Die Wintermonate hatten begonnen, als wir - Dank des Gottes Apollo - endlich im Camp Half-Blood angekommen waren. Einige meiner Waffenschwestern waren schon einmal hier gewesen, bevor sie sich dazu entschlossen hatten, sich Artemis und ihrer Jagd anzuschließen. Warum wir Jägerinnen ins Camp Half-Blood ziehen mussten? Unsere Anführerin Artemis hatte eine Mission, die sie - auch unter unserem Protest - alleine bestreiten musste. Bei unserer Ankunft im Camp hatten wir uns selbst in Hütte 8 einquartiert und lebten uns -so gut wir es konnten - auf Long Island ein.
Es war bereits späte Nacht, als ich aus einem Traum schweißgebadet erwachte. Ich hatte einen Albtraum. Einen Albtraum, in welchem Artemis von einem gigantischen schwarzen Schatten verfolgt wurde, der sie rasch einholte und gewaltsam mit sich fortriss. "Was ist los?", meinte Phoebe, die ich durch meinen kleinen Aufschrei geweckt hatte. "Etwas.... etwas hat unsere Herrin entführt", erzählte ich ihr rasch. "Wir müssen sie retten, das ist unsere Pflicht." "Aber, jetzt ist ein schlechter Zeitpunkt", meinte Phoebe. "Wahrscheinlich würde es bemerkt werden, wenn wir uns jetzt fortschleichen würden. Lass uns.... lass uns bis morgen warten, dann sprechen wir mit Chiron. In Ordnung, Zoë?" Widerwillig nickte ich. Es dauerte eine Weile, bis mich erneut der Schlaf überkam und der Rest der Nacht verlief traumlos.
Mein Versuch, Chiron, den Zentaur, auf meinen Albtraum in der vergangenen Nacht zu unterrichten, scheiterte. Er hatte mir zwar versprochen, mich im Laufe des Tages anzuhören, allerdings reichte mir das nicht. Immerhin ging es hier um unsere Anführerin. Unsere geschätzte Göttin Artemis. Ich kehrte unverrichteter Dinge zu unserer Hütte zurück und erstattete meinen Mitjägerinnen Bericht und sie teilten meinen Unmut. Für den Abend, nach dem Abend - quasi als "Willkommen heißen" unsererseits, hatte Chiron das Camp-Spiel "Eroberung der Flagge" ausgerufen, ein Spiel, in welchem es darum geht, die Flagge des jeweils anderen Teams zu erobern. Einige meiner Schwestern waren bei ihren ehemaligen Besuchen im Camp Half-Blood schon Teil dieses Spiels gewesen, weshalb sie unauffällig die Augen verdrehten und den Kopf schüttelten. Ich warf einen vorwurfsvollen Blick auf Chiron. Wie konnte er denn meinen Traum so leicht abtun? Doch, wir alle hatten keine Wahl. Wir mussten uns auf das Ritual einlassen.... aber so leicht würde ich den Zentaur nicht davon kommen lassen.
Wir rannten durch den Wald, mit dem Ziel vor Augen, diesen "Kampf" für uns zu entscheiden. Unser für dieses Duell ausgedachter Plan ging auf und so war ich es, die - trotz der Verfolgung von Percy Jackson, dem Sohn des Meeresgottes Poseidon - die Flagge der Campbewohner für die Jägerinnen gewinnen konnte. Als ich - mit meiner Beute - aus dem Wald angerannt kam, konnte ich schon die Jubelschreie meiner Mitjägerinnen vernehmen. Siegreich hielt ich den erbeuteten Preis hoch. Chiron kam - gefolgt von zwei angeschlagenen Campern - aus dem Wald, um das Ergebnis zu verkünden. "Die Jägerinnen haben gewonnen. Zum sechsundfünfzigsten Mal hintereinander."
Unser Sieg beim Spiel "Eroberung der Flagge" hatte einen handfesten Streit zwischen Thalia und Percy Jackson ausgelöst, die sich wohl gegenseitig die Schuld dafür gaben, nicht rechtzeitig an unsere Flagge herangekommen zu sein. Doch der Streit wurde jäh unterbrochen, als sich plötzlich eine Gestalt aus dem Wald näherte. Das seltsame Wesen - offenbar in grünen Nebel gehüllt - bewegte sich langsam auf uns zu. Es hatte das Aussehen einer verwitterten Mumie. "Das ist unmöglich", sagte Chiron gerade und klang dabei beinahe nervös. "Es .... sie hat die Mansarde noch nie verlassen. Niemals."
Die Mumie, die aus dem Wald heraus auf uns zu schlurfte, beherbergte das Orakel von Delphi, ein Orakel, das vom Gott Apollo erschaffen wurde. Nachdem es in unserer Mitte zum Stehen gekommen war, hörte ich eine Stimme in meinem Kopf. Den anderen erging es wohl ähnlich, denn einige begannen, sich die Ohren zuzuhalten. "Ich bin der Geist von Delphi", sagte die Stimme. "Ich bin die Sprecherin der Weissagungen des Phoebus Apollo, der den mächtigen Python erschlagen hat." Dann wandte es sich mit seinen kalten und toten Augen an mich und dieses Mal galt die Stimme des Orakels alleine mir. "Tritt näher, Suchende, und frage." Ich schluckte ein-, zweimal und fragte dann: "Was muss ich tun, um meiner Göttin helfen zu können?" Das Orakel öffnete seinen Mund und grüner Nebel quoll daraus hervor. Vage erkannte ich das Bild eines Berges und auf seiner Spitze - an schwere Ketten gefesselt - stand.... Artemis. Sie schien auf Knien zu hocken und hatte ihre Hände erhoben. In ihrem Blick erkannte ich, dass sie wohl Schmerzen erleidete. Große Schmerzen. Dann hörte ich erneut die Stimme des toten Orakels in meinem Kopf.
"Fünf sich gen Westen zur Göttin bewegen,
eins geht verloren im Land ohne Regen,
der Feind des Olymps den Weg ihnen weist.
Camp und Jagd gemeinsam im Siegesgeist,
dem Fluch des Titanen wächst Widerstand,
eins jedoch stirbt durch Elternhand."
Nachdem das Orakel seine Weissagung ausgesprochen hatte, wirbelte der grüne Nebel einmal um sich selbst herum und zog sich wieder in die sichere Behausung des Mundes der Mumie zurück, die sich daraufhin - wie von Geisterhand - auf den Stein plumpsen ließ und sich nicht mehr rührte.
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The Life of Zoë Nightshade
FantasyMan könnte schon sagen, dass mein Leben in gewisser Art und Weise.... ein wenig speziell gewesen war. Ach, was heißt "ein wenig"? Als Tochter der Göttin Pleione und des Titanen Atlas, sollte mein Leben doch ausgefüllt sein, oder? Und dennoch.... ich...