Kapitel 25 - Beef

1.8K 41 10
                                    


L I S A

Oh, wie schlecht von mir. So dermaßen billig. Kindisch hoch zehn.

  "Wir sollten vielleicht doch nicht reingehen. Guck mal, die Schlange ist so lang...", versuchte ich mich im letzten Moment noch rauszureden.

Paul hob fragend die Augenbrauen. Keine zehn Menschen standen vor dem Club an, und die Schlange bewegte sich sichtlich schnell vorwärts.

  "Jetzt sind wir doch aber extra hergefahren."

Vorhin fand ich die Idee noch gut. Volkan richtig schön eifersüchtig machen. Danach würde er entweder bei mir angebettelt kommen, oder es wäre ihm egal. So oder so, ich wüsste am Ende, woran ich war. Aber das hier war einfach nicht meine Art.

  "Ich hab irgendwie Bauchschmerzen. Ich glaube, ich hab den Fisch vorhin nicht so gut vertragen..."

  Pauls Mine wechselte sofort von leicht genervt zu ehrlicher Sorge. Er trat näher zu mir und legte mir eine Hand auf die Schulter. "Das tut mir leid, ich bring dich natürlich sofort nach Hause! Ist es sehr schlimm, soll ich lieber ein Taxi rufen?"

  "Geht schon, ich schaffe es noch, Bahn zu fahren", wehrte ich ab und lächelte ihn dankbar an. 

  Er legte den Arm ganz um mich, zog mich zu sich heran und gab mir einen Kuss auf die Stirn. "Das wird schon wieder, mach dir zuhause am besten einen Kamillentee." Der enge Kontakt war mir unangenehm, aber nach meiner Lüge hätte ich ein schlechtes Gewissen dabei gehabt, ihn abzuweisen. Er meinte es ja nur gut.

Ich wollte mir selbst gerade für die gelungene Ausrede gratulieren, da flog direkt neben uns eine Tür auf. Aus dem Inneren drangen heftige Bässe. Wir standen anscheinend direkt vor dem VIP-Eingang des Clubs. 

Und wer benutzte natürlich den VIP-Eingang, um schnell eine zu rauchen...?

  "Liiiiiz!", schrie Nesrin und warf sich mir um den Hals. Da Paul immer noch seinen Arm um mich gelegt hatte und auch nicht vorzuhaben schien, ihn da wegzunehmen, gestaltete sich die Umarmung etwas schwierig. Während Nesrin sich an mich drückte, sah ich über ihre Schulter Sasan, der sich gerade eine Zigarette zwischen die Lippen klemmte, und – Volkan.

Das war jetzt aber kein schöner Zufall.

Ich sah sofort, dass er schon schön einen im Tee hatte. Er stand einfach da, die offene Schachtel Marlboro in der einen und ein Feuerzeug in der anderen Hand, und starrte Paul und seinen Arm an. Seine Augen zuckten rüber zu mir und trafen meinen Blick. In ihnen loderte ein Feuer.

Nervös stellte ich Paul vor. "Ähm, das ist also Paul... Paul, Nesrin, Sasan und Volk- äh, Apach- ähm, Volkan." Pauls Augen wurden groß, als er erkannte, wer da vor ihm stand. Er und Sasan schüttelten Hände. Paul streckte auch Volkan seine Hand hin, dieser blieb aber weiter wie angewurzelt stehen. Langsam ließ Paul die Hand wieder sinken. Die ganze Situation war äußerst unangenehm.

  "Also, Paul", versuchte Nesrin, den Moment zu retten. "Du gehst auch zur Uni? Hast du auch Prof-"

  "Ey, Blondie", unterbrach Volkan. Ich dachte erst, er meinte mich, doch dann realisierte ich, dass er Paul ansah. "Schönen Abend gehabt?" Seine Stimme war seltsam leise, aber angespannt. In ihr schwang etwas mit, das ich noch nie gehört hatte. Etwas aggressives.

  "J-ja...?", antwortete Paul und kniff misstrauisch die Augen zusammen. Volkan löste sich aus seiner Starre, indem er einen Schritt nach vorn machte, auf Paul zu. Etwas in seiner Körperhaltung vermittelte mir das Gefühl von Gefahr. Mit einem Schlucken wurde mir bewusst, wie groß und respekteinflößend er eigentlich aussah.

  "Schön für dich. Du verpisst dich jetzt besser."

Sasan trat vor und packte Volkan am Arm. "Bro", sagte er eindringlich. Volkan schüttelte ihn ab und machte noch einen Schritt nach vorn. Paul stieß ein verwirrtes Lachen aus.

  "Bitte wa-?"

  "Nimm deine Pfoten weg von meinem Mädchen", schnauzte Volkan ihn schließlich an. Es gab jetzt keinen Zweifel mehr, dass er auf Krawall aus war. Erschrocken wich ich einen Schritt zurück, Pauls Arm löste sich von meiner Schulter. Er drehte sich zu mir um. "Sag bloß, du hast was mit...?"

  "Wir hatten", erklärte ich abwehrend. In seinem Blick flackerte etwas abwertendes, enttäuschtes auf. Ich konnte mir vorstellen, was er dachte. Barbie vögelt also gern reiche Männer. Ihm zu erklären, wie es eigentlich war, würde die Situation jetzt nicht besser machen.

Er ging seinerseits einen Schritt auf Volkan zu – sie hätten Stirn an Stirn gestanden, wäre Paul nicht einen halben Kopf kleiner gewesen.

  "Ich weiß echt nicht, was du für einen Höhenflug hast, Bruder, aber 'dein Mädchen'  wird wohl noch selbst entscheiden dürfen, wer sie anfassen darf."

  Volkan lachte bitter auf. "Ich bin sicher nicht dein Bruder, Bro. Mach Abflug"

  Paul legte ihm die Hand auf die Schulter. Es sollte wohl eine beschwichtigende Geste sein, doch Volkan fasste sie völlig falsch auf. "Fass mich nicht an", zischte er und schubste Paul mit beiden Händen von sich weg. Volkan selbst geriet dabei mehr ins Taumeln als Paul. Ich dachte an den betrunkenen Volkan vom letzten Mal zurück und daran, wie anders, wie süß er da gewesen war - sogar kotzend war er mir um einiges lieber, als so hier. Alkohol sollte verboten werden.

  Paul lachte verächtlich. "Hast ihn wohl einmal reinstecken dürfen und denkst jetzt, sie gehört dir?"

Es ging sehr schnell. Volkan stieß Paul erneut von sich, diesmal aber mit ganzer Kraft, und Paul ging zu Boden. Mit einem dumpfen Geräusch schlug sein Hinterkopf auf den Pflastersteinen auf. Keuchend schlug ich die Hände über dem Mund zusammen. Nesrin stieß einen spitzen Schrei aus und Sasan hechtete vor, um sich zwischen die beiden Männer zu werfen, und drängte Volkan ein paar Schritte zurück, bevor der nochmal hinlangen konnte.

  "Alter!", rief Paul und hielt sich, während er sich wieder aufrappelte, den Ellenbogen fest. "Was ist denn mit dir  los?"

  "Rede noch mal so über sie und ich trete dir den Schädel ein."

Während Paul sich den Dreck von der Jacke klopfte, drehte er sich zu mir um und schien darauf zu warten, dass ich irgendetwas tat oder sagte. Ich konnte nicht. Ich war einfach zu perplex über das, was gerade geschehen war. Mit einem wütenden Schnauben stampfte er an mir vorbei und verschwand. Ich sah ihm nicht hinterher.

  "Lass mal wieder reingehen", sagte Sasan trocken, legte den Arm um Nesrin und begleitete sie nach drinnen. 

Volkan und ich standen uns nun allein gegenüber. Er warf mir ein schiefes Lächeln zu. "Hey, Baby", sagte er leise und stolperte mit ausgebreiteten Armen auf mich zu. Zögernd blieb er stehen, als ich zurückwich.

  "Glaubst du ernsthaft", spuckte ich ihm die Worte förmlich vor die Füße, "dass ich will, dass du für mich jemanden zusammenschlägst?"

  "Ich...", begann er, aber ihm schien keine Entschuldigung einzufallen. Meiner Meinung nach gab es für dieses absolut unreife Verhalten auch keine Ausrede. So schmeichelhaft es auch hätte sein können, dass er offenbar so heftig für mich fühlte – diese Gefühle kann man auch anders ausdrücken. 

  "Ciao, Volkan", sagte ich, drehte mich auf dem Absatz um und ging. 

Alles, was ich seh', bist duWo Geschichten leben. Entdecke jetzt