Zwei Wochen waren nun seit meiner Verbannung aus dem heimischen Garten vergangen. Zwei Wochen nachdem mich der Held Herkules schmählich betrogen hatte. Zwei Wochen, seit denen ich nun auf mich alleine gestellt war. Komplett. Und nun? Nun wanderte ich - abseits der mir bekannten Umgebung - beinahe schon ruhelos durch einen dicht bewachsenen Wald. Hier - auf einer kleinen Lichtung, auf der sich hin und wieder die Sonne blicken ließ, hatte ich mein Lager aufgeschlagen. Hatte mich selbst mit essbaren Dingen versorgt und hatte - aufgrund des kleinen und klaren Baches, der in der Nähe meines Lagers durchfloss - auch schmackhaftes Trinkwasser.
Die aufgehende Sonne zeichnete sich noch rot vom Himmel ab, als ich aus einem unruhigen Schlaf erwachte und unter dem noch leisen Gezwitscher der Vögel einen kleinen Morgenspaziergang machte, um meine durcheinandergewirbelten Gedanken zu ordnen.
Ich würde mich nie mehr von einem Mann - egal in welcher Hinsicht - betrügen lassen. Das habe ich mir nach meinem Fehler mit dem Helden Herkules geschworen. Er hatte mich für seine Zwecke benutzt. Und ich Idiotin hatte ihm noch dabei geholfen..... aus meinen Gedanken riss mich ein entfernter Laut, der sich wie ein lautes und tiefes Heulen anhörte. Ich verlangsamte meinen Schritt, achtete wachsam und vorsichtig auf jeden meiner Schritte und lauschte, ob sich in meiner unmittelbaren Nähe etwas tat. Gerade, als ich sicher war, dass nichts und niemand meinen Weg kreuzen würde und weitergehen wollte, hörte ich das tiefe Geheul erneut. Und dieses Mal - so hörte es sich für mich an - klang es näher...... nicht weit von mir entfernt. So schnell ich konnte erklomm ich einen stabil aussehenden Baum und ließ mich auf einem rechten dicken Ast nieder und beobachtete aufmerksam die Situation. Dort, wo ich eben noch gestanden hatte, schälte sich aus einem angrenzenden kleinen Dickicht eine riesige und vierbeinige Gestalt. Das Fell des riesenhaften Tieres glänzte matt im Licht der aufgehenden Sonne und mit seiner großen Nase schnupperte es aufmerksam über den Boden, so, als hätte es die ganze Zeit gewusst, dass ich bis vor wenigen Sekunden hier noch gestanden hätte. Ein dumpfes Grollen stieg aus seiner Kehle hervor, als es die Nase in die Luft streckte und aufmerksam schnupperte. So leise ich konnte, machte ich mich auf meinem Ast kleiner und kleiner und hoffte, dass mich dieses große Vieh nicht entdeckte. Ich hoffte inständig, dass das große Tier weiterziehen würde, doch es dachte gar nicht daran. Im Gegenteil. Mit seiner Nase voran suchte es erneut den Boden ab und kam dieses Mal auch meinem Versteck gefährlich nahe. Wieder drang das dumpfe und tiefe Grollen bis zu mir heraus und dieses Mal dieses Monster noch eine Spur weiter. Ein wenig tapsig stellte sich das Tier auf seine massigen Hinterbeine, richtete den scharfen Blick zweier rotglühender Augen auf die Spitze des Baumes und - rüttelte. Nein - Rütteln war das falsche Wort. Vielmehr stieß es mit seinen Pranken wieder und wieder gegen den Baum. Der Baum bebte bis in die höchsten Zweige und ich hatte Mühe, mich an dem Ast festzuhalten.
Nach einem weiteren erfolglosen Versuch ließ das Monster wieder von dem Baum ab und ich atmete auf. Doch meine Glückssträhne war bloß von kurzer Dauer, denn plötzlich rammte das schwere und große Tier erneut mit Wucht den Baum. Und dieses Mal verlor ich den Halt. Unsanft landete ich einige Meter von dem riesenhaften Tier entfernt auf dem Waldboden. So schnell ich konnte rappelte ich mich auf und schaffte es noch, nach meiner Haarnadel zu greifen, in welcher sich das Schwert Anaklysmos befand, als mich der riesige Körper auch schon unter sich begrub. Das gigantische Maul meines tierischen Angreifers öffnete sich und entblößte eine ganze Reihe scharfer Zähne, die mich wahrscheinlich in einem Stück verspeisen würden. Der heiße Atem des Tieres roch nach Verwesung und Tod und ich sah schon vor meinem geistigen Auge, wie mein Leben an mir vorbeizog.
Beim unsanften Aufprall auf den Boden hatte ich mein Schwert verloren und dummerweise hatte ich nicht die Möglichkeit, es mir zurückzuholen. Ich war zu sehr damit beschäftigt, das Näherkommen der Reißzähne zu verhindern, doch ich spürte, wie mich langsam aber sicher meine Kraft verließ. So würde ich also sterben. Verbannt, alleine und ausgenutzt. Ich schloss die Augen und beschloss, mich nicht mehr zu wehren, als plötzlich ein lautes Sirren zu hören war. "Weg von ihr, Du elendes Biest!", hörte ich eine laute Stimme, die aus der Nähe zu kommen schien. Das knurrende Monster über mir ließ von mir ab und wandte sich der Person zu, die die Szenerie betreten hatte. So schnell ich konnte, brachte ich mich aus der Gefahrenzone und riskierte einen Blick.
Die Person, die die Szenerie betreten hatte, war mindestens ein Jahr älter als ich, hatte kastanienbraunes langes Haar und ihre Augen wirkten..... silbern. "W-was ist das?", fragte ich und spürte einen dumpfen Schmerz an der Stelle, auf die ich bei meinem Sturz vom Baum gefallen war. "Das ist ein Monster der schlimmsten Sorte", erklärte die junge Frau. "Das ist ein Höllenhund. Komm hinter mich." "Ein Höllenhund?", wiederholte ich leise, doch die junge Frau antwortete nicht. Sie hatte plötzlich einen gespannten Bogen in der Hand und richtete ihn auf den näherkommenden Höllenhund. "Achtung", konnte ich nur noch rufen, als das riesige Tier einen gewaltigen Satz auf die junge Frau zumachte. In derselben Sekunde schoss sie den Pfeil ab. Ich staunte nicht schlecht, als ich entdeckte, dass der Pfeil dem riesenhaften Tier mitten ins Auge geflogen war. Dickes und zähflüssiges Blut floss von der Stelle und der Hund jaulte, versuchte, sich mit seiner gewaltigen Pfote den Holzschaft von dem Auge zu reiben, doch es gelang ihm nicht. Das junge Mädchen hatte Pfeil und Bogen nun mit einem langen Schwert getauscht und rannte auf die sich windende und winselnde Bestie zu. Mit einem lauten Schrei (was ich persönlich als Kampfschrei wertete), rammte sie ihr Schwert tief in die Magengrube des gewaltigen Tieres. Der Hund winselte ein weiteres Mal, dann brach er auf dem Boden zusammen und zerging.
Die junge Frau säuberte ihr Schwert von den Resten des dickflüssigen Blutes, streifte ihren Umhang zurecht und wandte sich mir zu. "Du hast Dich wirklich wacker geschlagen", sagte sie und lächelte freundlich. "Dem Angriff eines Höllenhundes standhalten schaffen nicht unbedingt alle und dann auch noch so lange. Du scheinst ein Talent für das Kämpfen zu haben." "So ein paar Grundtechniken kann ich sicher", erwiderte ich. "Aber natürlich nichts im Vergleich zu dem von eben." Das junge Mädchen winkte grinsend ab. "Ach, das könntest Du mit ein wenig Übung mit ziemlicher Sicherheit auch, meine Liebe. Aber sag doch mal, wie lautet Dein Name?" "Mein Name ist Zoë. Zoë Nachtschatten, die von ihrer Familie verstoßene und verleugnete fünfte Hesperide." "Eine Hesperide?", fragte die junge Frau erstaunt und lächelte. "Erklär mir Zoë. weshalb wurdest Du aus deiner Heimat geworfen? Ich erzählte ihr die Kurzversion meiner langen Geschichte. Als ich fertig war, betrachtete sie mich prüfend und nickte. "Bitte", begann ich vorsichtig das Gespräch erneut, "darf ich denn auch wissen, mit wem ich es zu tun habe?" "Ach, das ist ja etwas dumm von mir", meinte sie. "Jetzt habe ich doch glatt vergessen, mich meinerseits vorzustellen. Ich, meine liebe Zoë, bin Artemis, die Göttin der Jagd und des Mondes und ich lade Dich herzlich ein, mich zu meinem Lager zu begleiten."Die Göttin der Jagd", entfuhr es mir leise und ich sank auf die Knie. "Eben diese", erwiderte Artemis freundlich und gab mir ein Zeichen, dass ich mich wieder erheben sollte. "Wie sieht es aus?", fragte sie und schaute mich aufmerksam an, "möchtest Du mich begleiten?" "Nur zu gerne, Edle Artemis", antwortete ich und folgte ihr.
Das Lager von Artemis lag ein ganzes Stück weg von meinem aufgeschlagenen Lager und je näher wir ihrem Lager kamen, desto lauter drangen weibliche Stimmen an meine Ohren. Wir betraten ihren Aufenthaltsort und sie wurde gleich darauf von fast allen Seiten bestürmt. Es waren ungefähr 40 (oder vielleicht sogar 50) Mädchen, manche ein oder zwei Jahre älter oder jünger und ich staunte über so viele Mädchen, die offenbar alle in Artemis' Dienst standen. Nachdem mich ihre Jägerinnen ebenfalls ausführlich begrüßt und "Willkommen" geheißen hatten, versammelte Artemis ihre Jägerinnen und nahm mich in ihre Mitte.
"Zoë?", fragte sie mich mit ernster Stimme und ich antwortete mit einem leisen "Ja, edle Artemis?". "Aus Deiner Geschichte habe ich gehört, dass Du schlechte Erfahrungen mit den Männern gemacht hast und wie ich meine Mädchen einschätze, scheinen sie Dich schon in ihrer Runde aufgenommen zu haben. Und deshalb frage ich Dich, hier und jetzt: möchtest Du Dich als Jägerin unter meine Dienste stellen?" "Ich?", fragte ich verwundert, "eine Jägerin?" Aus den Reihen der Mädchen hörte ich zustimmendes Murmeln. "Ihr fragt mich, ob ich eine Jägerin werden will?" "Wisse, dass - wenn Du dich mir anschließt - Dich kein einziger Mann mehr verletzen kann, so wie es vor einiger Zeit Herkules getan hat. Stehst Du unter meinem Schutz, so bist Du unsterblich und kannst nur im Kampf getötet werden", fuhr sie fort. Auf irgendeine Weise fühlte ich mich plötzlich stärker und befreiter. "J-ja", antwortete ich mit belegter Stimme und wiederholte dann mit kräftiger Stimme: "Ja, edle Artemis, ich möchte zu Euch gehören und eine Jägerin sein." "Großartig", sagte Artemis feierlich, "dann, meine liebe Zoë Nachtschatten, wiederhole den Schwur der Jägerinnen der Artemis:
Ich weihe mich der Göttin Artemis. Ich widersage der Gesellschaft von Männern, nehme ewige Jungfräulichkeit auf mich und schließe mich der Jagd an." "So nehme ich, Artemis, Göttin des Mondes und der Jagd, Deinen Schwur an, Zoë Nachtschatten, Fünfte der Hesperiden und betrachte diesen fortan als bindend."
Ich wiederholte den Schwur und fühlte mich endlich so, wie ich mich schon lange nicht mehr gefühlt hatte. Ich fühlte mich akzeptiert.
DU LIEST GERADE
The Life of Zoë Nightshade
FantasyMan könnte schon sagen, dass mein Leben in gewisser Art und Weise.... ein wenig speziell gewesen war. Ach, was heißt "ein wenig"? Als Tochter der Göttin Pleione und des Titanen Atlas, sollte mein Leben doch ausgefüllt sein, oder? Und dennoch.... ich...