Kapitel 2 - Du, Apache hat was

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Was danach auf mich zukam? Nun ja. Es begann mit einem Klopfen an meiner Tür, und Nesrin, die von dahinter rief: 

  "Komm raus, Liz, mein Bruder steht unten im Halteverbot!"

  "Komme!", rief ich zurück und zog mir hektisch die Schuhe an. Ich zögerte kurz und überlegte, ob ich lieber eine Jacke einpacken sollte – es war inzwischen fast Juni, aber ich hatte einen sehr knappen Jumpsuit an, und abends könnte es noch kühl werden. Also schnappte ich mir meine Jeansjacke, steckte sie zusammen mit meinem Handy in die Handtasche und ging hinaus zu Nesrin, die mich auf dem Hausflur erwartete.

  "Schick, Süße", sagte sie anerkennend. "Heute machen wir also auf nuttig?"

  "Musst du gerade sagen, Miss 'Absatz höher als die Shorts lang sind'. Komm jetzt, ich denke, dein Bruder wartet?"

Nesrins Bruder – sie nannte ihn immer 'Abi', aber ich glaubte nicht, dass das sein richtiger Name war – studierte ebenfalls an der Mannheimer Uni und ging manchmal mit uns in der Mensa essen. Er hatte uns eingeladen, mit ihm und ein paar seiner Kumpels auf den Wiesen am Rhein-Ufer zu chillen. Eine Schulfreundin von Nesrin begleitete uns. Sie war eine hübsche junge Frau mit schulterlangen braunen Haaren, die mir etwas unsympathisch war, seit sie mich mit den Worten "Und du bist also die neue Uni-Freundin von Nesrin? Hi, ich bin ihre BESTE Freundin Miriam" begrüßt hatte. 

Wir fuhren nur wenige Minuten, stellten das Auto am Straßenrand ab und liefen die Böschung hinunter in Richtung Fluss. Zwei der Kumpels saßen schon auf der Wiese am Ufer. Sie hatten sich ein wirklich schönes Fleckchen ausgesucht. Die Wiesen waren weitläufig und fielen flach zum Wasser hin ab, in dem sich die bereits tief stehende Sonne spiegelte. Am gegenüberliegenden Ufer wogten die Bäume eines kleines Waldstücks träge im Wind, wodurch man fast vergaß, dass man sich eigentlich in einer Stadt befand. Überall verteilt saßen kleine Grüppchen von Freunden und Familien. Unsere Gruppe saß abseits, weit genug von der nächsten entfernt, um etwas Privatsphäre zu haben.

Wir näherten uns den beiden arabisch aussehenden Männern. Sie hatten in ihrer Mitte eine kleine, portable Shisha aufgebaut, die sie gerade zum Laufen brachten.

  "Ey, Serkan, Sasan! Was geht!"

Der kleinere von beiden, er trug einen kurzen Bart und hatte ein sympathisches Lächeln, sprang auf und begrüßte uns alle mit einer Umarmung. "Selam Abi! Hey, Miri, Nesrin. Na, was hast du denn für eine hübsche Freundin mitgebracht?", fragte er, als er mich ebenfalls mit einer Umarmung begrüßte.

Nesrin verdrehte gespielt genervt die Augen. "Nimm den nicht so ernst, Liz, er macht gern auf Aufreißer. Eigentlich ist er eher ein Schmusekätzchen, nicht wahr, Sasan?"

Sasan schubste Nesrin spielerisch. Wir begrüßten nun auch den anderen – Serkan – und setzten uns zu ihm ins hohe Gras.

Ich fühlte mich sehr wohl in dieser Gruppe. Sasan war ein sehr angenehmer Gesprächspartner; er hatte diese Art Humor, die ich so liebe, dieses sich aus Spaß gegenseitig necken und nicht alles zu ernst nehmen. Serkan redete nicht viel, aber wenn er etwas sagte, war es stets etwas Witziges.

  "Na, habt ihr ein paar heiße Typen an der Uni?", fragte Miriam, während sie den Shisha-Schlauch an Nesrin weiterreichte.

  "Oh ja, ein paar! Oder, Liz?"

Ich hob eine Augenbraue und dachte darüber nach, ob ich in den letzten Wochen irgendeinen heißen Typen gesehen hatte. Mir fiel auf Anhieb keiner ein.

  "Oh komm schon. Dieser Tobias, der in Statistik immer vor uns sitzt? Oder André aus Englisch. Und natürlich dein Prinz Charming!"

  Ich schüttelte den Kopf. "Finde ich jetzt nicht so."

  "Haha naja, du stehst anscheinend nicht auf gutaussehende Typen", lachte Nesrin und blies ein paar Rauchringe in die Luft.

  "Ich finde einfach nicht, dass der gut aussieht. Mit seiner Schmalzlocke."

  "Und ob der gut aussieht. Ich wette, er hat Sixpack."

  "Ich steh' nicht so auf Sixpack."

  Nesrin schaute mich an, als hätte ich ihre Religion beleidigt. "Worauf dann, Bierbauch? Dann wirst du Sasan mögen. Nicht wahr, Saso, du hast bisschen zugelegt in letzter Zeit, oder?"

Sasan, der mir und Nesrin gegenüber saß, warf einen Büschel Gras nach ihr, woraufhin sie aufkreischte und fast die Shisha umwarf.

  "Ey, passt mal auf, wir haben nur die eine Kohle mit!", beschwerte sich Serkan.

Während Nesrin und Sasan sich weiter mit Grashalmen bewarfen, fiel mir eine Gruppe Männer auf, die die Böschung hinunter auf uns zugelaufen kamen. Auch Serkan hatte sie entdeckt und stieß Sasan mit dem Ellbogen an. Die beiden sprangen auf. Sasan lief ihnen mit ausgebreiteten Armen entgegen: "Ey yo, Leute! Nice, dass ihr noch gekommen seid. Hakan, was geht?"

Die Männer begrüßten sich allesamt mit Handschlag und dieser seltsamen halben Umarmung, die Männer dabei immer machen. Aus dem allgemeinen Hallo-Gesage konnte ich heraushören, dass einer von ihnen – ein kleiner, quirliger Typ mit Drei-Tage-Bart – Mustafa hieß. Am meisten stach mir aber der dritte im Bunde ins Auge. Er war mit Abstand der Größte (ich schätzte ihn auf um die 2 Meter) und breit gebaut. Er trug eine Sonnenbrille (was mir angesichts der fortschreitenden Abenddämmerung etwas übertrieben vorkam) und eine recht ungewöhnliche Auswahl an Klamotten: ein buntes Shirt im 80er-Jahre-Stil, das in den Bund einer Adidas-Jogginghose gesteckt war, eine Bauchtasche sowie weiße Socken in Gucci-Sandalen. Ich fragte mich, ob sie echt waren.

  "Nesrin?", raunte ich ihr leise zu, "wer ist der große Kerl?"

  Nesrin drehte sich zu mir und grinste sehr breit. "Volkan. Erkennst du ihn?"

  "Nein, sollte ich? Geht er auf unsere Uni?"

  Nesrin schaute mich verwirrt an. "Nee. Apache!?"

  "Hä?"

Bevor sie mir weitere Erklärungen geben konnte, stieß mich Sasan von der Seite an. "Macht Platz, Mädels, wir sind nicht alle so schlank wie ihr. Von dir rede ich nicht, Nessi."

  "Maul, Sasan. Du bist auch 105 Kilogramm ohne Definition."

Während die beiden sich weiter zankten wie ein altes Ehepaar (ich nahm mir vor, Nesrin später zu fragen, ob zwischen den beiden etwas lief) und auch alle anderen in Gespräche versanken, sah ich zu diesem Volkan hinüber.

Er sah aus wie ungefähr Ende 20, Anfang 30. Er hatte lange, zu einem unordentlichen Dutt hochgebundene Haare – waren sie schwarz oder dunkelbraun? Ich mag lange Haare bei Männern nicht. Absoluter Abturn. Auch von der Statur her war er weniger mein Typ. Wenn ich mit meinen 1.63 Metern einen 2-Meter-Kerl küssen würde, wie sollte das denn bitte aussehen?

Ich bemerkte plötzlich, dass ich ihn schon eine ganze Weile anstarrte. Schnell wandte ich mich dem Gespräch zwischen Nesrin und Miriam zu und hoffte, er hatte es nicht bemerkt. War schwer zu sagen, durch die Sonnenbrille.

Miriam und Nesrin schauten sich gerade Instagram-Profile von irgendwelchen Leuten an, die ich nicht kannte, und kommentierten ab und zu mit "Wow, der ist scharf geworden" oder "Muss man seinen Arsch so rausstrecken? Was für eine Schlampe." Mich interessierte das Gespräch nicht wirklich, und auf meiner anderen Seite unterhielten sich Sasan und Serkan gerade über Fußball – gibt wohl kein langweiligeres Thema – also ließ ich meinen Blick etwas schweifen, und landete wieder bei...

Wow. Er hatte seine Sonnenbrille abgesetzt, es wurde ihm jetzt wohl doch zu dunkel. Und er sah so GUT aus. Er wirkte jetzt deutlich jünger, doch eher Anfang 20, etwa mein Alter. Ich war regelrecht schockiert darüber, wie hübsch er war. Ich glaube, mir stand sogar der Mund offen.

Er musste mein Starren bemerkt haben, denn sein Blick traf plötzlich meinen. Ich realisierte es zu spät und wandte mich, etwas beschämt, ab. Ich wollte nicht, dass er dachte, ich würde mit ihm flirten. Er war schließlich nicht mein Typ.

* * *

Es wurde immer dunkler und kühler. Ich hörte gespannt den Gesprächen der Menschen um mich herum zu, hatte viel zu lachen und sammelte fleißig Mückenstiche auf meinen Beinen. Besonders bewusst war ich mir einer bestimmten Stimme: sie war sehr tief und angenehm. Ich versuchte, nicht mehr in die Richtung zu schauen, aus der sie kam. 

Alles, was ich seh', bist duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt