Inzwischen sind - seit meiner Aufnahme bei Artemis' Jägerinnen - ganze zwei Jahre vergangen und ich hatte mehr und mehr das Gefühl, endlich einen Platz gefunden zu haben, einen Platz, der nur für mich bestimmt war. Dank meinen neuen Schwestern hatte ich gelernt, meine Kampfkünste zu verfeinern und gemeinsam waren wir - unter Artemis' Führung von Ort zu Ort gereist, hatten gegen wilde Monster gekämpft und leider auch einige tapfere Jägerinnen verloren, darunter auch Willow, unseren Lieutenant. Ihren Posten hatte nun ein Mädchen namens Grace übernommen. Grace war zwar mindestens einen Kopf kleiner als ich und trotzdem stellte niemand ihre Führungsqualitäten infrage.
Die meiste Zeit waren hinter dem in einen Wolf verwandelten Arkadier Lycaon und seinen schrecklichen Kreaturen her und eines Tages - nachdem wir an einem anderen Ort unsere Zelte aufgeschlagen hatten - trug es sich zu, dass Artemis zu einer eigenen Mission aufgebrochen war und das Kommando dem Mädchen namens Grace übergeben hatte.
Die Nacht war bereits über uns hereingebrochen und ich saß draußen vor meinem Zelt und blickte in den mit Sternen behangenen Himmel. Der Mond schob sich hinter einer dicken grauen Wolke hervor und ich genoss den sanften kühlen Wind, der durch meine Haare streifte. "Die Sterne sind heute wieder wunderschön, was?". Grace war neben mich getreten und ließ sich neben mir nieder. Ich lächelte ihr zu und nickte. "Ja", wiederholte ich, "wunderschön." "Lass uns zu Bett gehen, Zoë", meinte Grace und erhob sich nach einer Weile. "Morgen wird bestimmt wieder ein langer Tag." "Du hast vielleicht recht", antwortete ich und erhob mich ebenfalls. "Gute Nacht", sagte sie und wandte sich zum Gehen. "Gute Nacht", wiederholte ich und zog mich meinerseits in mein Zelt zurück. Kaum hatte ich mich auf dem Boden des Zeltes niedergelassen, betrat ich auch schon Orpheus' Reich.
Am nächsten Morgen wurde ich durch das laute Geschrei meiner Schwestern geweckt. Schnell schlüpfte ich in meine Jägerinnen-Uniform und eilte nach draußen. Dort hatten sich die anderen Mädchen zu einer Gruppe zusammengestellt und schienen über etwas zu schimpfen. "Was ist passiert?", fragte ich das nächstbeste Mädchen, welches sich mit zwei anderen angeregt unterhielt. "Es ist ein Mann im Lager", antwortete sie. "Artemis hat ihn mitgebracht."
Ich fragte mich, weshalb sie das getan hatte - immerhin hatten wir Jägerinnen doch von den Männern abgeschworen, doch wir alle sollten diesen mysteriösen "Mann" schon recht bald kennenlernen. Kurze Zeit später nämlich, trat Artemis aus ihrem Zelt und hatte einen riesenhaften, stattlichen Mann. Seine Haut glich dem von weißen Toast und seine Haare waren das genaue Gegenteil: dunkel bis in die Haarspitzen. Ich erwischte mich dabei, dass ich meinen Blick unentwegt auf seine muskulöse Statur gerichtet hatte. Doch das, was mir an seiner Erscheinung hauptsächlich in Erinnerung geblieben war, waren seine Augen. Seine durch und durch bronzefarbenen Augen. Er schenkte uns ein strahlendes Lächeln und schien sich von den wütenden Rufen der anderen Mädchen nicht aus der Ruhe bringen zu lassen. "Edle Artemis", erkundigte ich mich, über das Gezeter meiner Schwestern hinweg, "weshalb ist er hier?"
"Meine Jägerinnen, lasst mich erklären", begann Artemis und die anderen hingen nun an ihren Lippen, "dies hier ist Orion, der gigantische Sohn Gaeas, welcher geboren wurde, um meinem Bruder gegenüber zu treten und ....", in diesem Moment begannen die Mädchen - dieses Mal ich eingeschlossen - zu protestieren. Wieso brachte sie nur einen Gegner mit ins Lager? "Still", übertönte uns eine laute Stimme. Es war Grace, die uns wieder zur Ordnung rief. Nachdem wir wieder schwiegen, schenkte Artemis ihrem Lieutenant ein kleines Lächeln und fuhr dann fort: "Wie ich bereits sagte - dies hier ist Orion, der gigantische Sohn Gaeas, welcher geboren wurde, um sich meinem Bruder zu widersetzen, doch er hat sich nicht am großen Krieg beteiligt, denn Orion stand im Dienste des Königs Oinopion von Chios als ein treu ergebener Jäger."
Moment mal - dieser riesenhafte Mann war tatsächlich die männliche Version dessen, was wir im Dienste der Artemis waren? Von Artemis erfuhren wir weiter, dass ihn König Oinopion - aufgrund dessen, dass er seine Tochter zur Gemahlin wollte - sein Augenlicht genommen und ihn verbannt hatte. Dank Hephaistos hatte er es jedoch geschafft, sein Gesicht und seine Sehkraft zurückzugewinnen. "Ich habe Orion auf meiner Mission entdeckt und erkannt, dass er geschickt mit Pfeil und Bogen umgehen kann", erklärte Artemis weiter, "deshalb habe ich ihm einen Platz bei den Jägerinnen angeboten. Bitte -", sagte sie laut, als wir erneut anfangen wollten, zu protestieren und hob die Hand, "ich kann Euren Protest wahrlich verstehen, "aber Orion weiß, wie er sich Euch gegenüber zu benehmen hat. Er versprach, die Distanz zu euch zu wahren." "Edle Artemis", begann ich erneut, "wie können wir uns sicher sein, dass wir Orion vertrauen können?" Die Antwort kam dieses Mal nicht von Artemis, sondern von Orion selbst."Wenn es Dir hilft, kleine Jägerin, dann schwöre ich hier und jetzt beim Styx, dass ich mich keiner von Euch auf unflätige Weise nähern werde", meinte er und wandte sich nun an uns alle. "Ich, Orion, Sohn der Gaea, Fluch des Apollo und der Artemis, schwöre beim Styx, dass ich mich in keinster Weise an den Jägerinnen der Artemis vergehen werde." Nachdem er seinen Schwur geleistet hatte, hörten wir in weiter Ferne ein dumpfes Donnergrollen. Damit war sein Schwur nun endgültig besiegelt und wir Jägerinnen wieder unserer Tätigkeit nach, während Artemis Orion durch das Camp führte.
Der Nachmittag brach über uns allen herein, als mich Grace von meinem Zelt abholte und mich zu dem Kampffeld führte, wo gerade Orion - unter den begeisterten Augen aller - mit Pfeil und Bogen Ziel um Ziel traf.
Die Jahre zogen ins Land und Orion hatte sich inzwischen integriert. Zwar hielt er sich stets an die ihm auferlegten Regeln und benahm sich mir und den anderen Jägerinnen stets höflich und bedacht und doch rettete er uns bei so mancher schwierigen Jagd das Leben, wie beispielsweise an diesem Tag, als wir hinter einer ganzen Armee dieser schrecklichen Monster her waren. Die Monster waren in der Überzahl, hatten zwei unserer Jägerinnen ausgelöscht und wir hielten uns tapfer, bis Orion mit seinem gigantischen Speer eintraf und unsere Haut rettete. Seit diesem Tag betrachteten wir ihn als Teil der Familie.
Eines Abends saß ich - meine Augen waren gefüllt mit Tränen - vor meinem Zelt und fragte mich, weshalb das Leben manchmal so unfair sein konnte. Ich hatte durch die ganzen Ausflüge an die anderen Orte erfahren, dass Herkules - nachdem er mit Bravour seine 12 auferlegten Aufgaben vollendet hatte - zum Gott aufgestiegen war. Orion bemerkte meine Traurigkeit und er war es auch, der es schaffte, die Traurigkeit zumindest ein Stück weit, von mir zu nehmen.
Auf irgendeine Weise erfüllte es mich Freude und Glück, den hünenhaften Krieger an unserer Seite zu wissen.
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The Life of Zoë Nightshade
FantasyMan könnte schon sagen, dass mein Leben in gewisser Art und Weise.... ein wenig speziell gewesen war. Ach, was heißt "ein wenig"? Als Tochter der Göttin Pleione und des Titanen Atlas, sollte mein Leben doch ausgefüllt sein, oder? Und dennoch.... ich...