Kapitel 11

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Als ich am nächsten Morgen erwachte, dämmerte es gerade und die anderen schienen noch zu schlafen. Neben meiner Hängematte fand ich eine kleine Kiste mit Kleidern, die anscheinend für mich gedacht waren. Rasch zog ich mich an. Ich wusste nicht, wieso, aber aus irgendeinem Grund zog es mich zum Wald. Der Morgen war noch frisch von der Nacht und ich fröstelte ein wenig, als ich um die Bäume striff und meine Finger an der kalten Rinde herabgleiten lies.
Nachdem ich ein wenig gegangen war, stieß ich auf einen Bach, der vor sich hin plätscherte. Er war nicht Breit und mit etwas Anlauf konnte ich einfach darüber springen. Auf der anderen Seite kam mir eine Idee. Ich suchte eine halbwegs klare Pfütze und beugte mich darüber. Das Wasser ließ mich meine groben Gesichtszüge erahnen. Es war ein seltsames Gefühl, in sein eigenes Spiegelbild zu schauen, wenn man sich scheinbar das erste mal sah. Meine Haare, die eine braue Farbe hatten und mir ungefähr bis zu den Schultern reichten, fielen mir ins Gesicht. Ich stand wieder auf. Es war egal, wie man hier aussah.
Ich ging weiter, ohne genau zu wissen, wohin ich eigentlich ging. Hinter den Bäumen sah ich die Mauer des Labyrinths aufragen. War ich schon so weit gekommen? Ich ging auf die Mauer zu und legte meine Hand auf den grauen, nackten Stein. Er fühlte sich kalt an, obwohl die aufgehende Sonne darauf fiel. Langsam wandte ich mich ab und ging an der Mauer entlang. Der Wald lichtete sich langsam und ich stand wieder auf der großen freien Fläche, an der Newt seine Führung mit mir beendet hatte. Obwohl sie erst gestern  Morgen gewesen war, fühlte es sich an, als lägen Jahre dazwischen. Zwei Jungen kamen in meine Richtung gelapufen. Von weitem erkannte ich den Läufer Minho und... Newt? Er war auch Läufer, es war also nur natürlich, dass er heute wieder ins Labyinth lief. Die Beiden schienen mich nicht bemerkt zu haben, denn an der Mauer angekommen blickten sie kein einziges Mal in meine Richtung. Ich hatte das Bedürfniss zu ihnen zu gehen und löste mich von der Mauer. Minho schien mich als erstes bemerkt zu haben und stieß Newt an, der sich auch zu mir umdrehte, als ich auf sie zu kam. "Was tust du hier?", fragte Minho. Ich zuckte mit den Schultern. "Spazieren?", sagte ich wenig überzeugt. Newt erwiderte meinen Blick skeptisch.
Das laute Dröhnen, das mich schon gestern erschreckt hatte lenkte meine Aufmerksamkeit auf die Mauern. So nah war ich noch nie daran gewesen, als die Mauern geöffnet waren. Fasziniert beobachtete ich die gewaltigen Wände, die sich auseinanderschoben und den Blick auf einen langen, mit Efeu bewucherten Gang freigaben. Die Mauern sahen schon von außen gigangisch aus, von innerhalb des Labyrinths mussten sie jedoch noch bedrängender wirken. Wie alles umschließende dunkle Säulen, die nur einen Streifen des Himmels freiließen.
Ich wandte mich ab. "Viel Glück", murmelte ich. Nach dem, was mit George geschehen war, wurde ich den Gedanken nicht mehr los, dass jedes mal, wenn sie in das Labyrinth liefen, vielleicht das letzte mal sein könnte. "Danke", murmelte Newt hinter mir so leise, dass nur ich es hören konnte.
Und dann liefen sie los, ohne einen Blick zurück zu werfen.

~*~

Ich war zurück zu den anderen gegangen und hatte mir von Bratpfanne etwas zu frühstücken geholt. Alby war auf mich zugekommen und hatte mir mitgeteilt, dass ich den Tag bei Winston und den anderen Schlitzern im Bluthaus verbringen sollte. Wenig beistert auf diese Aussicht aß ich auf und folgte dem Jungen, der anscheinend Winston war.
"Wir passen hier auf die Tiere auf und kümmern uns um sie", erklärte er unnötigerweise. "Hin und wieder schlachten wir eines der Tiere, aber heute nicht. Du kannst allerdings beim Einsammeln der Eier helfen".
Erleichtert nickte ich.

Die Arbeit im Bluthaus, dessen Name sich zum Glück als nicht zutreffende Beschreibung herausstellte, war anstrengender als in den Gärten. Ich hoffte inständig, dass der Rat mich nicht hierher einteilen würde, aber ich sah ein, dass die Arbeit wichtig war.
Die Stunden zogen dahin und immer wieder drifteten meine Gedanken zu den Ereignissen der der letzten Tage. Vor allem aber dachte ich an Newt und seine Worte bei der Wahl. Warum hatte er mich am Ende so traurig angesehen? Irgendetwas stimmte mit ihm nicht und ich wollte herausfinden, was es war. In der Mittagspause hatte ich eine nette Unterhaltung mit Zart. Obwohl ich nicht mehr in den Gärten war, verstanden wir uns ausgezeichnet, denn er war wirklich lustig, was man von den Jungen im Bluthaus nicht behaupten konnte. Je länger ich dort war, desto schneller wollte ich dort auch wieder weg. Es war nicht die Arbeit, die mir missfiel, sondern die Leute dort.

Gegen Abend, ich hatte bei den Hühnern geholfen und den Stall alleine ausgemistet, war ich erschöpft, wie noch an keinem Abend. Aus irgendeinem Grund hatten mich meine Beine, während ich in Gedanken war, zu der Mauer des Labyrinths geführt. Ohne zu wissen, was ich dort eigentlich tat, ging ich auf das große Tor zu, dass im Westen aufragte, dem Stand der Sonne nach zu urteilen. Merkwürdig, dass ich mich an solch grundlegende Sachen erinnerte, während mir meine Familie und Herkunft schleierhaft waren. Es war aber der Fakt, dass ich meinen Namen noch immer nicht wusste, der mich langsam in die Verzweiflung führte, ganz zu Schweigen davon, dass die Situation sowiso absurd war. Eingesperrt in einer Lichtung, umgeben von riesigen Mauern? Wer kam auf so etwas? Die anderen nahmen es vielleicht als normal wahr, hatten sich daran gewohnt, doch ich war mir nicht sicher, ob ich das jemals könnte.

Plötzlich nahm ich eine Bewegung wahr. Die Läufer waren zurück! Newt und Minho sahen erschöpft aus, was ich ihnen nicht verdenken konnten. Kaum hatten sie die Lichtung erreicht, liefen sie langsamer und gingen schließlich in Richtung Wald. Was sie dort nur taten? Ich wollte nicht zu neugierig wirken und folgte ihnen nicht.
Stattdessen ging ich zurück zu Bratpfanne. "Heute keine gute Laune?", fragte dieser. Gezwungen lächelnd schüttelte ich den Kopf. "Tja, dann guten Appetit. Morgen kann nur besser werden". Ich bedankte mich noch immer lächelnd und setzte mich wie gewohnt allein an einen Tisch. "Wie war dein Tag?", fragte mich jemand und schon ohne mich umzudrehen erkannte ich Newts Stimme. Wo der schon wieder herkam? Ich blickte auf und sah erstaunt, wie er sich zu mir setzte. "In Ordnung", sagte ich, währrend ich die Schultern zuckte. "Wenn man es mag Tierklonk wegzumachen, ist man dort richtig, schätze ich". Newt lachte.
"Was?", fragte ich verwirrt.
"Du hast 'Klonk' gesagt", erklärte er.
"Das ist das erste Mal, dass du ein Wort von uns benutzt".
Dass ihm so etwas auffiel, dachte ich, musste aber auch schmunzeln. "Na dann hoffe ich mal, dass morgen besser wird", sagte er.
Eine kurze Pause entstand, in der wir schweigend weiteraßen.
"Und bei dir?", fragte ich leise. Sein Blick wurde wieder ernst und mit einer wegwerfenden Handbewegung sagte er: "Anstrengend, aber wie immer".
"Ihr habt also nichts gefunden?", fragte ich nach und hätte die Frage am liebsten wieder zurückgenommen, als ich sein niedergeschlagenes Kopfschütteln sah. "Wir suchen nach Mustern, ich habe dir ja erzählt, dass die Wände ich in der Nacht verschieben".
Ich nickte. Irgendwie tat er mir Leid. Seine Verabscheuung gegen das Labyrinth war offensichtlich, also die Überwindungskraft zu haben, jeden Tag dort hineinzugehen, fand ich bemerkenswert. Er seufzte, murmelte etwas, das wie "Gute Nacht" klang und ließ mich allein.

Ich folgte seinem Beispiel und ging ebenfalls zu meiner Hängematte. Schnell übermannte mich die Müdigkeit und ich schlief ein. Was den nächsten Tag anbelangte, sollte Newt jedoch nicht Recht behalten.

DESTINY - Newt TMR ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt