Kapitel 30 - Ich schwör' dir, nach dir gibt es Keine mehr

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V O L K A N

Wie vereist stand ich da und sah ihr nach, als sie die Straße hinunterlief und schließlich um die Ecke bog und verschwand. Ich wollte ihr hinterherlaufen, sie in den Arm nehmen, und alles dafür tun, dass ich nie wieder diesen Schmerz in ihren Augen sehen würde. Aber etwas in mir hielt mich zurück. Das Wissen, dass ich sie einfach nicht verdient hatte. Dass sie etwas besseres verdient hatte.

Ich stand immer noch wie angewurzelt da, als sich hinter mir die Tür öffnete und Hakan nach draußen kam. Er lehnte sich gegen die Hauswand und legte den Kopf in den Nacken.

  "Mann, diese Nesrin hat mich ganz schön unter den Tisch gesoffen."

Gedankenverloren zog ich mir Schachtel und Feuerzeug aus der Bauchtasche und zündete mir eine Kippe an. Hakan blinzelte angestrengt. "Was ist los, Abi?"

Es gibt genau zwei Personen auf der Welt, denen ich nie etwas vormachen konnte: meine Mutter und mein Bruder. Es war, als würden sie einfach durch mich hindurchsehen können. Es machte keinen Sinn, etwas vor einem von ihnen verheimlichen zu wollen.

  "Das mit Lisa ist jetzt wohl endgültig aus." Ich nahm einen tiefen Zug.

  "Verstehe", sagte Hakan.

  "Ich glaube kaum", entgegnete ich schnaubend. Dieser Schmerz, diese Wut, das war alles so viel, das konnte man gar nicht verstehen. Hauptsächlich war ich wütend auf mich selbst. Ein bisschen auch auf sie, dass sie mich überhaupt in diese Gefühlslage brachte, aber diese Wut war letztendlich auch nur die Frustration über mich selbst, weil ich es nicht schaffte, besser damit umzugehen.

  "Du bist nicht der Erste, der sich verliebt, Kleiner", lachte Hakan. Ich zuckte angesichts des Kosenamens nicht mit der Wimper. Er war der Ältere von uns beiden, aber ich war trotzdem größer. Mich 'Kleiner' zu nennen war seine Vorstellung von Humor. Für Humor war ich gerade nicht zu haben.

  "Sie hat einfach was besseres verdient, als mich", erklärte ich.

Hakan schüttelte den Kopf, stieß sich von der Mauer ab und legte schwer seine Hand auf meine Schulter. Es schien weniger als liebevolle Geste, und mehr als Stütze für ihn zu dienen, damit er nicht umkippte.

  "Lass sie das doch einfach selbst entscheiden, Abi. Und jetzt komm rein, sie wollen gleich 'ne Torte anschneiden."

Ich zertrat die Zigarette am Boden und folgte Hakan nach drinnen, wo ich versuchte, mir nichts von meiner schlechten Stimmung anmerken zu lassen.

Eigentlich hatte Hakan ja recht... Vielleicht könnte ich ja einmal in meinem Leben Eier beweisen und um das kämpfen, was ich wollte. 

Ich fasste einen Entschluss.

* * *


L I S A

Nesrin: bitte, kann ich rüberkommen und wir reden nochmal drüber?

Traurig betrachtete ich die Nachricht. Ich stopfte noch ein Paar Socken in meinen Rucksack, dann antwortete ich:

Lisa: Sorry, aber ich mache gleich los. Ich fahre für ein paar Tage zu meinen Eltern.

Um ein bisschen Abstand von allem zu gewinnen und darüber nachzudenken, wie ich mit der Situation umgehen sollte. Dass ich gleich los musste, war gelogen, mein Zug ging erst in ein paar Stunden. Trotzdem wollte ich bis dahin niemanden sehen.

Alles, was ich seh', bist duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt