Kapitel 5 - Roller

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  "Du gibst ihm das schön selber. Ich bin doch nicht der DHL-Bote."

  "Ich sehe ihn vielleicht erst sonstwann wieder, wenn überhaupt. Ich hab doch nicht mal seine Nummer. Es wäre viel einfacher, wenn du ..."

Nesrin zog ihr Handy aus der Tasche und tippte kurz darauf herum. "So, Problem erledigt", sagte sie in derselben Sekunde, in der mein eigenes Handy in meiner Tasche vibrierte. Ich holte es heraus und -

Neue Nachricht von Nesrin

Kontakt: Volkan Yaman, Nr: 0173 ...

Ich seufzte. Ich würde es niemals offen zugeben, aber ich war so aufgeregt darüber, jetzt seine Nummer zu haben, dass ich mich nicht weiter mit ihr rumstritt. "Hat er eigentlich noch irgendwas gesagt, als er in der Bar zu euch gestoßen ist?"

  "Keine Ahnung, ich bin weg, bevor er gekommen ist. Ich hatte eigentlich gar keine Lust mehr auf ausgehen. Wollte euch nur zusammen im Auto fahren lassen." Sie zwinkerte mir zu.

  "Deine Verkupplungs-Versuche kannst du einstellen. Er ist nicht mein Typ."

  "Das hast du mir jetzt schon so oft gesagt, dass ich langsam glaube, du willst davon nicht mich überzeugen, sondern dich selbst."

Ich drehte mich von Nesrin weg und tat so, als würde ich mich weiter mit der Hausarbeit beschäftigen, die wir bis morgen abzugeben hatten. Wenn ich ganz ehrlich war, versuchte ich tatsächlich, mir genau das einzureden. Ein Hobby-Psychologe würde wohl von Bindungsangst sprechen. Was ein richtiger Psychologe dazu sagen würde, wusste ich nicht – ich hatte noch ein paar Semester vor mir. Auf jeden Fall war ich in meinem Leben erst einmal verliebt gewesen, und das war in die Hose gegangen. Seitdem hatte ich keine Lust auf Männer oder Liebe. Ich weiß, es klingt abgedroschen, aber ich mochte einfach das Gefühl des Kontrollverlustes nicht, der Irrationalität, des Ausgeliefertseins. Sicher würde ich schon irgendwann den Richtigen finden, aber dann frühestens mit 26.

Gleichzeitig erschrak ich mich ein wenig über mich selbst, dass meine Gedanken überhaupt diese Richtung einschlugen. Nur, weil man jemanden attraktiv findet, muss man ja nicht gleich an Liebe denken. Ich war generell der Meinung, dass man schon auch mal unverfänglichen Spaß haben darf. Solange ich nicht die Kontrolle verlor und Sex mit Gefühlen verwechselte...

Frustriert schüttelte ich den Kopf. In diese Richtung wollte ich auch nicht  denken.

Ich nahm mein Handy und schrieb eine Nachricht:

Hey Volkan, hier ist Lisa. Hab die Nummer von Nesrin. Soll ich dir morgen mal dein Shirt vorbeibringen? Ich kann es ja in den Briefkasten werfen, oder so.

Die Arbeit an dem Aufsatz ging nicht besonders produktiv voran, weil ich im Minutentakt auf mein Handy schielte. Irgendwann wurde ich dann aber doch fertig. Nachdem Nesrin und ich unsere Ergebnisse verglichen hatten und sie zurück in ihre Wohnung nebenan gegangen war, machte ich mich bettfertig. Ich schaute ein letztes Mal enttäuscht auf mein Handy, als ...

brrrrrrm brrrrrrrrm

Volkan Yaman: hey. komm doch donnerstag nachmittag mit ins Westpoint. Ich schreib sasan, er soll dich abholen, ok?

Mein Herz machte einen kleinen Hüpfer. Ich schickte ein kurzes ok zurück und legte mich zufrieden schlafen.

* * *

Sasan rappte voller Hingabe den Song mit, der aus den Boxen dröhnte. Irgendein Gangster-Rap. Das Lied gefiel mir zwar nicht, aber Sasan schien recht talentiert zu sein, was das anging.

  "Schon mal an eine Rapper-Karriere gedacht?", fragte ich ihn, mehr zum Spaß. 

  Zu meiner Überraschung entgegnete er: "Ja, hab ich sogar echt vor. Hab da schon paar Ideen und so. Ist aber nicht ganz so einfach, das alles zu organisieren. Auch wenn es natürlich hilft, wenn du jemanden kennst, der- äh, wenn du Leute kennst, halt."

Ich hatte Nesrin nach Sasans Nummer gefragt, um ihm zu schreiben, dass er mich von der Uni abholen sollte. Ich musste schmunzeln, als ich daran zurückdachte, wie sie zuerst sehr schnippisch geworden war: "Sasans Nummer? Wozu?"  Ich hatte sie immer noch nicht gefragt, was zwischen den beiden lief, musste das aber unbedingt nachholen. Vielleicht würde sie das etwas von ihrer Mission ablenken, mich mit Volkan zu verkuppeln.

Nun waren wir unterwegs zum Westpoint – laut Google war das eine Shisha-Bar in irgendeinem Dorf. Warum Volkan und seine Kumpels gerade dort abhingen, keinen Schimmer.

Normalerweise ging ich ja eher im Schlabber-Look zur Uni. Heute hatte ich mich – ganz zufällig natürlich und überhaupt nicht nur, weil ich gleich jemand bestimmten treffen würde – geschminkt und in Schale geworfen. Ich trug ein recht offenherziges Top und High-Waist Hot-Pants. Meine Haare hatte ich über Nacht zu einem Zopf geflochten, so dass sie mir in leichten Wellen auf den Rücken fielen.

Aus den Boxen drang nun ein anderer Beat, einer, der mir schon besser gefiel. Sasan sang diesmal nicht mit, also dachte ich mir, ich übernehme den Part.

  Sasan schaute mich begeistert von der Seite an. "Du bist wohl Capital Bra Fan?"

  "Ne", lachte ich. "Ich kenne eigentlich nur das eine Lied."

  "Ah", sagte Sasan, "also hörst du nicht so viel Deutschrap?"

  "Ein bisschen. Ich mag dieses Gangster-Rap-Gehabe nicht so."

Aus irgendeinem Grund schien Sasan das unglaublich witzig zu finden. Nachdem er sich wieder eingekriegt hatte, schlug er vor: "Ich hätte da noch einen Rapper, der dir vielleicht gefallen wird. Muss ich dir demnächst mal zeigen."

  "Tu dir keinen Zwang an, bin nicht so leicht zu begeistern."

Als wir an einer roten Ampel hielten, gab Sasan kurz etwas ins Handy ein. Nach einem Moment begann ein neuer Song zu spielen:

Warum fickt ihr Kopf? (Kopf)
Mein Kopf platzt, Gucci-Sandalen, ich trag' sie nur aus Trotz (Trotz)
Trotzdem machen sie mir nach, kann's nicht glauben, lieber Gott
Gott sei Dank schützt du mich, wenn meine Wespe mal wieder rollt
Wenn sie rollt

  "Ist das der, den du gerade meintest?"

Sasan nickte. Ich hörte mir das Lied bis zum Ende an. "Ganz nett", kommentierte ich nur, woraufhin Sasan lachte.

  "Was ist?"

  "Erzähl dann mal Volkan, dass du 'Roller'  ganz nett findest, der freut sich."

  "Wieso, ist er Fan?"

  "Kann man so sagen."

Alles, was ich seh', bist duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt