Aice Nandina | Kapitel 19

628 56 0
                                    

War ich verwirrt gewesen als Nio gesagt hatte, das mir sein Herz gehörte?

Ich blinzelte nur vor mich hin und hörte wie aus weiter Entfernung wie unsere Stylisten gemeinsam aufquitschten und anfingen so schnell zu quasseln, dass ich nicht mehr mitkam.

Also entweder machte sich Seezth gerade einfach nur lustig über mich oder meinte es ernst.

Ich traute ihm beides zu.

Blicke von anderen Tributen, die ebenfalls hinter der Bühne geblieben waren, um die restlichen Interviews zu sehen, lagen auf mir wie Zielsucher von Waffen. Ich fühlte mich unwohl und wurde eindeutig schon wieder rot.

„Also ich hab das nicht gewusst und eingefädelt.“, verteidigte sich mein Mentor, der gerade von Annie in die Seite gestupst wurde. Ich hatte nicht einmal mitbekommen, dass sie gekommen war.

„Warum habt ihr Männer immer mehr das Problem, so was erst uns Frauen persönlich zu sagen, bevor ihr es in die ganze Welt hinaus posaunt.“ Mit schüttelnden Kopf murmelte sie, „Männer“

Peeta versuchte einfach nur noch außer der Schusslinie von Annie zu kommen. Keine Ahnung warum sie sich so sehr auf meine Seite stellte, aber diese leicht kämpferische Art, gefiel mir besser, als dieses zurückgezogene, verängstigte Häufchen Elend. 

Es schien, als wenn irgendetwas, sie aufrecht erhielt.

Ich bekam die Antwort von Peeta, der neben mich getreten war und sich beschwerte: „Schwangere.“

„Schwanger?“, echote ich.

„Schwanger.“ Peeta unterstrich seine Aussage mit einen Nicken und ich konnte ein leichtes Lächeln nicht unterdrücken. Mein Blick huschte zu Annie, die nun auf Shivas und seinen Bruder einredete, nachdem Peeta nicht mehr zur Verfügung war. Diese kleine, zierliche, junge Frau hatte so viel in ihrem Leben durchmachen müssen und so viel verloren. Ich freute mich für sie, dass so zumindest ein Teil ihres geliebten Finnicks weiterleben würde. Auch wenn das den Gedanken, dass er gestorben war, ohne zu wissen, dass er Vater wurde, um so schlimmer machte. Er hatte sein Leben geopfert, um seiner Frau und nun auch seinem Kind, ein besseres Leben zu bieten. Auch wenn es ohne ihm sein würde. Wie sehr konnte man jemanden lieben, dass man einfach so bereit war, für diese Person zu sterben?

Durch Annies Ablenkung hatte ich nicht einmal mehr mitbekommen, wie das Interview vorbei gegangen war. So konnte ich mich nicht einmal, auf die Begegnung mit Seezth innerlich vorbereiten.

In der einen Sekunde schaute ich noch zu Annie, in der nächsten drehte ich mich um, und sah mich in dem Blick meines Partners gefangen.

Wir starrten uns einfach nur gegenseitig an.

Keiner sagte etwas.

Gerade als das Schweigen kurz davor war, unangenehm zu werden, sprang Peeta uns helfend herbei.

„Dann lasst uns nach oben gehen. Es ist spät und ihr solltet Schlaf bekommen. Glaubt mir. In der Arena habt ihr nicht so viel Zeit dafür und ein Bett wird man euch auch nicht hinstellen.“

Ich nickte nur zustimmend, weil ich meiner Stimme sowieso nicht vertrauen konnte.

Schweigend fuhren wir den Aufzug hinauf, wo unsere Stylisten sich auch schon überschwänglich verabschiedeten. Sie erzählten irgendetwas von Schönheitsschlaf und alles vorbereiten, aber ich hörte ihnen nicht wirklich zu. 

Meine Gedanken waren immer noch bei Nio und Seezth, obwohl sie wohl eher bei den morgigen Spielen, die nur noch wenige Stunden entfernt waren, sein sollten.

