Aice Nandina | Kapitel 34

530 45 0
                                    

Wir warteten darauf, dass der Sandsturm verstummte, bevor wir aus der Höhle traten. Gott sei Dank, dauerte es nicht all zu lange, da niemand von uns dreien darüber begeistert war, in der Nähe der Leichen zu bleiben. Raus konnten wir nicht und so saßen wir zusammen gekauert in einer Ecke. Nio etwas abseits von uns, um nicht das ganze Blut auf uns zu übertragen. Er war auch der Erste, der nach draußen stürmte, sowie der Sturm auch nur ein wenig nachließ.
Seezth und ich folgten ihm vorsichtig und als wir nach draußen traten, sprang er gerade mit voller Wucht in das Wasser.
Wir beschlossen uns etwas abseits hinzusetzen und auf ihn zu warten. Höchst wahrscheinlich mochten die Spielmacher nicht, dass wir uns immer noch so nah bei den beiden Leichnamen aufhielten, aber in diesem Moment war dies uns egal. Wir würden Nio nicht hier alleine zurück lassen.
Wer wusste schon, wo die anderen beiden verbliebenen Tribute waren.
Nur noch Fünf...
Und Drei davon waren wir...
„Die beiden waren unser größtes Problem“; erfasste Seezth auf einmal meine Gedanken, „Du könntest es wirklich schaffen.“
„Hör auf“; bat ich ihn leise. Darüber wollte ich nicht nachdenken, doch mit den Fingern zwang er mich, mein Gesicht zu ihm zu wenden.
„Aice. Ich hatte es damals ernst gemeint, dass ich mich für dich opfern werde. Was immer geschieht, ich werde alle töten, damit du hier raus kommst und wir können es wirklich schaffen.“
„Und was ist wenn ich es nicht schaffen will?“ Seezth schaute mich verwirrt an, deswegen erklärte ich: „Was wenn ich nicht ohne dich hier raus möchte? Hast du daran schon mal gedacht?“
„Das ist aber nicht möglich.“, erwiderte er sanft, doch ich widersprach.
„Was war mit Katniss und Peeta? Sie haben es geschafft. Warum wir nicht?“
„Eben genau wegen den Beiden!“,zerstörte mein Partner meine Hoffnungen, „Präsident Snow hatte ihre Liebe nicht akzeptiert. Hat versucht sie zu vernichten und niemand von uns hat etwas dagegen getan. Das ist unsere Strafe Aice. Wie viele haben vielleicht den Einen oder die Eine in den Spielen gefunden. Nie hatten wir Rücksicht. Zwar taten alle mitfühlend aber niemand dachte daran, sie zu retten. Deswegen wird niemand jetzt die Regel ändern und uns beide raus halten. Das würde nur zeigen, dass sie schwach sind und sich verändern und verbiegen lassen. Es geht nicht, selbst wenn sie es eventuell wollen.“
„Das ist scheiße...“,beschwerte ich mich.
„Das ist Politik...“,argumentierte Seezth.
Er zog mich an sich und ich wehrte mich nicht dagegen. Mit geschlossenen Augen kuschelte ich mich an ihn und genoss die wenigen ruhigen Sekunden die wir einmal hatten.
„Steht dein Versprechen eigentlich noch? Wenn ich sterbe und du raus kommst, das du Flax zu dir nimmst?“
„Natürlich“;sagte ich ohne lange darüber nachzudenken und meinte es auch so. Es war mir ernst gewesen, damals als ich es am Essenstisch gesagt hatte und meinte es auch jetzt noch so. Aber etwas anderes war mir auch noch wichtig.
„Deines steht auch noch, oder?“ Ich sah in seinem Blick regelrecht, wie er mir sagen, wollte, dass er sowieso nicht gewinnen würde, deswegen ließ ich ihn gar nicht zu Wort kommen. „Du weißt wie schnell es hier drinnen zu ende sein kann. Was ist wenn mir etwas passiert und am Ende du der Sieger bist? Was ist mit Meleena?“
„Ich würde mein leben für die Kleine geben und dafür sorgen, dass ihr an nichts fehlt.“ Sein Blick war so ernst wie meiner hoffentlich nur weniger Sekunde vorher gewesen war. Innerlich war ich froh darüber, dass wir dies noch einmal besprochen hatten. Solange es Meleena gut gehen würde, war alles okay. Ich war mir nämlich nicht so sicher, dass ich überleben würde. Schließlich waren da draußen noch zwei weitere Tribute und Nio war auch noch da. 
Mein Blick schweifte zu unserem Verbündeten. Ich würde ihn niemals töten können. Schließlich schaffte ich es nicht mal bei einem Tribut, der mich tot sehen wollte. Wie sollte ich es also bei jemanden schaffen, der mir gestanden hatte, dass er mich liebte. Nio hatte genau so verdient zu gewinnen, wie Seezth oder ich.
Oder auch jeder andere Jugendliche der mit in dieser Arena gewesen war und trotzdem waren schon Neunzehn von ihnen Tod.
Ich hatte vor den Spielen niemanden von ihnen bis auf Nio gekannt. Hatte auch keinen von ihnen wirklich getötet und trotzdem schwebte ein dunkle Wolke des schlechten Gewissens über mir. Ein Gefühl, welches erst richtig auf mich einschlagen würde, wenn ich wirklich dieser Gefahr entkommen sollte. Ich fragte mich, wie die Sieger jedes Jahr, es geschafft hatten oft Lächelnd auf der Bühne danach zu sitzen. War in dem Moment die Freude, überlebt zu haben, einfach größer? Verdrängten sie die düsteren Gedanken?
Wie oft waren Mentoren aus den Distrikten ins Kapitol gekommen. Ihre Gesicht eine eiserne Maske und ihre Augen leer. Es schien, als wären auch sie damals in der Arena gestorben. Als hätten die Erinnerungen sie langsam getötet. Manche gaben einfach auf, andere hatten ihre Sorgen in Alkohol ertränkt oder mit Drogen betäubt. Wollte ich so enden?
Würde ich so enden?
„Das war widerlich.“, knurrte Nio auf einmal neben mir und riss mich aus meinen trüben Gedanken. Unser Verbündete musterte uns eine Weile, bevor er grinste. 
„Hab ich gestört?“
„Du störst immer.“, gab Seezth sarkastisch zurück, doch Nio ignorierte ihn.
„Hier können wir laut den Regeln nicht bleiben“, stellte er fest. „Schließlich sind hier die Leichen. Außerdem bin ich mir ziemlich sicher, dass die Spielmacher die beiden zu uns gelenkt haben, also werden sie uns auch mit den anderen Beiden zusammen bringen. Bis es soweit ist, sollten wir so viel Kräfte sparen wie möglich und einen neuen Unterschlupf suchen.“
Ich schaute zum Himmel hoch, konnte aber schlecht einschätzen wie spät es war und wie lange wir wohl noch Sonne haben würden.
„Was denkt ihr wie viel Zeit uns noch bleibt, bis die Nacht hereinbrechen wird?“, fragte ich deshalb. Seezth und Nio tauschten einen kurzen Blick, bevor sie selber einzuschätzen zu schienen, wie spät es war.
„Mindestens fünf Stunden auf jedenfall, denk ich.“, vermutete Seezth und Nio stimmte ihm zu. 
„Der Sandsturm war zwar länger, als alle anderen zuvor gewesen, aber er war nicht viel länger, als der ganze Vormittag. Er diente anscheinend dazu, alle die Unterwegs waren orientierungslos zu machen.“
„Das heißt?“ Ich war mir nicht einmal sicher, ob ich wirklich wissen wollte, wie unser Plan ab jetzt aussah.
„Das heißt“,erklärte Nio trotzdem, „dass wir jetzt losgehen werden und die Augen weit aufhalten werden, um Ausschau zu halten, nach den anderen beiden Tributen in der Arena. Wenn wir sie finden töten wir sie.“
„Und wenn es nur noch wir Drei sind?“ Ich wusste nicht warum ich dies wirklich fragte, aber irgendwie hatten wir nie darüber gesprochen. Vielleicht war in der Hinsicht alles zwischen mir und Seezth klar, aber Nio hatte nie etwas dazu gesagt. Er hatte nie behauptet, sich für mich oder Seezth zu opfern. Was würde passieren, wenn wirklich alles nach Plan lief und wir drei uns gegenüberstanden?
Nio schaute lange auf mich runter. Ich erwiderte seinen Blick und wartete geduldig auf eine Antwort. Aber die bekam ich nie.
„Lasst uns gehen.“, war alles was er sagte, bevor er sich von uns ab wand und wieder zurück zu unseren Sachen ging.
Seezth drückte mich noch einmal an sich und drückte mir einen Kuss auf den Scheitel, bevor auch er aufstand und Nio half.
Sie ließen mich allein mit meinen Ängsten und Sorgen.

Aice Nandina | Wenn Liebe zum Spiel wird Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt