"Ich gehe mal davon aus, dass Sie alle hier durchschnittlich 200 Euro Erspartes auf ihrem Konto haben. Das ist das arithmetische Mittel aus all Ihren Kontoständen, denn der eine hat vielleicht 300, der andere 100 Euro – ich sehe, in der ersten Reihe wird gelacht. Sie haben wohl keine 200 Euro? Nun, dann stellen Sie sich bloß einmal vor, ich lade Bill Gates in meine Vorlesung ein – herzlichen Glückwunsch, laut Statistik sind Sie nun alle Millionäre! Analog kann ich Ihnen versprechen, dass die Durchschnittsnote Ihrer ersten Klausur eine 3 sein wird. Das heißt aber nicht, dass Sie nicht lernen sollten: dank der paar Streber, die eine 1 schreiben, werden einige von Ihnen mit einer 5 durchfallen. Und deshalb, meine Damen und Herren, trauen Sie nie einer Statistik, die Sie nicht selbst gefälscht haben! Ich wünsche Ihnen ein schönes Wochenende."
Das übliche Beifall-Klopfen am Ende einer Vorlesung breitete sich im Saal aus, gemischt mit dem Geräusch von unzähligen Notizheften und Laptops, die in Taschen gestopft wurden.
"Der Dr. Schubert ist echt cool, oder? Hoffentlich wird die Klausur nicht zu schwer", sagte Nesrin, während sie damit kämpfte, ihren Laptop in die überfüllte Handtasche zu quetschen. "Kommst du heute mit? Sasan würde uns dann abholen, wir wollen irgendwo was essen gehen und dann vielleicht Shisha-Bar."
"Ich kann nicht, bin doch heute arbeiten." Seit kurzem hatte ich mir einen Nebenjob gesucht: Regale auffüllen und kassieren in einem kleinen Bio-Laden.
Nesrin schmollte kurz. "Na gut... oh weißt du was, wir holen dich dann einfach dort ab. Mundenheimer Straße, oder?"
* * *
Wie abgesprochen holten Sasan und Nesrin mich zum Feierabend am Laden ab. Im Auto saßen noch Mustafa und ein mir bis dahin unbekannter Typ, der sich als Alex vorstellte.
"Und, wo fahren wir hin? Shisha-Bar?", fragte ich.
"Nein, haben den Plan geändert", erklärte mir Sasan. "Bei der Hitze draußen haben wir Bock auf ein bisschen Abkühlung. Ein Kumpel von uns hat einen Pool, da fahren wir hin. Der ist grade im Urlaub."
"Er ist nicht da? Und ihr dürft einfach seinen Pool benutzen?"
"Haha ja, das geht schon klar, er erlaubt es", sagte Sasan.
Ich fühlte mich etwas unwohl bei der Sache, wollte aber nicht als Spielverderberin dastehen. Nach einer viertel Stunde Autofahrt fiel mir auf, dass ich überhaupt keine Badeklamotten dabei hatte – ich wollte gerade fragen, ob wir nicht noch mal umdrehen könnten, da bog Sasan von der Hauptstraße ab in eine kleinere, links und rechts mit pompösen Villen gespickten Straße. Wir fuhren in eine Einfahrt, in der bereits ein weißes Cabrio mit offenem Verdeck parkte. Ich wunderte mich gerade darüber, wieso man in den Urlaub fährt und dabei sein offenes Cabrio vor der Garage stehen lässt, da sagte Mustafa: "Ah, Volkan ist also auch schon da."
Volkan? Das war doch der große Typ von letztens... Mit einem Mal fiel mir auf, dass ich sehr verschwitzt und ziemlich zerzaust von meiner Schicht im Laden aussehen musste.
Ich fühlte mich ein wenig wie ein Einbrecher, als ich den anderen auf einem versteckten kleinen Trampelpfad folgte, der um das Haus herum in den hinteren Teil des Grundstückes führte. Der Garten sah aus wie aus einem 'Schöner Wohnen'-Magazin: zu geometrischen Formen geschnittene Hecken; akkurat gepflanzte, farblich zum Haus passende Blumen; und ein Rasen, der den Eindruck machte, als würde er regelmäßig mit der Nagelschere gestutzt werden. Meinen Geschmack traf es nicht.
Wir gingen schnurstracks auf den hinteren Teil des Gartens zu. In den Boden eingelassen war ein riesiger, schwarz gefliester Pool. Auf einer kleinen Fläche neben dem Wasser standen zwei Liegestühle, aus denen sich Volkan und Hakan, von dem ich inzwischen wusste, dass er Volkans Bruder war, erhoben.
"Ey yo, was geht!"
Alle begrüßten sich der Reihe nach; ich wusste nicht ganz, ob ich Volkan umarmen oder die Hand schütteln sollte, und am Ende wurde es eine sehr peinliche Mischung aus beidem. Hakan hielt mir einfach die ausgestreckte Faust hin, worüber ich dankbar war.
"Worauf warten wir? Rein da!", rief Mustafa, und er und Alex lieferten sich einen Wettstreit, wer zuerst Hose und Shirt ausgezogen hatte und in den Pool gesprungen war. Ein leichter Sprühnebel wehte mir entgegen, als beide eine Arschbombe ins Wasser machten.
"Ähm", sagte ich leise zu Sasan und Nesrin, die neben mir standen, "ich hab jetzt keine Badesachen dabei..."
"Hat keiner hier", antwortete Sasan, während er sich Shirt und Hose auszog. "Wir gehen alle in Unterwäsche. Da freue ich mich bei euch schon drauf", sagte er mit einem verschmitzten Zwinkern, was bei Nesrin Augenrollen auslöste.
"Wehe, du guckst mich an, dann erzähle ich das meinem Bruder." Sie begann nun ebenfalls, sich auszuziehen.
Sasan drehte sich zu mir. "Hast du einen Bruder?", fragte er grinsend, während er, immer noch mir zugewandt, zum Pool lief. "Komm, sei kein Spießer, Kleine!" Er ließ sich rückwärts in den Pool fallen, dicht gefolgt von Nesrin, die, jetzt nur noch mit BH und Höschen bekleidet, kreischend ins kühle Wasser sprang.
Ich vermutete, dass sie nur darauf warteten, dass ich protestieren würde. Zumindest Nesrin schien der Meinung zu sein, dass ich ziemlich prüde sei, weil ich mich nie an ihren 'Der und der ist ja so hot'-Gesprächen beteiligte. Ich war allerdings schon zu oft mit Freunden nachts nackt im See baden gewesen, um mich hieran zu stören. Also zog ich mich ebenfalls aus, froh darüber, dass ich mich heute nicht für Oma-Schlüpfer entschieden hatte, und sprang mit Anlauf hinterher in den Pool. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Sasan und Mustafa anerkennende Blicke austauschten. Ob sie meinem Körper galten oder der Tatsache, dass ich mich nicht zierte, war mir egal.
* * *
Wir plantschten eine Weile herum wie kleine Kinder. Aus einer Kiste neben dem Pool hatte jemand einen Wasserball hervorgeholt. Über Volkan dachte ich tatsächlich nicht weiter nach, dafür hatten wir zu viel Spaß, ich bemerkte ihn kaum.
Zumindest, bis er irgendwann kurz aus dem Wasser stieg, um etwas auf seinem Handy, das ein Stück entfernt bei seinen Sachen auf dem Rasen lag, nachzugucken.
Da stand er, nur mit einer klatschnassen, engen Unterhose bekleidet. Seine Haare trug er heute offen. Sie hingen tropfend bis auf seine breite, muskulöse Brust. Ein Sixpack hatte er nicht, was mich tatsächlich nicht störte. Im Gegenteil. Er sah so bereit und stark und sexy aus... etwas beschämt biss ich mir auf die Unterlippe, als mein Blick nach unten in Richtung der hautengen Boxershorts abglitt. Ich schaute schnell weg – direkt zu Sasan, der mir gegenüber am Beckenrand lehnte. Er war meinem Blick gefolgt und grinste mich sehr breit an. "Der Indianer hat es dir wohl angetan, was?"
"Halt die Klappe. Du hast Nesrin vorhin auch auf den Arsch geschaut", versuchte ich, abzulenken. Ich war etwas irritiert über das Wort 'Indianer', das mich daran erinnerte, dass Nesrin ihn letztens ebenfalls als 'Apache' bezeichnet hatte. Ich hatte bisher den Eindruck gehabt, er wäre Türke – war er tatsächlich Indianer oder zielte der Spitzname nur auf sein markantes Äußeres ab?
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Alles, was ich seh', bist du
Fanfiction"Wollen beide frei, aber nie alleine sein" (Fan-Fiction zu Apache 207)