Unsere Lage schien beinahe ausweglos. Und Atlas - mein Vater, der General, hatte sichtlich seinen Spaß daran, die Edle Artemis zu quälen. Sie wirkte ziemlich mitgenommen unter ihrer Last und als ich an ihrer statt den Himmel auf meinen Schultern tragen wollte, wehrte sie sich entschieden dagegen. Aber, irgendwas mussten wir doch tun. "Ich glaube, ich werde alle Olympier nacheinander meine Bürde tragen lassen, sowie der Herr Kronos wieder herrscht", verkündete mein Vater gerade. "Das wird sie ein wenig Bescheidenheit lehren." "Vom Halten des Himmels", hörte ich Thalia murmeln. "Das Gewicht hätte sie eigentlich umbringen müssen." "Ich versteh das nicht", meinte Percy, "warum kann Artemis den Himmel nicht einfach loslassen?" "Du hast ja keine Ahnung, mein junger Freund", entgegnete Atlas lachend. "Das hier ist die Stelle, wo Himmel und Erde sich zuerst begegnet sind, wo Uranus und Gaia ihre mächtigen Kinder gezeugt haben, die Titanen. Der Himmel sehnt sich noch immer danach, die Erde zu umarmen. Irgendwer muss ihn zurückhalten, sonst bricht er herunter und würde sofort den Berg und alles im Umkreis von hundert Meilen plattmachen. Wenn du die Last erst auf dich genommen hast, gibt es kein Entrinnen. Falls dir nicht irgendwer die Last wieder abnimmt."Atlas bewegte sich mit forschendem Blick auf Thalia und Percy zu und musterte sie. "Und ihr seid also die größten Heroen dieses Zeitalters, ja? Keine große Herausforderung."
Wie mich diese arrogante und hochnäsige meines Vaters nur aufregte. Percy forderte ihn heraus, doch davon wollte Atlas nichts wissen. Nun brachte sich auch der ehemalige Begleiter Thalias, Luke wieder ins Geschehen ein. Sein Plan war es, gemeinsam mit der Armee des Kronos in Camp Half-Blood einzufallen und anschließend den Olymp, den Sitz der Götter zu übernehmen. Und er versuchte Thalia zu überreden, sich ihrer Sache anzuschließen. "Luke...", fragte Thalia gequält. "Was ist mit dir geschehen?" "Erinnerst du dich daran, wie oft wir darüber gesprochen haben?", fragte er. "Wie oft wir die Götter verflucht haben? Unsere Väter haben noch nie etwas für uns getan. Sie haben kein Recht, die Welt zu beherrschen." Also daraus begründeten sich seine Gedanken. Thalia bat Luke, das Mädchen namens Annabeth freizulassen, doch Luke bestand weiterhin darauf.
"Tu das nicht, Thalia", mischte ich mich nun ein. Thalia warf mir einen unsicheren Blick zu. "Wir müssen gegen sie kämpfen." Eine kleine Opferflamme erschien auf Lukes Hand und nun wandte sich auch Percy mit einem klaren "Nein" an Thalia. Und dann begann der Sarg mit Kronos zu glühen. "Wir werden an dieser Stelle den Berg Othrys errichten", meinte Luke und ich konnte so etwas wie Anspannung in seiner Stimme wahrnehmen. Ich nahm Percy wahr, wie er erst Thalia einen Blick zuwarf und dann mir. Dann gingen wir zum Angriff über.
Thalia stürmte auf Luke zu, während ich - mit einem leichten Schrecken - feststellen musste, dass sich Percy dem Titanenherrn entgegenstellte, der dies offenbar als Spaß ansah. Ein gigantischer Wurfspeer erschien in seiner Hand und sein schlichter Seidenanzug wich einer vollständigen griechischen Schlachtrüstung. "Na, dann viel Spaß", hörte ich ihn in Percys Richtung lachend rufen. "Percy!", rief ich ihm zu. "Hüte dich!" Ich wollte und konnte nicht tatenlos herumstehen. Ich griff nach meinem Bogen und legte Pfeil um Pfeil an und schoss, während mein Vater Percy gerade mit Wucht zur Seite fegte. Er wich meinem Pfeil aus und wandte sich wieder Percy zu. "Idiot!", rief er und seine dröhnende Stimme triefte vor Schadenfreude. "Bildest du dir ein, dass du auch mir standhalten kannst, bloß, weil du es mit einem kleinen Kriegsgott aufnehmen konntest?" Für einen Moment schien es, als sei Percy abgelenkt, doch dann riss er sich wieder zusammen und ging erneut zum Angriff über. Nach einem kleinen Hin und Her benutzte Atlas nun seinen riesigen Wurfspeer und die Wucht des Treffers schleuderte Percy in Richtung Artemis. "Lauf, Junge", sagte sie ernst. "Du musst fliehen!" Atlas folgte ihm und ein finsteres Lächeln umspielte seine Lippen. Nun setzte ich alles auf eine Karte. Ich sah, dass er seinen Speer erhoben hatte, bereit, Percy den letzten Stoß zu geben und legte nun eine Salve von Pfeilen an, die ich in die Richtung des Generals schoss. Sie bohrten sich in seine Rüstung und schienen ihren Zweck zu erfüllen. Er wandte sich mit wutverzerrtem Gesicht nun mir zu. Percy rappelte sich wieder hoch und bat Artemis, sich die schwere Last des Himmels auf seine Schultern packen zu dürfen. "Nein, Junge", wiederholte Artemis. "Du weißt nicht, was du da sagst. Er würde dich zerquetschen." "Annabeth hat ihn auch gehalten." "Sie hätte es fast nicht überlebt", versetzte Artemis. "Und sie hat den Geist einer wahren Jägerin. Du würdest nicht so lange durchhalten." "Ich muss sowieso sterben", sagte Percy. "Gib mir das Gewicht des Himmels." Dann tat Percy etwas, womit er in meiner Sympathie-Liste (wenn ich denn mal eine führen sollte), direkt nach oben schießen würde. Er zerschlug die schweren Ketten meiner Herrin und legte sich seinerseits die Last des Himmels auf.
Und während Atlas noch immer wieder mit seinem Speer angriff, mischte sich nun Artemis ebenfalls in das Kampfgeschehen ein. Meine Pfeile bohrten sich in die offenen Stellen der griechischen Rüstung, doch sie schienen meinen Vater nicht wirklich etwas anzuhaben. Mein Blick fiel auf Thalia, die sich noch immer einen erbitterten Kampf mit Luke lieferte. "Ergib dich!", hörte ich Thalia gerade rufen, "du hast mich noch nie besiegen können, Luke!" Seine Antwort bekam ich nicht mehr mit, da mein Blick wieder auf meine Herrin fiel, die von Atlas mehr und mehr bedrängt wurde. Hier traf Schnelligkeit auf unbändige Kraft und die Spitze des gigantischen Speeres verfehlte Artemis nur um Sekunden. "Für ein Mädchen kämpfst du gut", hörte ich die dröhnende Stimme des Titanherren, "aber mir bist du nicht gewachsen." Dann sah ich, wie Atlas eine Finte vollführte. Mit seinem riesigen Speer schlug er Artemis gegen die Beine, so dass diese auf dem Boden landete. Dann hob er erneut den Speer und schickte sich an, ihn auf Artemis herabsausen zu lassen. "Nein!", rief ich laut und warf mich zwischen den beiden. Schnell hatte ich einen weiteren Pfeil angelegt und schoss ihn direkt in die Mitte seiner Stirn. Ich bekam nur noch mit, dass der Herr der Titanen einen lauten Wutschrei ausstieß und ich erkannte seinen ausschlagenden Arm erst, als ich ihn direkt vor mir hatte. Die Wucht des Angriffs schleuderte mich fort. Ich landete unsanft auf den schwarzen Felsen in der Nähe und verlor mein Bewusstsein....
Ich erwachte eine gefühlte halbe Stunde später in den Armen von Artemis und vernahm dumpf die herannahende Armee des Kronos. Um Artemis herum hatten sich Thalia, Percy und Annabeth versammelt und ich konnte in ihren Gesichtern schwach Verzweiflung und Schreck erkennen. "Die Wunde ist vergiftet", hörte ich die Stimme meiner Göttin. In ihr lag eine.... gewisse Spur von Traurigkeit. "Atlas hat sie vergiftet?", fragte Percy erstaunt. Artemis deutete auf die Wunde, die der Drache Ladon bei unserem Besuch im Garten der Hesperiden geschlagen hatte. "Die Sterne", murmelte ich schwach. "Ich kann sie nicht sehen." "Nektar und Ambrosia", drängte Percy. "Los! Wir müssen welchen für sie besorgen."
Ich fühlte den starken Schmerz der gerissenen Wunde und den der Nachwirkung des Angriffes meines Vaters und ich unterdrückte mit Mühe einen kleinen Schmerzenslaut. Und plötzlich vernahm ich dumpf ein näher kommendes Geräusch aus der Luft. "Weg da von meiner Tochter", meldete sich eine neue männliche Stimme zu Wort. Ich erinnerte mich dumpf an die Stimme, doch der Schmerz verdrängte die Erinnerung daran. Nun waren vom Flugzeug her Schüsse zu hören und die herannahende Armee des Kronos schien tatsächlich zurückzuweichen. "Ein tapferer Mann", hörte ich erneut die Stimme von Artemis. "Los. Wir müssen Zoë von hier wegschaffen."
Meine Lieder flatterten und ich spürte schwach die Bewegung, die sich um mich herum gebildet hatte. Ich merkte, dass ich die vertrauten Arme meiner Herrin verlassen hatte und nun in den Armen eines anderen lag, während wir den Ort wohl verließen. Nur schwach vernahm ich noch die Motorengeräusche des Flugzeugs und das Kreischen und Brüllen der Monster, die von den Schüssen getroffen wurden.
Für kurze Zeit war ich aufgrund des Schmerzes in eine Ohnmacht gefallen, doch als ich wieder zu mir kam, hatten wir die Szenerie offenbar verlassen. Ich konnte keine Monster mehr wahrnehmen. Artemis und Thalia waren dabei, meine Wunden zu verbinden und ich hörte Percy fragen: "Kannst du sie nicht mit Magie heilen? Ich meine... du bist doch eine Göttin!" "Das Leben ist ein zerbrechliches Ding, Percy. Wenn die Moiren den Lebensfaden kappen wollen, dann kann ich nur wenig ausrichten. Aber ich kann es versuchen." Artemis hob ihre Hand und ich nahm dunkel wahr, dass sie sie auf mich legen wollte, doch ich ergriff schwach ihre Hand und hielt sie fest. "Habe ich... habe ich dir gut gedient?", fragte ich mit schwacher Stimme. "Mit Auszeichnung", erwiderte Artemis sanft. "Du warst die beste meiner Jägerinnen." Ein kleines Lächeln umspielte meine Lippen und meine angespannten Gesichtszüge entspannten sich. "Ruhe. Endlich", flüsterte ich und schloss die Augen. "Ich kann versuchen, das Gift zu besiegen, meine Tapfere", meinte Artemis. Schwach drehte ich meinen Kopf und wandte mich an Thalia. "Es tut mir leid, dass wir uns gestritten haben", sagte ich zu ihr. "Wir hätten Schwestern sein können." "Das ist nicht deine Schuld", erwiderte Thalia und ich erkannte schwach eine Träne in ihren Augen. "Du hattest recht, was Luke anging und die Heroen und die Männer und - alles." "Vielleicht nicht bei allen Männern", meinte ich und wandte mich nun an Percy. Ich schenkte ihm ein müdes Lächeln. "Hast du das Schwert noch immer, Percy?" Er nickte und legte das als Kugelschreiber getarnte Schwert in meine Hand und ich umschloss das Schwert, das einst ich besessen hatte. "Du hast die Wahrheit gesagt, Percy", lächelte ich. "Du bist nicht wie.... wie Herkules. Es ehrt mich, dass du sein Schwert trägst." Ein Gefühl des Schmerzes durchfuhr mich und ich fuhr zusammen. "Zoë", murmelte Percy leise. Seine Stimme drang nur noch leise und dumpf an mein Ohr und mein verblassender Blick fiel auf den dunklen Nachthimmel. "Sterne. Ich kann die Sterne wieder sehen, Herrin." Eine kleine Träne floss über Artemis' Wange. "Ja, meine Tapfere. Sie sind schön heute Nacht." "Sterne", wiederholte ich leise und mit dem letzten Blick gen Nachthimmel, tat ich meinen letzten Atemzug.
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The Life of Zoë Nightshade
FantasyMan könnte schon sagen, dass mein Leben in gewisser Art und Weise.... ein wenig speziell gewesen war. Ach, was heißt "ein wenig"? Als Tochter der Göttin Pleione und des Titanen Atlas, sollte mein Leben doch ausgefüllt sein, oder? Und dennoch.... ich...