Verflucht sein Gefühle. Ich mochte sie beide. Wollte keinen verletzen, geschweige denn töten. Woher sollte ich wissen, was es bedeutete jemanden zu lieben? Ich liebte Meleena, aber eben wie man eine eigene Tochter liebte. Meine Eltern hatten mich nie geliebt und ich sie nicht. Mir hatte nie jemand gezeigt oder vorgelebt, was Liebe ist. Woher zum Henker sollte ich also wissen, ob dieses kribbeln, dass ich verspürte wenn Nio mich anlächelte, oder diese Leichtigkeit, die ich immer ausleben konnte wenn Seezth da war, Liebe war. Bis jetzt war Liebe immer etwas unnützes in meinen Leben gewesen. Man konnte schließlich nicht etwas vermissen, von dem man nicht mal wusste was es war.

Warum hatte noch niemand etwas gefunden, womit man Gefühle abstellen konnte? Das würde der Renner im Kapitol werden.

„Ich hasse Verabschiedungen.“, beschwerte sich Peeta und starrte auf den Boden, „Ich hab das noch nie von der Seite der Spiele gemacht, also keine Ahnung was ich euch sagen soll. Viel Glück. Haltet durch. Das klingt alles so furchtbar unecht, auch wenn ich es so meine.“ Er seufzte, „Ich würde gerne sagen, alles wird gut aber das wird es nicht. Selbst der der gewinnt, wird nicht als Sieger da heraus kommen. Seit darauf gefasst, dass euer Weltbild erschüttert wird. Dann ist es nicht so schlimm, wenn es zerstört wird. Und vergesst nicht. Auch wenn ich nicht wirklich neben euch stehe, ich bin die ganze Zeit bei euch. Ihr seit nicht allein.“

„Bis zu dem Moment, wo du dich für einen von uns beiden entscheiden musst.“ Seezth Stimme war leise. Neutral. Es war keine Wut darin, oder Vorwurf. Einfach nur eine Feststellung. Schließlich wussten wir, wie die Spiele abliefen. Peeta lachte trocken auf. 

„Dann bleib ich erst Recht auch bei dem Anderen.“, versprach er.

„Das musst du nicht tun.“ Meine Stimme klang stärker, als ich gedacht hätte, aber ich war dankbar dafür. Peeta hatte so viel für uns getan und ich wollte nicht, dass er sich wegen uns quälte. Zu wissen, dass man denjenigen im Stich lässt, war doch schon schlimm genug. Ihn dann aber auch noch dabei zuzusehen, wie er vielleicht langsam verhungerte, verdurstete oder verblutete, war nun wirklich nichts, was ein Mentor durchmachen sollte. Besonders nicht jemand wie Peeta. Er hatte selber so viel durchgemacht, aber nie sein Mitgefühl verloren. 

Peeta schaute mich nur an und ich versuchte den Blick zu erwidern, auch wenn es mir schien, als würde er direkt in mein inneres sehen. Etwas, was nur wenige Menschen wirklich konnten aber ich war sicher, das mein Mentor einer von ihnen war. Ohne mich zu bewegen, sah ich, wie er die wenigen Meter zwischen uns schloss und seine Hände auf meine Schultern legte. Eindringlich sah er mich an.

„Ich lass euch nicht alleine. Nicht eine Sekunde.“

Seine Stimme war pure Entschlossenheit und Stärke. Ich wusste, er sprach die Wahrheit. Tränen traten mir in die Augen und ich konnte nur hoffen, dass sie nicht mehr wurden. Weinen war nun wirklich nicht die richtige Reaktion. Ich nickte ihm nur dankbar zu. Ein letztes mal zog er mich in eine feste Umarmung, bevor er mich, mit einen aufmunternden Lächeln, los ließ und sich an Seezth wand, um sich auch von ihm zu verabschieden.

Dann verschwand er fast fluchtartig und ließ Seezth und mich in der Dunkelheit allein.

Ich traute mich nicht einmal zu meinen Partner zu sehen, doch er machte es mir leicht.

„Nun dann“, begann er hinter meinen Rücken, „dann ist es wohl Zeit. Gute Nacht. Wir sehen uns morgen in der Arena. Halt Ausschau nach mir, damit wir schnell zusammen kommen. Gemeinsam wird es leichter sein, dass Blutbad zu überleben.“

„Okay.“, krächzte ich nur, ohne mich umzudrehen. 

Ich spürte regelrecht, wie er meinen Rücken anstarrte, bevor er die Treppe herauf, in sein nun wieder freies Zimmer, verschwand. 

Immer noch wie angewurzelt stand ich da. Stille und Dunkelheit umgab mich, in die nur eine leise Stimme, in meinem Inneren flüsterte: „Feigling.“

Aice Nandina | Wenn Liebe zum Spiel wird Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt