir ein Rätsel.
Plötzlich hörte ich etwas. Jemand war hinter mir.
Ruckartig drehte ich mich um, doch niemand war da. Stirnrunzelnd sah ich mich im halbdunklen Wald um. "Wer ist da?", ich versuchte meine Stimme so gefasst wie möglich klingen zu lassen. Ich wartete wenige Sekunden auf eine Antwort. Hätte das Rascheln aufgehört, hätte ich denken können, dass mir meine Einbildungskraft einen Streich gespielt hatte, doch das leise Geräusch setzte sich fort.
Dann sah ich ihn.
"Rachel?", fragte er, "so heißt du doch, oder?". Stocksteif blieb ich stehen. Ben. Verdammt. Ich durfte ihm nicht zu nahe kommen, ich musste mich von ihm fernhalten. Und das tat ich.
So schnell ich konnte, drehte ich mich um und rannte blindlings in die entgegengesetzte Richtung von ihm. Zweige, Äste und Blätter Peitschen mir ins Gesicht, doch ich achtete nicht darauf. Nur weg. Weg von hier, bevor etwas schlimmeres passieren konnte.
Mein Herz raste, meine Muskeln protestierten, mein Kopf war wie leer gefegt. In meinen Ohren hörte ich einen langgezogenen Ton, wie ein Piepen, das immer lauter zu werden schien. Ich rannte schnell, das einzige an das ich dachte waren die Bäume, denen ich ausweichte. Es war unmöglich im düsteren Wald zu erkennen, wohin ich rannte. Plötzlich wurde ich herumgewirbelt. Jemand hatte nach meinem Arm gegriffen und hielt mich fest. "Was ist denn los? Verdammt, ich bin es doch nur". "Lass mich los", zischte ich und erschrocken zuckte ich vor mir selbst zurück. Schwer atmend standen wir uns direkt gegenüber, er starrte mich direkt an, ich jedoch versuchte um jeden Preis zu vermeiden, dass er meinen Blick einfing. "Bitte", keuchte ich. Was müsste er wohl denken? Das ich verrückt war? Wahrscheinlich.
Dann geschah es. In dem Moment, wo er den Griff um meinen Arm lockerte beging ich den Fehler. Es war nicht mehr als eine Sekunde, die ich in seine blauen Augen blickte, doch es reichte. Alles war wie beim letzten Mal, nur hundertfach stärker. Das Gefühl war entsetzlich. Als würde ich von innen heraus verbrennen. Später hatte ich keine Erinnerungen mehr an diesen Moment. Als wäre alles dort geblieben, zwischen den hohen Bäumen, mitten im Wald. Das letzte, das ich merkte war, wie meine Hände sich zu Fäusten ballen, meine Muskeln sich am gesamten Körper anspannten. Und sein Blick. Diese Mischung aus Angst und Irritation. Aus Entsetzen und Verblüffung.

Und dann wurde alles schwarz.

DESTINY - Newt TMR ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt