Der Nemeische Löwe

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Unser kleiner Trupp - bestehend aus mir, Bianca di Angelo, dem Satyr Grover und Thalia, der Tochter des Gottes Zeus - war in Washington angekommen und unser Ziel war das Museum für Luft- und Raumfahrt, das sich im Zentrum der Stadt befand. Auf Phoebe, welche zu meinen ältesten Freundinnen im Kreis der Jägerinnen zählte, mussten wir bei dieser Mission leider verzichten, da sie in einen "Dummen-Jungen-Streich" verwickelt wurde. Die Auswirkung war nicht gefährlich, sie würde davon nicht sterben, jedoch würde sie für 6 Wochen das Bett hüten müssen. Und so waren von den verbliebenen Jägerinnen nur noch ich und eben Bianca übrig. 

Das Museum für Luft- und Raumfahrt war riesig und bestand im Großen und Ganzen vor allem aus einem großen Saal und hier und da hingen Flugzeuge von der Decke hinab, Menschen (wahrscheinlich Sterbliche), bewegten sich entweder stumm oder unterhaltend durch die einzelnen Stationen und ab und an konnte ich auch kleine Kinder ausmachen, die staunend die Flugzeuge an der Decke begutachteten oder ihren Eltern an den Lippen hangen. Wir wollten mit der Rolltreppe gerade in die 2. Etage des mehrstöckigen Gebäudes hochfahren, als Thalia neben mir plötzlich einen erschrockenen Schrei ausstieß und in eine Apollo-Raumkapsel plumpste. Ich nickte Bianca zu und sofort hatten wir unsere Bögen im Anschlag, wir waren bereit, unsere Pfeile abzufeuern. Auch, als ich erkannte, wen wir da vor uns hatten, senkte ich den Bogen noch nicht, ganz im Gegenteil. "Du!", fuhr ich ihn vor Wut an.  "Wie kannst Du es wagen, dein Antlitz hier zu zeigen?" "Percy", meldete sich Grover zu Wort, "alle guten Mächte sei Dank!" Ich funkelte den Ziegenknaben wütend an und er ruderte zurück. "Ich meine, äh, Himmel! Du solltest doch eigentlich gar nicht hier sein!" "Luke", keuchte Percy. "Er ist hier." "Wo?", fragte Thalia. Die zuvor noch auflodernde Wut in ihren Augen erlosch sofort, als sie den Namen hörte. 

Percy erzählte uns, dass er - in einer Iris-Vision - Zeuge eines Gesprächs zwischen dem von uns Jägerinnen besiegten Mantikor, dem Jungen namens Luke und einem Wesen, der bei den bösen Schergen nur als General  bekannt war - mir schwante Übles und ein dunkler Schatten huschte über meine Augen. Stattdessen wandte ich mich erneut an Percy, nachdem er seine Erzählung beendet hatte. "Der General ist hier? Das ist unmöglich. Du lügst!" "Warum sollte ich lügen?", protestierte er, "hört mal, wir haben keine Zeit. Die Skelettkrieger...." "Was?", unterbrach ihn Thalia aufgeregt. "Wie viele?" 

Laut Percy waren ungefähr 12 dieser Skelettkrieger auf dem Weg hierher, doch ich war felsenfest davon überzeugt, dass noch mehr Monster da draußen irgendwo lauerten. "Und das ist noch nicht alles", setzte Percy noch einen drauf. "Dieser Typ, der General, sagt, dass er etwas schicken wird, einen Spielkameraden, um Euch abzulenken. Ein Monster."    

Irgendwie glaubte ich ihm nicht. Würde der General sich denn mit uns abgeben, nur um von der Suche nach Artemis abzulenken? Außerdem brodelte in mir noch immer die Wut,  dass der Sohn des Poseidon hier aufgekreuzt war. Er gehörte gar nicht zum Einsatzteam. Ich beruhigte mich innerlich und sagte dann: "Wenn Percy die Wahrheit sagt, was die Skelettkrieger betrifft, dann haben wir keine Zeit, uns zu streiten. Sie sind die schlimmsten, die entsetzlichsten... wir müssen weg hier." "Gute Idee", stimmte Percy mir bei und erhielt dafür gleich die Quittung. "Von dir rede ich nicht, Knabe", fauchte ich ihn an, "du gehörst nicht zu diesem Einsatzteam." 

Ausnahmsweise stimmte mir auch Thalia zu, doch letzten Endes gab sie klein bei. Das konnte ich nicht akzeptieren! Immerhin handelte es sich hierbei um eine Mission, zu der Jägerinnen auserkoren waren und ich begann, erneut mit Thalia zu diskutieren, doch unser Gezänk wurde durch ein lautes Knurren unterbrochen. Und dann nahmen wir aus dem unteren Stockwerk Bewegung war, ich hörte ein kleines Kind laut "Miezekatze" rufen, als plötzlich etwas Riesiges knurrend die Rampe hochsprang und uns lauernd beobachtete. Das Ungeheuer war ungefähr so groß wie ein Lieferwagen, mit silbrigen Klauen und goldenem, funkelnden Fell. "Der Nemeische Löwe", hörte ich Thalias Stimme. "Keine Bewegung." Der Löwe stieß erneut ein lautes Brüllen aus. "Trennt euch hinter mir", flüsterte ich. "Versucht, ihn abzulenken." "Wie lange?", fragte Grover. "Bis ich mir überlegt habe, wie ich ihn umbringen kann", gab ich zurück. "Los." 

Aus den Augenwinkeln entdeckte ich noch, wie Percy sein Schwert aktivierte und sich nach links rollte, während Grover eine schnelle Abfolge einer Melodie auf seiner Rohrflöte spielte. Bianca und ich - mit unseren Bögen in den Händen - zogen uns eilig in die Apollo-Raumkapsel zurück, um ein wenig Abstand zwischen uns und das wütende Monster zu bringen und schossen Pfeil um Pfeil, doch sie zeigten keine Wirkung. Stattdessen prallten sie am metallischen Fell des Löwen ab und zerbrachen. Thalia rannte dem Löwen mit ihrem erhobenen Schild entgegen. Vor dem Anblick des aufgemalten Medusa-Kopfes schreckte der Löwe zurück, allerdings nur ein bisschen. Er brüllte erneut. "He da", rief Thalia. "Zurück!" Doch nun ging der Löwe zum Angriff und ich hörte Percy aus einer Ecke laut "He!", rufen. Dann griff er das Biest an und landete auch den einen oder anderen Treffer, doch am Ende zog die Klinge gegen den Löwen nur den Kürzeren und prallte klirrend ab. Ich legte einen weiteren Pfeil an und jagte diesen dem Löwen um die Ohren, der Percy inzwischen auf die Traglläche eines alten Flugzeugs verfolgt hatte. Ich legte einen weiteren Pfeil an, als Percy - während er damit beschäftigt war den Löwen abzuwehren - mir etwas zubrüllte. "Zoë! Ziel auf den Mund." Das könnte sogar funktionieren. Ich nickte Bianca zu, die einen nun ihrerseits einen Pfeil auf den Löwen feuerte, ihn jedoch verfehlte. Percy rutschte vom Raumschiff und landete auf einem Globus. Der Löwe brüllte und griff erneut an, während Bianca und ich fieberhaft nach einem passenden Winkel suchten, um den Löwen niederzustrecken. "Kein sauberer Schuss", rief ich. "Der muss sein Maul weiter aufmachen!" Der Löwe stieß ein lautes Fauchen von seiner Position auf dem Globus aus. 

Dann bewegte sich Thalia erneut, hatte ihren Speer in der Hand und trat dem Löwen entgegen, um ihn abzulenken. Dann rief sie in Richtung Percy: "Du kannst doch jetzt keine Andenken kaufen!" Bianca und ich schossen nach wie vor Pfeil um Pfeil auf den harten Körper des Löwen, doch nach wie vor richteten unsere Angriffe nichts aus. Ich hörte ein lautes Brüllen und erkannte, dass der Löwe mit Leichtigkeit mit seiner wuchtigen Pranke erwischt hatte und sie gegen eine Titanrakete gestoßen hatte. Sie sackte zu Boden. Percy verwendete das Schwert nun wie ein Wurfmesser, welches wieder einmal abprallte, aber es schien zu bewirken, dass das Monster von der sich nicht rührenden Thalia abwandte. Und plötzlich hielt Percy eine Tüte Astronautennahrung in der Hand, das er in den Rachen des Löwen schleuderte. Der Löwe würgte und würgte und Percy gab Bianca und mir nun ein Zeichen. Ich hörte noch immer das laute Kreischen der Leute und Grovers Melodie auf der Rohrflöte, während Percy dem Löwen noch zwei Eissorten und eine Portion gefriergetrocknete Spaghetti entgegen warf und  Bianca und ich drei, vier, fünf, sechs Pfeile in Richtung des aufgerissenen Rachens schossen. Der Löwe schlug wild um sich, drehte sich um und fiel auf den Rücken. Dann rührte er sich nicht mehr. Ich atmete innerlich auf. Wir hatten es tatsächlich geschafft und den Spielkameraden des Generals erledigt. 

Und dann gingen die Alarmanlagen des Museums los und die Leute strömten hastig zu den Ausgängen und die Wächter des Museums rannten ratlos umher, ohne zu wissen, was hier soeben noch geschehen war. Der Satyr Grover kniete bei Thalia und half ihr vorsichtig auf die Füße. Bianca und ich sprangen von der Galerie, auf die wir uns zurückgezogen hatten und ich warf einen argwöhnischen Blick auf den Sohn des Poseidon. "Das war... eine interessante Strategie." "Hör mal, es hat geklappt", erwiderte er. Hierauf antwortete ich nicht, sondern stimmte ihm innerlich zu. Der Kadaver des Löwen schien zu schmelzen, während das funkelnde Fell auf die Größe eines normalen Löwenfells zusammenschrumpfte. Ich nickte Percy zu. "Nimm es mit." "Was denn, das Löwenfell?", fragte Percy erstaunt und schaute mich aufmerksam an. "Ist das nicht irgendwie eine Verletzung von Tierrechten, oder so?" Ich schüttelte den Kopf. "Das ist Kriegsbeute. Es gehört dir mit Fug und Recht." "Du hast ihn getötet", widersprach er. Ich schüttelte den Kopf und deutete ein leichtes Lächeln an. "Ich glaube, das Eiscreme-Sandwich hat den Ausschlag gegeben. Recht muss Recht bleiben, Percy Jackson. Nimm das Fell." 

Nachdem sich das Fell veränderte und zu so etwas wie einem knöchellangen und goldgelben Wintermantel wurde, drängte Grover zum Aufbruch. Nicht nur ich war von den Wächtern erstaunt, die überall hin rannten, jedoch nicht in unsere Richtung. Einige rannten sogar gegeneinander oder die Wand. "Hast Du das gemacht?", fragte Percy Grover und er nickte. "Eine kleine Verwirrungsmelodie. Ich habe etwas von Barry Manilow gespielt. Das klappt immer. Aber nur für ein paar Sekunden." 

Ich wandte den Blick von den umherrennenden Museumswächtern ab und sah zu den gläsernen Wänden des Museums hinüber. Von draußen konnte ich die herannahenden Skelettkrieger ausmachen, die sich zielstrebig auf das Museum zubewegten. "Los", meinte Percy. "Die sind auf der Jagd nach mir. Ich werde sie ablenken." "Nein", antwortete ich, auch wenn es mir ein wenig gegen den Strich ging. "Wir gehen zusammen." "Aber du hast doch gesagt...". "Du gehörst jetzt dazu", sagte ich. "Es mag mir nicht behagen, aber es ist uns nicht gegeben, das Schicksal zu verändern. Du bist das fünfte Mitglied dieses Einsatzteams. Und hier niemand zurückgelassen." 

The Life of Zoë NightshadeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt