Die Wahrheit

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"Nein...nichts dergleichen...es ist...in meinem Kopf.", meine Stimme wurde brüchig und ich konnte nicht verhindern, dass mir jetzt doch die ersten Tränen über die Wange liefen. Schnell wischte ich sie weg und versuchte mich zu fangen.
Seine Augen nahmen einen anderen Ausdruck an, nachdem er erfahren hatte, dass ich weder einen Freund noch Ehemann hatte. Aber dennoch runzelte er fraglich die Stirn. So ganz schlau wurde er aus meinen Worten wohl nicht, was ich ihm auch nicht verübeln konnte.
"Ich..würde jetzt gerne alleine sein."
Sebastian nickte betroffen. An seinem Blick konnte ich erkennen, dass ihn die Frage drängte, was der wahre Grund war. Aber er behielt die Frage für sich, wofür ich ihm dankbar war. Vielleicht konnte ich ihm bei gegebener Zeit diese Frage beantworten.

Sobald ich die Tür hinter mir geschlossen hatte, hielt ich die Tränen nicht mehr zurück. Eigentlich wollte ich nicht alleine sein, ich brauchte jemanden zum Reden...ich brauchte Kati.
Sie war die Einzige die den wahren Grund kannte. Was würde ich nicht alles geben, um mit ihr sprechen zu können.
Ich zog mir meine Schuhe aus und setzte mich leise vor mich hin schluchzend auf den Boden, mit dem Rücken am Bett.
Es fühlte sich schlecht an, all das hier ohne Kati zu erleben und ich hasste mich dafür, Sebastian verletzt zu haben und ihm nicht mal den Grund dafür nennen zu können.

"Grace?", es klopfte irgendwann an der Tür, doch ich reagierte nicht. Das nächste was ich mitbekam, war wie Seb vor mir in die Hocke ging und mir ein Taschentuch reichte.
"Wie bist du hier rein gekommen?", ich musste ein paar Mal blinzeln, um ihn klar sehen zu können. Er trug mittlerweile Jogginghose und T-Shirt.
"Durch die Mitteltür. Du weinst jetzt schon fast eine halbe Stunde.", mit besorgtem Blick reichte er mir erneut ein Taschentuch. Warum war er noch so nett zu mir, nachdem ich ihm vor den Kopf gestoßen hatte und er nicht einmal wusste, warum?
"Du hast es ja nicht einmal geschafft, dich um zu ziehen."
Ich schaute an mir runter und bemerkte, dass ich tatsächlich noch im Kleid da saß. Es wird nachher wahrscheinlich ziemlich zerknittert sein.
Kurzerhand zog Sebastian sich sein T-Shirt aus und zog es mir über den Kopf. Mit einer Hand zwischen den Schultern zog meinen Oberkörper etwas vom Bett weg und öffnete mit der anderen Hand den Reißverschluss.
"Na komm hoch.", er half mir beim Aufstehen und dank seines T-Shirts, welches mir bis über den Hintern reichte, konnte ich das Kleid ausziehen, ohne mich halb entblößen zu müssen.
Ich zog das Shirt letztendlich ordentlich an und stand dann etwas verloren im Zimmer rum, während ich Sebastian dabei abwesend zusah, wie er mein Kleid ordentlich über einen Stuhl legte.
"Du solltest versuchen etwas zu schlafen.", er sah mich mit einem mitfühlenden Blick an und war schon wieder dabei, mein Zimmer zu verlassen, auch wenn ich ihm ansah, dass er es nur ungern tat.
"Kannst du hier bleiben?", es war mehr ein Flüstern, wo ich dachte, dass er es gar nicht hören würde. Er blieb stehen und sah mich an. Mit einem zaghaften Lächeln klopfte ich neben mir aufs Bett.
Er nickte und folgte meiner Bitte, blieb aber auf seiner Hälfte des Bettes. Nachdem, was vorhin auf dem Flur passiert war, war er sichtlich verunsichert, was die körperliche Nähe betraf.
Er war scheinbar ziemlich erleichtert, als ich ihm die Entscheidung, was er tun sollte, abnahm.
Ich rutschte zu ihm rüber und erst, als ich seinen Arm nahm und über meine Seite legte, entspannte er sich und zog mich noch etwas zu sich ran.
"Ist das so überhaupt in Ordnung für dich?", erkundigte er sich vorsichtig, doch anstatt zu antworten schmiegte ich mich an ihn.

"Wieso kamst du überhaupt auf die Idee, dass ich in einer Beziehung oder sogar verheiratet wäre? Das hättest du vorher schon mitbekommen, indem ich es dir gesagt hätte.", alleine schon der Gedanke daran, dass er glaubte, ich hätte es ihm bis zum letzten Moment verheimlicht, tat irgendwie weh. So viel Vertrauen hätte ich schon erwartet.
Auch wenn nur die Nachttischlampe an war und den Raum in ein dämmriges Licht tauchte, so erkannte ich, wie sich eine Gänsehaut auf seinem Oberkörper ausbreitete.
"Ich weiß auch nicht, aber im ersten Moment war es die logischste Erklärung.", er zuckte mit den Schultern. In erster Linie war der Grund wohl immer ein anderer Mann.
"Ich hatte schon lange keine Beziehung mehr, Schuld daran ist das mangelnde Vertrauen in die männlichen Wesen.", ich wusste nicht genau, warum ich anfing ihm den wahren Grund zu erzählen, vor allem da ich es sonst auch nur Kati erzählt hatte.
Aber irgendwie hatte ich das Gefühl, es Seb schuldig zu sein. In dieser Hinsicht vertraute ich ihm schon. "Mein damaliger erster Freund hatte mit seinen Kumpels eine Wette am laufen, dass er sein Erstes Mal noch vor seinem 16. Geburtstag hatte. Und da dazu immer zwei Leute gehören, sollte ich ihm dabei 'helfen'. Er hatte mich damit so unter Druck gesetzt, bis ich komplett dicht gemacht hatte." Bei der Erinnerung daran wurden meine Augen wieder feucht und ich fing an zu zittern.
Während ich erzählte, fuhren seine Finger beruhigende Kreise auf meinem Rücken nach.
"Er hatte mich die ganze Zeit versucht zu überreden und letztendlich zu Betäubungsmitteln gegriffen.", weiter konnte ich nicht erzählen, aber wahrscheinlich konnte sich Sebastian das Ende selber zusammen reimen.

Man sieht sich immer zweimal im Leben Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt