Kapitel 12

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Am nächsten Morgen wurde ich durch lautes Stimmengewirr unsanft aus meinem Schlaf gerissen. Neugierig geworden näherte ich mich der Menschentraube, die sich vor dem Versammlungshaus gebildet hatte.

"Gally! Hör auf mit dem Unsinn!", schon von weitem hörte ich Albys Stimme über die Fläche hinweg. "Wieso hat er es uns nicht gesagt?", sagte dieser aggressiv.
Um was ging es hier? Als ich noch näher kam, sah ich mit Schrecken, dass Gally sich vor jemandem aufgebaut hatte und mit etwas herumwedelte. Augenblicklich blieb ich stehen.
War das nicht der Zettel, den ich in meiner Tasche gefunden hatte? Wo hatte Gally den her und vor allem, was hatte Newt damit zu tun? Er stand vor Gally mit verschränkten Armen und sah ihn wütend an. Alby und einige andere standen um die Beiden herum. "Als George sie angegriffen hat, ist er ihr aus der Tasche gefallen", sagte Newt nun. Ich schnappte nach Luft. Was ging hier vor sich? Newt hatte den Zettel gefunden, ohne ihn mir zurückzugeben? Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht, es mir zu sagen, was drauf stand? Wut breitete sich in mir aus, doch hauptsächlich war ich enttäuscht von ihm. In den letzten Tagen hatte ich geglaubt, wir wären so etwas, wie Freunde. Aber anscheinend sah er das nicht so. "Newt, dir ist bewusst, dass du uns das hier nicht hättest vorenthalten sollen. Aber Gally, beruhige dich!", Alby sah zwischen den Beiden hin und her.

"Ich soll mich beruhigen? Wie bitte, Alby? Hast du vergessen, was hier steht?", Gally wandte sich nun Alby zu. "Nein, Gally. Aber denk doch nach! Dieser Zettel wurde höchst warscheinlich von den Schöpfern geschrieben, warum sollten wir denn tun, was sie uns sagen? Sie sind schließlich dafür verantwortlich, dass wir alle erst einmal hier sind!"
Gally schüttelte den Kopf, "Woher sollen wir wissen, dass sie nicht einer von ihnen ist?"

"Was?", es reichte mir entgültig. Die Jungen, die offenbar nicht gemerkt hatten, dass ich dabei war, drehten sich schlagartig zu mir um. "Was ist hier los?", fragte ich laut.
"Was hier los ist?", mit gehobenen Augenbrauen Gally ging langsam auf mich zu. "Das würde ich gerne von dir wissen! Du kommst hier an und alles geht den Bach runter. Schau dir George an".
Ich zog scharf die Luft ein. Was mit George geschehen war, war doch nicht meine Schuld! Es war allgemein bekannt, dass er schon gestochen war, bevor ich hier ankam! "Und dann das hier. Kommt dir das bekannt vor?", fragte er. Spöttisch hielt er mir den Zettel hin, den ich ihm abnahm. Von dem, was ich in Eile in der Box davon gesehen hatte, ließen mir keine Zweifel übrig. Das war definitiv der Zettel, den ich in meiner Tasche gefunden hatte. Als ich ihn umdrehte, verschwamm plötzlich alles vor meinen Augen. Die zwei Worte, die dort standen ließen mir das Blut in den Adern gefrieren und ich hatte Mühe, mich auf den Beinen zu halten und schwankte. Die Worte, mit akkurater Handschrift in schwarzer Tinte geschrieben, lauteten:

Kill her.

Auf einmal fing mein Herz wie wild an zu schlagen. Ich starrte auf die Worte vor mir, die Worte, die keinen Sinn ergaben. Langsam hob ich meinen Blick wieder. Es war still, als hätte jemamd den Ton ausgestellt. Gally sah mich wutendbrannt an, Alby sah ernst aus. Ich begengnete Newts Blick, seine Miene sah wie versteinert aus. Ein Ausdruck von Angst lag darunter, fast nicht sichtbar. Jetzt wusste ich, warum er mir nichts gesagt hatte. Hätte ich in seiner Situation genauso gehandelt? Hätte ich geschwiegen, bis sich etwas anderes ergeben hätte? Ich wusste es nicht, musste ich mir eingestehen. Sollte ich ihm nicht sogar Dankbar sein, weil er versucht hatte, die Botschaft vor den anderen Geheim zu halten, damit niemand auf schreckliche Ideen kam? Hatte er das überhaupt? Gally hatte den Zettel schließlich in die Finger bekommen und es sah nicht so aus, als würde er das Geschriebene kategorisch ausschließen.
Und dennoch, er hätte es mir sagen sollen. Wenn nicht ich, wer dann hätte das Recht zu wissen, was dort stand, außer mir? Schließlich war es mein Tod, den das Papier forderte.

Newt hatte meinem Blick standgehalten, sah nun aber weg.
Sie schienen auf meine Reaktion auf die Nachricht zu warten, denn die umstehenden sahen mich erwartungsvoll an. "Wäre ich einer der Schöpfer", sagte ich leise, aber eindringlich, "dann würden sie mich weder hier reinschicken, noch von euch verlangen mich umzubringen". Mit meinem Blick fixierte ich Gally, welcher unbeirrt zurück starrte. "Ich weiß nicht, warum wir hier sind. Aber ich weiß, dass es nichts bringt, wenn wir uns gegenseitig Schaden zufügen. Die Schöpfer, WCKD, wie ihr sie nennt, sie sind unser Feind"
Die Stimmung war noch immer angespannt, doch das drückende Schweigen war gebrochen. Manche nickten zögerlich. Gally kam noch einen Schritt näher. "Du kannst sagen, was du willst, du Strunk. Ich glaube dir nicht und ich mag dich nicht", sagte er ganz offen.

Ich zuckte nicht mit der Wimper und erwiderte seinen Blick kühl. Alby schien es zu reichen. "Los, macht euch wieder an die Arbeit", scheuchte er die anderen weg. "Und du,", sagte er zu mir, "tut mir leid, aber du bist heute bei den Baumeistern", wenig mitfühlend deutete er auf Gally. Fassungslos sah ich ihn an. "Wie bitte? Gally hat mir gerade offen gedroht, da soll ich den ganzen Tag dort-", Alby unterbrach mich.
"Dir tut hier niemand was. Es mag sein, dass Gally etwas gegen dich hat, aber er ist nicht dumm. Er kennt die Regeln, greift er hier irgendwen direkt an, wird er verbannt". Und dann ging er.

Immer noch wütend sah ich ihm hinterher. Er hatte Recht, das wusste ich. Die Aussicht aber, den Tag mit Gally verbringen zu müssen, war mir zuwider. Als ich mich umdrehte merkte ich, dass Newt auf mich zu kam. Ich wollte nicht mit ihm reden. Nicht jetzt. Ich warf ihm einen enttäuschten und wütenden Blick zu und ging in die Richtung, in die Gally gegangen war. Newt holte mich nicht ein, stellte ich mit genugtuung fest. Er hatte wohl ein schlechtes Gewissen.

DESTINY - Newt TMR ✔️Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt