Kapitel 20

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Der Schmerz war zurückgekehrt, jedoch nicht mehr so schlimm, wie am Anfang. Alle meine Glieder fühlten sich taub an, nichts konnte ich bewegen. Vor allem in meiner rechten Seite hatte sich eine Taubheit ausgebreitet, die mir den Atem nahm.
Die Berührung am Hals war sanft und kühl, fast nicht wahrnehmbar. War das eine Hand? Tastete jemand nach meinem Puls? Ich lebte, dessen war ich mir sicher, doch ich konnte meine Augen nicht öffnen. Die Dunkelheit umfing mich, wie eine große Decke, schwarz und vollkommen, wie die Nacht. Stattdessen hörte ich. Wieder konnte ich die Worte nicht verstehen, denn sie klangen, als wäre ich unter Wasser oder als wäre Watte in meinen Ohren. Ich war mir jedoch sicher, dass dort jemand sprach.
Fast zuckte ich zusammen, als ich nun eine sehr viel klarere Berührung an meiner Hand spürte. Was passierte hier? Wer war das? Ich konzentrierte mich und lenkte all meine Willenskraft darauf meine Augen zu öffnen und schaffte tatsächlich, sie einen Spalt zu öffnen. Was ich sah, war nur verschwommen und schemenhaft, doch für mich war dies schon ein kleiner Erfolg. Helles Licht drang an meine Augen und zwei Gestalten zeichneten sich davor ab. Die eine stand über mich gebeugt, die andere hockte dicht neben mir und sah auf mich hinunter. Die Gesichter waren zu verschwommen um eindeutig sagen zu können, wer dort war, doch sie kamen mir beide vertraut vor. Langsam öffnete ich meine Augen ein Stückchen weiter, sodass sich mein Blickfeld ein wenig klärte. Ich blickte in braune Augen, die mich direkt ansahen. "Sie ist wach", hörte ich jemanden sagen. Die Worte drangen wie am Rande zu mir, meine Sinne kehrten offenbar zurück.
Und dann erkannte ich, wer dort über mich gebeut war. "Newt... ", meine Stimme war krächzend, als hätte ich Jahrelang nicht gesprochen. Wie war es möglich, dass sie mich gefunden hatten? Es war mir ein Rätsel, zumal ich in meiner Flucht vor dem Griewer ziemlich weit gelaufen war. So war es mir zumindest vorgekommen. Newts Blick ruhte auf mir, er sah abgekämpft aus, als hätte er seit langem nicht mehr geschlafen. Seine Erscheinung kam mir surreal vor, fast unmöglich. Doch er war es. "Wie fühlst du dich?", fragte er leise, meinen Blick mit seinen warmen Augen einfangend. Verlegen sah ich zur Seite. Seine Worte waren klar, ich verstand jedes einzelne Wort. Meine Augen füllten sich mit Tränen, so erleichtert war ich darüber ihn zu sehen. Sein Ausdruck, als das Labyrinth sich geschlossen hatte, hatte sich in meinem Gedächtnis eingebrannt. Zu dem Zeitpunkt hatte ich gedacht, es sei das letzte mal gewesen. Ich blinzelte ein paar mal und atmete heftig aus. "Schlecht", sagte ich aufrichtig und versuchte ein kleines Lächeln. Die Schmerzen hatten sich ausgedehnt, schienen jede Faser meines Körpers zu umfassen. Das schlimmste war jedoch noch immer meine Seite, die jeden Atemzug mit flammenden Wogen des Schmerzes bestrafte.

"Du wurdest gestochen", sagte jetzt die andere Person unnötigerweise, die ich als Minho identifizierte. Er hockte sich nun auch hin. Dankbar merkte ich, dass mein Kopf auf etwas weichem lag und nicht auf dem kalten Stein. Vermutlich Newts Jacke. "Danke für diese Auskunft", sagte ich und lächelte schwach. Minho grinste zurück, wurde dann wieder ernst. "Wie haben dir das Serum gespritzt. Sahst echt nicht gut aus". "Vielen Dank", sagte ich ironisch. "Wie lange ist das her? Wann habt ihr mich gefunden?"
Minho wechselte einen Blick mit Newt. Dieser zuckte nur die Schultern. "Wir sind direkt los, nachdem sich die Tore geöffnet haben und haben dich gesucht. Du musst in der Nacht ganz schön weit gelaufen sein, wir sind in einem der äußersten Bereiche. Als wir dich gefunden haben, sahst du fast... ", Minho unterbrach sich selbst," Wir dachten schon es wäre zu spät. Aber dein Puls war noch da. Das ist schon etwas her, wir sollten uns also ein wenig beeilen, wenn wir vor der Schließung der Tore wieder zurück sein wollen. Aber überstürzen wir nichts. Du solltest dich noch ein wenig ausruhen, so etwas ist nicht ohne", endete er seinen Bericht.

Ich schwieg kurz. Dann flüsterte ich: "Danke". Minho lächelte. Seine dunklen Augen musterte mich kurz prüfend. "Dank lieber Newt, er hat das Tor die gesamte Nacht nicht verlassen und war der erste im Labyrinth. Er hat dich auch gefunden", meinte Minho. Ich sah zu Newt, der sich zurückgelehnt hatte. Er sah mich nicht an, sondern hatte seinen Blick auf die Steinwand gerichtet.
"Es tut mir leid", flüsterte er schließlich. Erstaunt drehte ich den Kopf. "Was?"
"Ich hätte das hier verhindern können, hätte ich nur besser aufgepasst. Hätte ich den Zettel besser versteckt, hätte ich ihn gleich-"
"-Newt"
Er ignorierte mich, "-vernichtet! Gally hätte ihn nie gesehen, das alles wäre nie passiert und -"
"Newt!", sagte ich lauter. Diesmals stoppte er und sah mich an. Er sah so unfassbar schuldbewusst aus und ich glaubte Minho aufs Wort, dass er die Nacht kein Auge zugetan hatte. "Newt, hör mir zu! Es ist nicht deine Schuld, okay? Du hättest mir den Zettel zeigen müssen, aber an dem hier", ich machte eine wage Handbewegung, "trägst du keine Schuld. Mach dir keine Vorwürfe". Ich wollte nicht, dass er sich plagte. Und was ich sagte, meinte ich auch so. Es war nicht seine Schuld, dessen war ich mir sicher. Er schüttelte nur den Kopf, sagte aber nichts mehr. Sein Blick wich meinem aus.

"Wir sollten uns auf den Weg machen", stellte ich fest. "Eine weitere Nacht im Labyrinth werde ich wohl nicht überleben", sagte ich trocken. Vor allem aber wollte ich endlich hier raus, die kahlen grauen Wände erinnerten mich so an die vergangene Nacht, dass mir ein kalter Schauer den Rücken runterlief. Minho nickte. "Also schön", sagte er. Newt stand auf und bot mir eine Hamd an, die ich auch nahm und mich mit seiner Hilfe langsam aufrichtete. Mir wurde auf einmal Schwindelig, schwarze Flecken tauchten in meinem Sichtfeld auf, doch ich fing mich wieder. Ich war sehr wacklig auf den Beinen und wäre fast wieder umgefällen, hätte Newt mich nicht festgehalten. Dankbar stützte ich mich bei ihm ab. Seine plötzliche Nähe fühlte sich aus irgendeinem Grund seltsam an, doch ich vertrieb den Gedanken sofort. Ich hatte dringender Probleme.

Wir kamen nur langsam vorran, aber die beiden wussten offenbar den Weg und mit der Zeit wurde es besser. Meine Seite mit dem Stich schmerzte noch immer höllisch, doch ich biss die Zähne zusammen, weswegen der Weg auch hauptsächlich schweigend zurückgelegt wurde.
Es war mir noch immer ein Rätsel, wie sie in der Lage waren, sich hier zu orientieren, denn je länger wir gingen, desto verlorener kam ich mir vor. Als wir um die nächste Biegung kamen, erreichten wir in einen hell erleuchteten Gang.
Wir hatten es geschafft. Noch vor ein paar Stunden hätte ich nie gehofft, noch einmal zurückzukehren, und nun standen wir direkt vor der Öffnung. Es hatte sich eine kleine Menschentraube davor gebildet. Die meisten kannte ich nicht wirklich, doch Zart kam direkt auf mich zugelaufen. Auch Clint lächelte mir zu, Nick nickte. Viele jubelten, manche grinsten breit. Einen so herzlichen Empfang hatte ich mir nicht vorgestellt. Alby kam auf uns zu. Er musterte mich. "Schön, dass du wieder da bist", sagte er dann. So freundliche Worte hatte ich von ihm nicht erwartet und ich lächelte ihn an. "Bringt sie zu den Sanis, sie sollte sich ausruhen", sagte er zu Minho und Newt, welcher mich noch immer stützte. Dieser nickte.

DESTINY - Newt TMR ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt