Aice Nandina | Kapitel 22

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Ich versuchte mich zu beruhigen.
Da ich keine Ahnung hatte, wie viel Zeit ich schon mit herum starren verschwendet hatte, musste ich mich schnellstmöglich konzentrieren und entscheiden was ich tun sollte. 
Seezth bei diesen Bedingungen zu finden, war ein Ding der Unmöglichkeit. Den Plan konnte ich schon mal abschreiben. Genau wie den, vom Füllhorn zu flüchten. Bei dem Sandsturm würde ich mich komplett verirren und wer wusste schon ob nicht irgendwo weiter hinten ein Abgrund oder ähnliches war.
Sie wollten, dass wir kämpften. Das, was im Kapitol immer am beliebtesten gewesen war, das Blutbad, sollte dieses Jahr nicht ausfallen. Wir wussten alle, dass hier die meisten auf einmal sterben würden. Einfach so.
Ich wollte nicht eine von ihnen sein, also musste ich eine Waffen bekommen. In den kurzen Umkreis, den ich sehen konnte, war aber definitiv keine. 
Zum Füllhorn also. 
Was besseres viel mir nicht ein. Egal wie ich es drehte und wendete, ich würde dort rein müssen. Wenn ich Glück hätte, wäre ich vielleicht schnell genug, um mir etwas zu schnappen und dann im Sandsturm zu verstecken. Oder so was in der Art.
Meine Beine stellte ich etwas weiter auseinander, um einen besseren Halt zu bekommen. Die Augen schloss ich. Sehen konnte ich sowieso nichts und die Sandkörner stachen wie kleine Nadeln in sie. Also schonte ich sie. Schließlich würde ich sie jede Sekunde brauchen können. Wenn der Startschuss viel, wären sie alles, was ich hätte, um Gegnern auszuweichen.
Es fühlte sich an als würde ich Stundenlang so dastehen. Die Augen geschlossen und konzentriert auf meine Atmung. Doch in Wirklichkeit waren nur wenige Sekunden vergangen, bevor der Gong ertönte.
In dem Moment, in dem ich meine Augen aufriss und sie zwang, trotz der Schmerzen, offen zu bleiben, sprang ich ebenfalls von meiner Plattform. Meine Stiefel versanken leicht im Sand und ich drückte mich schwer ab, um in Bewegung zu kommen. Ich hielt meinen Blick auf den Schatten des Füllhorns gerichtet, um nicht die Orientierung zu verlieren. Zwar war ich schon immer gut im rennen gewesen, aber der Sturm und der Sand, erschwerten die Sache ungemein. 
Seit wann war das Füllhorn so weit weg?
In Gedanken versuchte ich die Entfernung abzuschätzen, als mich etwas, mit der Wucht eines riesigen Hammers, traf und umwarf. Die Luft wurde mir aus den Lungen getrieben und ich schluckte Sand. Hustend versuchte ich die Körner weitestgehend aus meinen Mund zu befreien und versuchte mich wieder zu Recht zu finden. 
Neben mir kauerte eine dunkle, riesige Gestalt. Goldene Augen funkelten mich wütend an.
Der Junge der Distrikt Vier vertrat.
Na klasse.
Brüllend sprang er von einer Sekunde zur nächsten auf mich und ich konnte mich gerade noch so weg rollen, bevor er mich mit seinen Gewicht, wahrscheinlich im Sandboden begraben hätte.
Gegen jemanden wie ihm hätte ich nicht mal eine Chance gehabt, wenn mir das Töten nicht so zuwider gewesen wäre.
Doch das Glück schien auf meiner Seite.
Wahrscheinlich durch sein Brüllen angelockt, sprang eine kleinere Gestalt, die ich nicht erkennen konnte im Sturm mit hoch erhobenen Armen auf ihn. Irgendetwas hatte der Tribut in den Händen. Er rahmte es den schwarzen Riesen in den Rücken, der daraufhin wütend und schmerzhaft aufschrie.
Ein Messer, ein spitzer Stock? Was auch immer es war, ich wollte es nicht herausfinden. Während die beiden sich auf den Boden wälzten und mit einander um den Gegenstand rangen, hoffte ich, dass der andere mich nicht gesehen hatte. Ich sprang so schnell wie es möglich war auf und versuchte mich wieder zu orientieren.
Den dunklen Schatten des Füllhorns vor Augen, lief ich weiter und hoffte innerlich, nicht noch einmal mit jemanden zusammen zu stoßen. Um mich herum hörte ich immer mehr Schreie. Manche Angriffslustig, manche ängstlich und wieder andere waren Todesschreie. Trotz der Hitze überlief mich am ganzen Körper eine Gänsehaut.
Lauf weiter, sagte ich mir immer wieder selber in Gedanken vor. Nur nicht stehen bleiben.
Mein Fuß verfing sich in irgendetwas auf dem Boden, als ich endlich die Konturen des Füllhorns wahrnehmen konnte. Ein weiteres mal stürzte ich schmerzhaft auf den Boden auf, nur dass ich dieses mal es schaffte, meine Lippen auf einander zu pressen, um nicht wieder Sand zu schlucken.
Obwohl ein Schmerz durch meinen gesamten Körper schoss, wälzte ich mich schnellstmöglich herum, damit ich meinen Fuß befreien konnte. Gerade als ich nach ihm greifen wollte, realisierte ich, über was ich gestolpert war.
Rose, Nios Partnerin, starrte mich mit leeren, toten Augen an. Eine Schicht Sand hatte sich schon auf ihren leblosen Körper, dem die Angst und der Schreck immer noch anzusehen war, gebildet und ließ dies alles noch abstrakter wirken. Ich musste all meine Willenskraft aufbringen, um nicht einfach aufzuschreien. Ihre rote Haut wirkte auf einmal so blass und ich erinnerte mich daran, wie lebendig und fröhlich sie immer zum Mittagessen gewesen war. Wie sie mit den anderen Mädchen, welches aussah wie eine Blume und Distrikt Acht vertrat, immer über die neusten Trends geredet hatte und ich darüber schmunzeln musste. Die beiden würden nie wieder mit einander reden oder zusammen spaßen. Mein Magen zog sich krampfhaft bei dem Gedanken zusammen, dass noch andere der Tribute hier um mich wahrscheinlich lagen. Tod. Ein Friedhof. In wenigen Sekunden, verschlugt vom Sand und vergessen.
Während ich innerlich schrie wie am Spieß, verdrückte ich außen meine Tränen und befreite meinen Fuß endlich. Ich hatte schon viel zu lange hier verweilt und die Chance, das jemand ebenfalls über mich stolperte, war sehr hoch.
Ich zwang mich Rose noch einmal genauer zu betrachten und fand, auf was ich gehofft hatte. 
Eine Waffe.
Zwar war es nur ein Jagdmesser aber immerhin besser als nichts. Ich riss es ihr aus den starren Fingern und sprang regelrecht auf die Beine. 
Aber wohin denn?
Um mich herum trug der Wind die Schreie weiter zu mir aber ich konnte nicht abschätzen, wie weit sie wirklich entfernt waren. Geschweige denn, wo von sie kamen. 
Würde ich denn auch auf einmal jemanden töten können?
Selbst wenn. Mit einen Messer wäre ich den meisten mehr als unterlegen.
Ich blickte wieder zum Füllhorn, welches nun monströs vor mir aufragte, und die Idee kam mir. Warum war ich nicht eher darauf gekommen!
Beim klettern im Training hatte ich mich mehr als gut angestellt und dort oben würde niemand über mich stolpern können. Zumindest nicht, wenn sie nicht den gleichen Plan wie ich hatten.
Ohne weiter darüber nachzudenken, steckte ich das Messer in meinen Gürtel und sprintete los, um genug Schwung zu habe. Kräftig stieß ich mich vom Boden ab und griff nach der ersten Kante. Vielleicht war ich nicht sehr stark, dafür aber sehr gelenkig und dank meiner Mutter, die mich immer gezwungen hatte Diät zu halten, obwohl ich dünn war, musste ich auch nicht so viel Gewicht herum hieven. 
So schaffte ich es, mehr oder minder elegant, auf das Füllhorn. 
Der Moment, in dem ich mich nach oben zog, war der gefährlichste. Wenn jemand da oben war und mich kommen sah, war ich verloren. 
Doch ich kam nach oben und konnte mein Messer, ohne Zwischenfall, ziehen. Sicherheitshalber tastete ich mich noch bis zum anderen Rand und suchte mir eine Stelle, wo ich beide Ränder im Blick halten konnte, gleichzeitig aber vor Blicken versteckt war.
Ich kauerte mich gegen eine Erhöhung, die in Richtung des Windes stand und somit das meiste des Sandsturmes anfing. 
Immer noch peitschte das Adrenalin durch meine Adern. Meine Augen brannten fürchterlich und ich war mir nicht einmal sicher ob sie nicht bluteten. Aber ich wagte es nicht, sie zu schließen oder meine Hände schützen davor zu halten. Es konnte jederzeit jemand auf die gleiche Idee kommen wie ich. Dann musste ich bereit sein und den Moment, in dem derjenige sich hochzog ausnutzen. Ob ich wollte oder nicht, zählte nicht mehr. Ich war allein. Seezth konnte mich nicht beschützen. Ich wusste ja nicht einmal ob er oder Nio überhaupt noch am Leben waren.
Ich umklammerte das Messer mit beiden Händen und hielt es so fest, dass es wehtat.
Gleichzeitig machte es mir aber klar, dass dies hier alles real war und nicht nur ein schlechter Traum.
Ich war wirklich in den Spielen.
Um mich herum, vernahm ich Schreie und Kampfgeräusche.
Aber ich lebte.
Zumindest noch...

Aice Nandina | Wenn Liebe zum Spiel wird Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt