Ein Genie!

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In Harrys Auto herrscht absolute Stille. Wir sitzen in seinem Sportwagen und es ist nicht das kleinste Geräusch zu hören. Die Stille drückt unangenehm auf meine Brust, lässt mich unbehaglich fühlen und die Tatsache, dass Harry mir keinerlei Beachtung schenkt, macht mich fertig.
Krampfhaft suche ich in meinem Kopf nach einem Gesprächsthema, aber mir will einfach nichts einfallen. Ich kann ihn ja schlecht fragen, wie es ihm geht.

Wir kommen vor einem Restaurant an, welches ich nicht kenne. Als Harry aussteigt, kann ich mich endlich wieder bewegen und schnell folge ich ihm aus dem Auto, sehe, wie er bereits das Restaurant ansteuert und ich muss mich beeilen, damit ich ihm hinterherkomme.

"Jones, ich habe reserviert", erklärt Harry, ehe ein Kellner nickt und auf einen Tisch in der Ecke deutet. Schweigend folge ich dem Lockenkopf, setze mich ihm gegenüber und lasse meinen Blick einmal durch das Restaurant gleiten.
Endlich spüre ich wieder Harrys brennenden Blick auf mir und als ich ihn ansehe, zieht sich alles in mir zusammen. Ich kann diesen Blick einfach nicht deuten und das macht mich fertig.
"Guten Tag, meine Herren, mein Name ist-"
"Jonah", unterbreche ich den Kellner überrascht und als er mich erkennt, breitet sich sofort ein Lächeln auf seinen Lippen aus. "Louis, na das ist ja mal was", lacht mein ehemaliger Mitbewohner und strahlt mich regelrecht an. "Was machst du hier?", möchte ich wissen und für einen klitzekleinen Moment vergesse ich die verfahrene Situation mit Harry und bin wirklich neugierig, weshalb Jonah hier arbeitet.
"Ich habe einen neuen Job, der allerdings erst in zwei Monaten beginnt. Bis dahin arbeite ich hier. Die Miete zahl sich ja schließlich nicht von alleine".
Verstehend nicke ich. Wenn Harry nicht wäre, wüsste ich auch nicht, wie ich meine Miete zahlen sollet. Wobei, dafür braucht man ja auch erstmal eine eigene Wohnung.
"Wie geht es dir, Louis? Du hast dich nicht gemeldet. Ich hatte mich auf einen Kaffee mit dir gefreut".
Verlegen beiße ich mir auf meine Unterlippe. Ich will antworten, aber da prescht Harry dazwischen.
"Können wir endlich die Karten haben? Wir haben nicht den ganzen Tag Zeit".
Jonah wendet seinen Blick zu Harry, nickt schnell und reicht uns dann die Karten. Wissend grinst er mich an, aber ich kann dieses Grinsen nicht erwidern. "Gut, ich komme dann in ein paar Minuten wieder".
Jonah verschwindet und ich sehe zu Harry, der mit zusammengezogener Augenbraue die Speisenkarte mustert. Als er nicht den Anschein macht mich anzusehen, lasse ich meinen Blick ebenfalls über die Auswahl gleiten und entscheide mich für ein Steak. Kaum habe ich meine Karte zugeklappt, erscheint auch schon wieder mein ehemaliger Mitbewohner und sieht mich mit einem Strahlen an.
"Darf ich euch schon etwas zu trinken bringen?", möchte er wissen und ich nicke, will antworten, aber da grätscht Harry schon wieder dazwischen. "Wir nehmen Wasser. Eine große Flasche".
Seine Stimme klingt dominant und billigt keine Wiederrede. Fragend sieht mich Jonah an und ich nicke. Ich hätte mir eh ein Wasser bestellt. "Und was möchtet ihr essen?".
"Ich nehme das Rinderfilet und Louis möchte das Steak", bestellt Harry für mich und überrascht hebe ich meine Augenbrauen. Woher wusste er das denn? Wieder sieht Jonah mich fragend an und erneut nicke ich, ehe er schnellen Schrittes verschwindet und ich komplett verblüfft zu Harry schaue.
"Woher wusstet du, dass ich das Steak wähle?", will ich wissen und beginne mit meinen Fingern zu spielen. "Du hast die erste Seite aufgeschlagen und keine zehn Sekunden später die Karte zugeklappt. Und da auf dieser Seite außer Steak nur Suppen zu finden sind, ist es eindeutig".
Wieder nicke ich.
Das Schweigen schleicht sich wieder ein, doch ich komme nicht drumherum. Ich wollte ja schließlich dieses Essen und jetzt muss ich auch das Gespräch beginnen.
"Harry, hörst du mir zu, wenn ich dir alles erkläre?", will ich wissen und der Lockenkopf hebt seinen Blick. Emotionslos sieht er mich an, regt sich nicht und das nehme ich jetzt einfach mal als ein "Ja" hin. Sonst wäre er ja auch nicht hier, wenn er mir nicht zuhören würde, oder?

Tief hole ich Luft, versuche Harry in die Augen zu schauen. "Das mit diesem Job bei Blake hat wirklich nichts mir meinen Gefühlen für dich zu tun. Scheiße, ich fand dich in der ersten Sekunde heiß. Ich wollte dir ab der ersten Sekunde die Kleider vom Leib reißen und da dachte ich noch, dass du der Assistent bist."
Harrys Mundwinkel zucken kurz, ehe er sich wieder fängt und seine emotionslose Miene erneut erscheint. Vermutlich musste er daran zurück denken, wie ich vollkommen baff festgestellt habe, dass er mein Boss ist. Das war aber auch wirklich gemein von ihm.
"Und als das dann mit uns angefangen hat, da wusste ich sofort, dass ich nicht nur Einer von Vielen sein will. Ich hatte Angst, dass du mich nach einer gemeinsamen Nacht fallen lässt und der Gedanke daran hat mir damals wirklich weh getan." Ich erinnere mich an unser Gespräch zurück. Unser Gespräch, wo ich Harry genau das sage und er mir darauf die Affäre vorschlägt. Nur wir Beide, keine Anderen - so lange wie es hält.
"Ich wusste eigentlich gleich, dass es zum Scheitern verurteilt war. Die Anzeichen waren da und schneller als ich gucken konnte, habe ich mich in dich verliebt. Anfangs habe ich mich wirklich gegen meine Gefühle gewehrt, aber je mehr ich von dir kennengelernt habe, desto tiefer wurden meine Gefühle für dich. Und je tiefer diese Gefühle wurden, desto schlimmer wurde die Tatsache, dass ich eigentlich als Spitzel bei dir bin. Ich konnte Blake einfach keine Dinge verraten. Ich konnte es dir nicht antun und so habe ich ihn hingehalten, Woche für Woche."
Ich seufze, schaue auf meine Finger, als Jonah mich unterbricht und an unseren Tisch kommt. Er stellt die Getränke auf den Tisch, gefolgt von dem Essen. Höflich wünscht er uns einen guten Appetit und verschwindet eilig wieder. Vermutlich merkt er, dass wir etwas zu bereden haben. Jonah hatte schon immer ein Feingefühl für unbehagliche Situationen.
Lustlos sehe ich auf meinen Teller. Hunger habe ich eigentlich keinen mehr.
"Als es dann Ernst wurde zwischen uns, war ich der glücklichste Mensch auf der Welt. Wirklich Harry, solch starke Gefühle hatte ich noch nie in so kurzer Zeit und du hast mir im wahrsten Sinne des Wortes den Boden unter den Füßen weggerissen. Aber da wurde mir auch klar, dass ich es dir sagen muss. Ich konnte keine Sekunde länger mehr mit dieser Lüge leben und als ich den Entschluss getroffen habe bei Blake zu kündigen, musste ich dir einfach reinen Wein einschenken."
Eigentlich gibt es noch so viel mehr was ich ihm sagen will, aber ich schweige vorerst.
Harry sieht auf seinen Teller, stochert mit der Gabel in seinem Fleisch herum und macht nicht den Anschein, als wenn er mir überhaupt zugehört hätte.
Er muss mir einfach glauben.
Irgendwie muss das doch wieder werden.
Tief hole ich Luft, lege wagemutig meine Hand auf die Seine und finde endlich seinen Blick.
Ich sehe ihm tief in die Augen, merke wie mein Herz schneller schlägt.
"Ich liebe dich, Harry. Das musst du mir bitte glauben. Wäre ich sonst nach allem was passiert ist bei dir geblieben?". Vielleicht ist es unfair diese Karte zu spielen, aber vielleicht sieht Harry nur so, dass ich es Ernst meine. "Jeder normale Mensch wäre schreiend weggelaufen, aber ich bin geblieben. Ich habe mich deinen Dämonen gestellt und bin bereit mit ihnen zu leben, aus dem einfachen Grund, weil ich dich liebe".
Endlich regt sich etwas in Harrys Gesicht. Sein Blick verlässt meine Augen, er sieht auf unsere Hände und die emotionslose Miene scheint zu bröckeln. Ich drücke seine Hand fester, merke wie mein Herz aufgeregt in meiner Brust hämmert.
"Du fühlst doch auch noch etwas für mich, oder? Ich meine, würdest du mir sonst helfen wollen?".
So egal kann ich ihm doch einfach nicht sein. Immerhin will er mir mit seinen Anwälten helfen.
Harry jedoch antwortet nicht, schweigt und sieht auf unsere Hände.

"Ist alles okay bei euch? Kann ich euch noch etwas bringen?", erklingt wieder die Stimme von Jonah und am liebsten würde ich ihn verscheuchen. Dieses Mal hat er kein gutes Timing.
Schnell schüttelte ich meinen Kopf, sehe ihn an und hoffe, dass er schnell wieder geht. Doch Jonah bleibt am Tisch stehen, lächelt mich an und scheint nicht zu bemerken, dass er gerade stört. Vielleicht hat er dieses Mal nicht das richtige Feingefühl.
"Ich habe morgen frei", verkündet er und lächelt mich an. "Vielleicht hast du ja morgen Lust, den Kaffee mit mir zu trinken". Meine Gesichtszüge entgleisen mir. Wie unpassend ist das denn jetzt? Zudem sieht er doch, dass meine Hand auf der von Harry liegt. Doch als Jonah mir zuzwinkert, ein Grinsen auflegt und dann auf unsere Hände sieht, verstehe ich gar nichts mehr. "Wir können über früher quatschen. Immerhin haben wir uns viel zu erzählen."
Merkt er die Einschläge noch?
"Vielleicht kann man aus dem Kaffee ja noch mehr machen."
Mein Mund klappt auf und im gleichen Augenblick spüre ich, wie Harry meine Hand in seine nimmt und diese krampfhaft zusammendrückt. Vorsichtig schiele ich zu meinem Lockenkopf. Er sieht Jonah mit einem Blick an, der einem das Blut in den Adern gefrieren lässt.
"Ich bitte Sie jetzt höflich uns die Rechnung zu bringen und sollten sie weiterhin meinen Freund belästigen, sind Sie ihren Job schneller los, als sie gucken können", zischt Harry leise und scheint Jonah mit seinem Blick zu töten. Der Kellner hingegen scheint davon unbeeindruckt zu sein, lächelt mich an und verschwindet.
Mein Herz jedoch ist stehengeblieben.
Hat er mich gerade "Meinen Freund" genannt?
Mein Blick geht zu Harry, doch dieser scheint Jonah durch den ganzen Laden zu beobachten, bis dieser wieder bei uns ist und uns die Rechnung auf den Tisch legt.
"Meld' dich einfach, Louis", verkündet mein ehemaliger Mitbewohner und ein Knurren kommt aus Harrys Mund. Wütend pfeffert er das Geld auf den Tisch, erhebt sich und verdattert stehe ich ebenfalls auf. Besitzergreifend nimmt Harry meine Hand, baut sich vor Jonah auf und nun scheint auch er von Harry eingeschüchtert zu sein. "Anscheinend haben Sie es noch immer nicht kapiert, oder? Louis ist nicht zu haben. Weder für einen Kaffee noch für andere Dinge."
Erneut setzt mein Herz aus.
Wütend dreht Harry sich um, geht Richtung Ausgang und zieht mich an meiner Hand hinter sich her.
Als ich mich noch einmal zu Jonah umdrehe, zwinkert dieser mir erneut zu und streckt seinen Daumen nach oben.
Und da dämmert es mir was hier passiert ist.

Jonah ist ein Genie!

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