Kapitel 15

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Das Grauen breitete sich in mir aus. Panik fror meine Glieder ein, ich konnte mich vor Schreck nicht bewegen. Alles ging so schnell, die Mauern, die langsam auf mich zukamen, das Gebrüll der Jungen auf der einen Seite, das Geräusch des malmenden Stein, mein Herz, das unregelmäßig schlug und mich mein Blut durch die Adern pumpen hörte. Als hätte jemand einen Schleier über meine Sinne gelegt, hätte meine Gedanken unterdrückt und die Zeit angehalten.

Plötzlich war alles wieder da. Der Weg zurück war länger und sehr riskant, doch wenn ich die kürzere Strecke in das Labyrinth wagte, war ich so gut wie tot. Ich musste mich entscheiden. Jetzt. Die Mauern waren jetzt gefährlich nah, so nah, dass ich nicht einmal die Arme hätte ausbreiten können. Ich tat das erste, was mir in den Sinn kam. So schnell ich konnte lief ich, meine Beine fühlten sich an wie Blei, die Zeit schien stehen zu bleiben. Als würde ich im Wasser laufen, oder in Zeitlupe, so langsam kam ich mir vor.
Zu langsam.

Dann war alles vorbei. Ich hatte es geschafft. Ich drehte mich um, die Mauern waren vielleicht noch vierzig Zentimeter voneinander entfernt. Hätte ich noch länger gezögert oder die andere Seite gewählt, hätten die Mauern mich bei lebendigem Leibe zerquetscht. Nur noch ein kleiner Spalt trennte die Mauern, mehr nicht. Ich sah nur schemenhaft, was hinter den Mauern vor sich ging. Dann sah ich ihn. Newt stand dicht vor dem Spalt und sah mir direkt in die Augen. Der Ausdruck auf seinem Gesicht spiegelten meine Gefühle ziemlich gut wieder. Er sagte etwas, sein Mund formte Wörter, doch im lauten Getöse verstand ich nicht, was er sagte. Dann war es plötzlich still.

So plötzlich, wie alles geschehen war, war es auch wieder vorbei. Die Mauern hatten sich geschlossen, ich war allein. Fassungslos über das, was gerade geschehen war, starrte ich die kahle Mauer an. Emotionen überkamen mich, so stark, wie ich nie geglaubt hatte, dass ich sie spüren konnte. Wut auf Gally und die anderen, von denen einer mich hestoßen hatte. Vor allem aber Angst.
Ich atmete aus, ich hatte gar nicht bemerkt, dass ich die Luft angehalten hatte.

Plötzlich durchtuckte ein Schrei die Stille. Es war nichts, was ich jemals gehört hatte. Kein menschlicher Schrei, mehr ein Zeugnis des Grauens. Das grässliche Geräusch fuhr mir durch Mark und Bein, ließ mein Herz, das sowiso zum zerbersten Schlug, einen Schlag aussetzen. Was waren das für Wesen, die solch schreckliche Geräusche von sich gaben? Griewer, hatte Newt sie genannt.

Newt. Sein Blick wollte mir nicht aus dem Kopf gehen. Die blanke Angst, die auf seinem Gesicht geschrieben stand, ließ mir einen Schauer über den Rücken laufen. Ich hatte vermutlich nicht anders ausgesehen.

Ich betrachtete den langen Gang vor mir. Es war dunkel hier. Das wenige Licht, dass in das Labyrinth drang, war das vom Mond, der halb von Wolken verdeckt, gerade noch so zu sehen war. Ich schauderte. Erst jetzt bemerkte ich, wie kalt es hier war. Was, wenn ich hier blieb und wartete, bis zum Morgen? Wenn sich die Tore wieder öffneten? Ein Vorteil wäre, dass ich mich nicht verlaufen konnte, allerdings hatte ich so auch keinen Ausweg. Ich war gefangen in der Sackgasse. Das beste wäre also sich irgendwo zu verstecken und zu hoffen, dass ich bis zum Morgen überlebte. Niemand hat je eine Nacht dort überlebt, kamen mir Newts Worte wieder in den Sinn. Und tief im Inneren wusste ich, dass ich dies nicht ändern konnte. Ich wusste nichts. Ich war nie hier gewesen, war kein Läufer, der das Labyrinth aiswendig kannte. Doch vor allem, ich wusste nicht, wie lange ich aushalten könnte zu laufen.

Ich schluckte. Meine Zweifel würden mir jetzt nicht weiterhelfen, so viel wusste ich. Ich musste mich mit der Situation abfinden, dachte ich und ging vorsichtig los.
Schon bei der ersten Kreuzung war ich unschlüssig. Vorsichtig lugte ich um die Ecke. Leer, alle beide. Nichts was auf irgendetwas hätte hinweisen können. Ich entschied mich für den linken Gang. Es war sowiso egal, glaubte ich. Darauf bedacht nicht zu viele Geräusche zu machen, ging ich die langen Gänge entlang, ohne ein bestimmtes Ziel.
Es war aussichtslos, nirgendwo bot sich eine Art Versteck, nichts. Trotzdem ging ich weiter, regelmäßig hinter mich blickend.
Plötzlich durchzuckte ein weiterer Schrei die Nacht, diesmal blieb ich stehen. Der Schrei war nah gewesen, irgendwo von links. Mein Herz schlug laut, fast glaubte ich, man müsse es kilometerweit hören. Ich hastete weiter. Die nächste Abzweigung nahm ich nach rechts, möglichst weit weg von den Griewern.
Es war so kalt geworden, dass ich zu zittern anfing und eine kühle Brise ließ mich frösteln. Die Gänge wurden immer länger, immer mehr Abzweigungen und breite Wege. Ohne, dass ich es gemerkt hatte, hatte ich langsam aber sicher die Orientierung verloren. Am Anfang hatte ich noch versucht mir zu merken, wo ich hinging, doch die Wege verschwommen in einander. Sie sahen alle gleich aus, ohne Anhaltspunkte, wo ich war, sodass ich mehrmals das Gefühl hatte, an einem Ort schon einmal gewesen zu sein. Manche Wände waren von Efeu bewachsen, doch die Zweige unten waren meist so dünn, dass sie weder als provisorische Leiter noch als Versteck dienen konnten.
Ich ging also weiter, ständig begleitet von der stetig wachsenden Angst. Ich kam mir so klein vor, in den hohen Gängen. Als hätte man plötzlich alles vergrößert und ich wäre noch immer so wie vorher.

Plötzlich hörte ich einen weiteren Schrei. Das gellende Geräusch hallte von den Wänden wieder und verlor sich in der Ferne. Mir lief ein Schauer über den Rücken. Der Griewer musste ganz in der Nähe sein, denn der Schrei war lauter gewesen, als alle anderen zuvor. Zögernd blieb ich stehen und lauschte.
Außer meinem lauten Herzschlag hörte ich nichts, fast bedrohlich wirkte die Stille. Selbst das leise pfeifen des Windes und das generelle grummeln des Labyrinths war verstummt, dass mich auf meinem Weg begleitet hatte.

Langsam setzte ich meinen Weg so leise es ging fort. Vorsichtig schaute ich um die nächste Ecke und hätte fast laut aufgeschriehen.

DESTINY - Newt TMR ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt