Der Junge, der um das Gebäude herum kam, war nicht Alby, sondern ein kräftiger, großer Kerl.
Ein paar Meter entfernt von mir blieb er stehen. Er hatte blonde Haare, die im Licht des späten Nachmittags fast rötlich aussahen. "Gally", stellte er sich vor und bedeutete mir mit ausdruckslosem Blick zu folgen. Wortlos stand ich auf und ging ihm hinterher. Wir durchquerten schweigend die Lichtung, bis wir bei den Anderen angekommen waren. Schon von weitem hörten wir sie durcheinanderreden. Anscheinend durften nicht alle an den Versammlungen teilnehmen, denn im Raum saßen nur circa zehn Jungen, die mich alle ansahen und verstummten, als ich nach Gally, der immer noch schwieg, den Raum betrat. "Noch nicht einmal eine Stunde hier und schon hast du Schwierigkeiten", sagte Alby. Ich runzelte die Stirn. Soweit ich mich erinnerte hatte dieser George mich hinterrücks angegriffen, inwiefern war dies also meine Schuld?
Ich setzte dazu an mich zu rechtfertigen, doch Alby sprach schon weiter. "Es ist nicht deine Schuld, das wissen wir. George ist im Bau, wir werden ihn aber wieder rauslassen. Er selbst sagt, er wisse nicht, was in ihn gefahren ist. Wir dachten, das solltest du wissen." Wenn der 'Bau' so etwas wie ein Gefängnis war, war der Junge dort vielleicht nicht schlecht aufgehoben, dachte ich. Nickte jedoch, da ich mir bewusst war, dass ich eh nichts ausrichten konnte. "Hier", zu meinem Erstaunen reichte Alby mir mein Messer, das ich entgegennahm. "Es ist besser, du benutzt es nicht, aber man kann ja nie wissen". Ich bedankte mich mit einem Nicken und steckte das Messer wieder ein. Plötzlich fiel mir der Zettel wieder ein, den ich in der Kiste gefunden hatte. Meine Hosentasche aber war leer, bis auf das Messer, das ich nun hineingleiten lies. Wie erstarrt hielt ich inne. Ich hatte keine Ahnung, was dort stand, aber jeder kleinste Hinweis auf die Gründe von allem würde mir weiterhelfen. Außerdem, wenn jemand ihn fand, konnte er jederzeit gegen mich verwendet werden.
"Hey", Alby unterbrach meine Gedanken. "Alles in Ordnung? Ich glaube, es ist besser, wenn wir die Führung doch auf Morgen verlegen, ist eh schon spät"
Führung? Perplex sah ich ihn an und merkte, wie mich alle im Raum ansahen. Ich wurde ein wenig rot und nickte dann. "Also schön", er wandte sich von mir ab. "Gally, du wirst morgen die Führung machen, zeig ihr jetzt bitte ihre Hängematte". Der große Junge, er sah aus wie 17, sah Alby wütend an. "Warum ich? Ich muss morgen den Zaun vom Blutshaus reparieren. Oder wollt ihr, dass die Tiere ein weiteres mal rauskommen?"Alby gab sich anscheinend geschlagen, denn er seufzte und schüttelte dann den Kopf. "Schön, wir finden jemand anderen. Bring sie jetzt trotzdem bitte zu ihrem Schlafplatz".
Ich hatte dem Wortwechsel der Beiden nur mit halbem Ohr zugehört. Dieser Gally kam mir nicht sonderlich sympathisch vor. Ich konnte ihm jedoch nicht unbedingt verübeln, dass er ungerne seine Zeit mit mir verschwendete, in Anbetracht der Tatsache, dass ich bereits bei meiner Ankunft in eine unangenehme Angelegenheit verwickelt war. Wieder in sein übliches Schweigen verfallend ging Gally aus dem Raum, sich noch einmal vergewissernd, dass ich ihm folgte. Die Blicke der Anderen brannten in meinem Rücken, als ich die Stufen hinabging, die zum Raum führten. Ich war hier fremd, gehörte hier nicht her. Niemand machte auf mich den Eindruck, als wäre ich hier willkommen, sie alle wirkten irgendwie niedergeschlagen. Auch Gally, der es sich jedoch keinesfalls anmerken zu lassen versuchte wirkte seltsam auf mich. Als wäre seine Härte nur Teil, einer Fassade, die die eigentliche Verzweiflung verbarg. Wie lange ging das hier schon so? Wie lange würde es noch so weitergehen, bis wir hier rauskamen. Gab es überhaupt einen Ausgang? Alby hatte ein Labyrinth erwähnt, ein Labyrinth hatte doch immer ein Ausgang, oder? Die Fragen, die sich in meinem Kopf festgesetzt hatten, ließen mir keine Ruhe.
Gally brachte mich zu einer Ansammlung anderer Jungen, die an wackligen Tischen saßen und eine seltsame Brühe aßen. "Hol dir dort bei Bratpfanne dein Essen", sagte Gally und deutete auf einen Jungen, der mit einer Schürze ausgestattet gerade jemandem die Brühe auf den Teller tat. "Ich bringe dich zu deiner Hängematte, wenn du fertig bist", sagte er und wandte sich ab. Der schien ja wirklich etwas gegen mich zu haben. Bratpfanne schien dagegen freundlicher zu sein. Ich erkannte ihn von vorhin aus der Versammlung wieder und nickte ihm zu. Dieser lächelte mich an und füllte mir etwas vom Suppen-ähnlichen Gemisch auf einen Teller. Es schmeckte besser, als es aussah, wie ich feststellte. Niemand setzte sich zu mir, worüber ich recht Dankbar war. Stattdessen warfen mir die Anderen immer wieder Blicke zu, was mich aber auch nicht großartig störte. So hatte ich immerhin ein wenig meine Ruhe.Der Schlafplatz, den Gally mir zuwies entpuppte sich als eine einfache Hängematte von einem Baum zum anderen gespannt. Sie lag etwas Abseits, halbwegs gut geschützt. Ich bedankte mich bei ihm, als er dich wieder entfernte. Es war inzwischen dunkel geworden, dennoch war es immer noch warm. Durch die Zweige der Bäume beobachtete ich einige Jungen, die sich verabschiedeten. Das Gemeinschaftsgefühl hier war bemerkenswert. Sie alle saßen hier fest, sie alle konnten nicht zurück. Und nach dem zu Urteilen, was Alby mich gefragt hatte, hatten wohl alle ihre Erinnerungen an ihr früheres Leben verloren. Ich wusste nicht einmal meinen Namen oder die meiner Familie, wenn ich denn eine hatte.
Währrend ich dalag und meinen Gedanken nachging, hörte ich dröhnende Geräusche aus der Richtung des Labyrinths. Ich war jedoch zu müde, um mir darüber den Kopf zu zerbrechen und beschloss morgen jemanden zu fragen.
Noch lange lag ich wach und versuchte einzuschlafen, was mir auch tatsächlich gelang. Ich schief einen traumlosen, aber unruhigen Schlaf, wachte jedoch immer wieder auf. Doch alles schien ruhig.Plötzlich wurde ich am Arm geschüttelt und wachte auf.
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DESTINY - Newt TMR ✔️
FanficEin Zettel ist ihr einziger Anhaltspunkt, als sie jeglichen Erinnerungen beraubt in der Box aufwacht, ohne zu wissen wer sie ist, oder wo sie hingebracht wird. Das Leben auf der Lichtung, als einziges Mädchen unter dreißig Jungen, birgt unerwartete...