Mit einem plötzlich auftretenden mulmigen Gefühl beobachtete ich, wie Herkules sich an den Aufstieg des Berges Othrys machte. Dort oben würde er meinem Vater gegenüberstehen, welcher auf seinen Titanenschultern die schwere Last des Himmels trug. Und das schon seit jeher. Aus sicherer Entfernung beobachtete ich den Helden dabei und zum ersten Mal spürte ich wahrhaftig eine langsam ansteigende Unsicherheit. Einerseits verhalf mir Herkules seit seiner Ankunft im heiligen Garten der Hesperiden zu einem Abenteuer und andererseits würde der Zorn meiner Schwestern groß sein, was zur Folge hätte, dass sie mich aus meinem Zuhause werfen würden. Doch der Plan war inzwischen angelaufen und es käme mir falsch vor, diesen jetzt aufzugeben.
"Ich kann Dir Deine Bürde abnehmen, wenn Du für mich gehst und die Äpfel bringst", hörte ich Herkules' Stimme. Inzwischen stand er meinem Vater, dem Titanen Atlas, gegenüber, welcher durch die schwere Last des Himmels auf seinen Schultern auf seine Knie gesunken war. "Und nicht nur das", ergriff Herkules weiter das Wort, "ich werde Dich auch angemessen bezahlen." Ich hielt den Atem an. Nach einer kurzen Überlegung nickte mein Vater und willigte ein. Und während mein Held sich mit einem leichten Seufzer die beiden Enden des Himmels auf seine Schultern hievte, stieg mein Vater vom Berg hinab, um die goldenen Äpfel zu holen. Ich wartete gefühlt ein, zwei Minuten, um nicht ins Blickfeld meines Vaters zu geraten (sollte er aus welchem Grund auch immer zurückkehren) und gab mich dem am Boden knienden Herkules zu erkennen, nachdem ich mir vollstens sicher war, den Zorn meines Vaters nicht zu früh heraufzubeschwören.
"Hallo mein Held", rief ich ihm so leise zu, dass nur er mich hören konnte. Er schaute in meine Richtung und ließ ein kleines Lächeln über seine Lippen wandern. "Hallo, meine Hübsche", erwiderte er, "dein Plan scheint tatsächlich zu funktionieren." "Bleib stark, mein Held", antwortete ich ihm. "Bleib stark, dann wirst Du es durchstehen." Herkules nickte wissend und ich vernahm die Schritte, die die Rückkehr meines Vaters ankündigten. Schnell verschwand ich wieder in meinem Versteck aus dem schützenden Schatten des Hügels, von welchem ich die Szenerie beobachtete. "Nun, da Du meine Last auf Dich genommen hast, junger Held", drang die dröhnende Stimme meines Vaters an meine Ohren, "bringe ich die goldenen Äpfel gerne für Dich zu Deinem König Eurystheus." "Eine glänzende Idee"; erwiderte Herkules. Er hielt unser Vorhaben noch immer aufrecht und ich kam nicht umhin, ihn hierfür zu bewundern. "Aber bitte, bevor Du aufbrichst und meine Aufgabe als gelöst erklärst, lass mich ein letztes Mal mein Fell geraderücken, damit die Schwere der Last mich nicht erdrückt." "Das scheint mir billig zu sein", erwiderte mein Vater, warf die Äpfel zu Boden und befreite den Helden von seiner Last. Darauf hatte Herkules nur gewartet. So schnell er konnte, griff er nach den Äpfeln und brachte ein wenig Abstand zwischen sich und meinem überraschten Vater. "Wie gesagt, ein hübsches Angebot", meinte Herkules, "aber die mir gestellten Aufgaben erledige ich doch lieber selbst." Mit den erbeuteten Äpfeln wandte er sich um, ohne meinem Vater, der vor Wut tobte und brüllte, noch eines Blickes zu würdigen und machte sich an den Abstieg.
Am Fuße des Berges trafen er und ich wieder aufeinander und ich gratulierte ihm zu seiner bestandenen Aufgabe. "Nicht doch, nicht doch", winkte er ab. "Das war doch durch und durch Deine Idee, meine Hübsche. Hab Dank", fügte er hinzu und gab mir einen flüchtigen Kuss auf die Stirn. Ich beschloss, ihn auf seiner Rückreise zu König Eurystheus zu begleiten.
Der Palast des Königs war im Inneren prunkvoll eingerichtet und - eskortiert von zwei Wachen - betraten wir den riesigen Thronsaal, in dessem Zentrum der Thron, auf welchem ein älterer Mann saß, stand. "Hallo, mein Bruder", begrüßte der König meinen Helden. "Da bist Du ja wieder. Wie steht es um Deine Aufgaben?" Etwas in seiner Stimme veranlasste mich dazu, ihm in Gedanken von seinem Thron zu ziehen und ..... "Ich habe die 12 Aufgaben gemeistert, mein Herr", riss mich die Stimme von Herkules aus meinen Gedanken. Ein Lächeln umspielte Eurystheus' Lippen. "Dann hast Du Ladon also besiegt", sagte er. "Sehr schön. Berichte mir doch davon." Dieser Bitte kam Herkules nach, doch er erwähnte mit keinem einzigen Wort meine Unterstützung.
Den Rest des Gesprächs der beiden Männer bekam ich nicht mehr mit, denn ich war - erfüllt mit Enttäuschung, Wut und einem Gefühl der Traurigkeit - aus dem Palast gestürmt. Wie konnte er mir das nur antun? Wie? ICH war diejenige, die den Plan entwickelt hatte, meinen Vater auszutricksen. Und er? Er hielt es nicht einmal für nötig, mich mit einer Silbe zu erwähnen.
Mit gebrochenem Herzen und einer mehr und mehr anschwellenden Wut, trat ich den Rückweg zum Garten der Hesperiden an.....
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The Life of Zoë Nightshade
FantasyMan könnte schon sagen, dass mein Leben in gewisser Art und Weise.... ein wenig speziell gewesen war. Ach, was heißt "ein wenig"? Als Tochter der Göttin Pleione und des Titanen Atlas, sollte mein Leben doch ausgefüllt sein, oder? Und dennoch.... ich...