Kapitel 26

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Kopfschmerzen. Das und Kälte war das einzige, was ich fühlte. Alles andere war nebensächlich. Ich spürte sie bevor ich alles andere spürte, vor dem harten Boden auf dem ich lag, vor den Scherzen meiner Seite. Vor dem Gewicht in meiner Brust und auch vor dem kratzen in meinem Hals. So etwas wie diese Schmerzen hatte ich noch nie in meinem Leben gespürt. Sie machten es mir unmöglich zu denken, die Augen zu öffnen, mich zu bewegen. Ich wollte, dass sie stoppten. Länger würde ich es nicht mehr aushalten. Langsam driftete mein Bewusstsein wieder in den grauen, dickflüssig Nebel ab und versank.
So ging es. Jedes Mal, wenn ich versuchte, gegen die Kopfschmerzen anzukämpfen, wurden sie eher schlimmer. Kein einziges Mal schaffte ich es die Augen zu öffnen. Kein einziges Mal konnte ich mich bewegen. Es hätten Stunden vergehen können, oder Minuten. Jegliches Zeitgefühl war verschwunden, nichts verriet mir, wo ich überhaupt war. Und nichts, wie ich dort hin gekommen war. Bevor sich meine Sinne erneut für lange Zeit verabschiedeten spürte ich doch etwas. Etwas warmes. Hände?

~*~

Dann wachte ich auf. Es war nicht langsam und langwierig, wie ich erwartet hatte, nein. Es war, als würde ich auftauchen mit einer Ladung Wasser im Mund. Plötzlich und Ruckartig. Röchelnd schnappte ich nach Luft und verschluckte mich augenblicklich, sodass ich hustend versuchte zu Luft zu kommen. Seltsamerweise war das erste, was ich sah, Holzstäbe. Noch immer lag ich auf dem Boden, doch er fühlte sich anders an, als letztes Mal, als ich aufgewacht war. Das seltsamste war jedoch, dass die Sonne mich blendete. Es war Tag? Seit wann? Wo war ich, wie war ich hier hergekommen? Was war passiert? Bilder wirbelten in ihrem Kopf umher, verschwanden jedoch genau so schnell wieder, wie sie aufgetaucht waren. Nur eines blieb. Blaue Augen, die sie entsetzt anstarrten. Die Pupillen vor Angst geweitet. Was war hier los?

Auf einmal merkte ich, dass ich nicht allein war. Die Stimmen um mich herum schienen von allen Seiten gleichzeitig zu kommen. Nichts ergab Sinn, alles waren nur Fetzen von Wörtern, nichts kam von der selben Person. Ich sah niemanden, aber ich hörte ihre Stimmen.

Es dauerte Minuten, bis ich es schaffte aus diesem verwirrenden Zustand herauszukommen. Anders als mein Erwachen, geschah dies langsam und schleichend, doch schließlich schaffte ich es meine Gedanken zu sortieren und mich an einer Wand in eine sitzende Position zu begeben.
Zunächst, wo war ich. Über mir Gitter, um mich herum erdige Wände. Der Bau. Ich saß im Bau.
Weiter. Wie war ich hier her gekommen? Die wage Erinnerung an warme Hände fiel mir wieder ein. Man hatte mich her getragen.
Warum war ich hier? Was war passiert? Diese Frage stellte sich als komplizierter heraus. Nichts als die unheimlichen blauen Augen fielen mir ein. Minze. Ein Bach. Bäume. Ein wichtiges Gespräch . Aber alles war zu ungenau, nichts schien wirklich Sinn zu ergeben.
Ich beschloss, mich dieser Frage später zu widmen.
Also weiter. Woher kamen die Stimmen und zu wem stammten sie? Oben. Sie waren draußen, ich war drinnen. Sie stammten von den Lichtern, deshalb waren es so viele. Die Lichter. Nachdenklich versuchte ich die Teile aneinander zu fügen. Das Problem war, dass alles grob vorhanden war. Ich wusste nun, wo ich war, von der Lichtung, den Jungen, der Box, und so weiter. Aber alle Details fehlten, sowie alles von letzter Nacht. Die Situation erinnerte mich schmerzhaft an den Moment, in dem ich mit der Box angekommen war, ohne jegliche Erinnerungen.

"Rachel".
Mein Name. In das Sonnenlicht blinzelnd blickte ich auf und sah in das Gesicht, das von oben auf mich herab sah. Er war der Junge, der mir mit den Brettern geholfen hatte. Am Tag an dem Gally den Zettel gefunden hatte.
"Nick?", der Junge nickte erleichtert. "Gott sei Dank. Ich dachte schon, du reagierst nie", antwortete er.
"Was ist hier los?", fragte ich, inständig darauf hoffend, dass er mir verraten könnte, was geschehen war. "Die Hüter haben eine Versammlung einberufen, sie wollten warten bis du aufwachst. Jetzt wo du wach bist haben sie angefangen". Eine Versammlung also. Weswegen?
"Und du?", fragte ich. "Ich soll hier aufpassen", sagte er, ebenso vorsichtig.
"Was ist passiert?", fragte ich nun doch. Ich musste es wissen. Nick zögerte allerdings.
"Du kannst dich an nichts erinnern, was letzte Nacht vorgefallen ist?", fragte er, eine Augenbraue hochgezogen.
"Ich-", doch ich unterbrach mich selbst, "Nein". Es kam mir unklug vor von den verstörenden Bildern zu erzählen, zu sehr war ich ohnehin damit beschäftigt herauszufinden, was sie bedeuteten. "Ben geht es bis auf einige Schrammen und einen gewaltigen Schock gut. Er hat es überlebt, aber das Messer war ganz schön scharf", sagte Nick.

Wie bitte? Ben... Plötzlich war alles wieder da. Alles. Glasklar bereiteten sich die letzten Wochen vor mir aus. Mit einem entscheidenden Detail, das fehlte. Ich wusste zwar, was letzte Nacht passiert war, aber abgesehen von Bens Gesichtsausdruck konnte ich mich an nichts erinnern. Gruselig.
"Messer?", auch das war neu. "Das selbe, welches du aus der Box mitgebracht hast", sagte Nick. Ich war ihm dankbar, dass er so geduldig auf meine Fragen antwortete. Ich seufzte. "Dann heißt es wohl warten, bis sie fertig sind", sagte ich ruhig und horchte in mich hinein. Hatte ich Angst? Nein.
Tief in meinem Innern wusste ich, wie die Entscheidung ausfallen würde. Ich wusste, wofür sie abstimmen würden. Und ich fragte mich, ob ich dasselbe getan hätte. Ein Gedanke allerdings ließ mich den gesamten Tag nicht mehr los. Es war fast, als spürte ich seine Hand wieder auf meiner, sah das funkeln in seinen ernsten Augen. Es waren diese Momente, die es Wert waren, erinnert zu werden. Er war es Wert, erinnert zu werden.

DESTINY - Newt TMR ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt