Die Hitze schlug mir stärker entgegen, als ich im ersten Moment gedacht hätte. Die Sonne, die nun ungeschützt zu uns durchdrang war grell und blendete mich. Nio war nicht mehr dort, wo er noch wenige Sekunden vorher stand, doch seine Stimme ertönte, bevor ich mir Sorgen machte.
„Ist er eingeschlafen?“
„Ja.“, gab ich zurück, bevor ich mich zu ihm umdrehte. Er stand an der Außenseite des Füllhorns und lehnte dagegen. Müde rieb er sich über die Augen aber er sah lange noch nicht so schlecht aus wie Seezth.
Langsam ging ich auf ihn zu, ohne zu wissen was ich eigentlich sagen sollte, aber wieder nahm er mir die Arbeit ab.
„Du und er also?“
„Was ich und er?“, bohrte ich nach, da ich die Art wie er es sagte nicht mochte.
„Du magst ihn.“
„Er ist mein Partner.“
„Rose war auch meine Partnerin und trotzdem hab ich ihr nicht die Zunge in den Hals geschoben.“
Ich starrte Nio mit offenen Mund an. Mir war zwar klar gewesen, dass er wütend war aber er brauchte nicht gleich abfällig werden.
Meine Hand traf sein Gesicht, bevor ich überhaupt darüber nachgedacht hatte ihn zu schlagen.
Er schaute verwirrt und dann wütend, doch ich ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen.
„Was ist eigentlich dein Problem Nio? Wir kennen uns seit Jahren und nie hast du Andeutungen gemacht das du mich magst. Mir war nicht einmal bewusst, dass du dir meinen Namen gemerkt hast. Und jetzt stehst du auf einmal vor mir und sagst du hast dich für mich entschieden und nicht für eines der anderen hundert Mädchen mit denen du was gehabt hast? Wirst wütend, weil da vielleicht noch ein Anderer in meinem Leben ist?“
Er hatte mich so schnell gepackt, dass ich nicht einmal reagieren konnte. In der einen Sekunde stand ich noch wütend vor ihm, in der nächsten drückte er mich gegen das von der Sonne aufgewärmte Metall, seine Lippen auf die meinen gepresst.
Der Kuss war wild und brutal, trotzdem schrie mein Körper nach mehr und beugte sich ihm, ohne mein zu tun entgegen.
Verräter.
Wütend auf mich selber und auf ihn, nutze ich die einzige Waffe die ich gerade zur Verfügung hatte.
Ich biss ihn mit aller Kraft in die Lippe.
Erschrocken zuckte Nio zurück, doch nicht weit genug, als das ich mich befreien hätte können.
Mit verwirrten Blick fuhr er mit seinen Fingern über die blutige Lippe.
Innerlich war ich stolz auf mich, mich gewehrt zu haben, aber gleichzeitig wusste ich nicht, wie er darauf reagieren würde.
Auf jeden Fall anders als ich gedacht hatte.
Sein Blick wurde auf einmal weicher. Als wenn er gerade erst aufwachen würde.
„Das hab ich wohl verdient.“,gestand er geschlagen und schaute mich traurig an. „Aice... es... tut mir leid.. ich.“
„Schon gut.“, unterbrach ich sein Gestammel und drückte gegen seine Brust. Er ließ mich frei und ich atmete erleichtert auf.
„Wir sollten alles zusammen suchen und uns dann ausruhen. Die Leichen werden sicher bald geholt“, erklärte ich neutral. Ich wusste nicht wie ich mit Nio umgehen sollte. Es war, als hätte ich gerade kurz eine andere Seite von ihm gesehen, die niemand kannte und die ich nicht mochte. Vielleicht war es aber auch nur der Stress und die Angst, die auch langsam bei ihm seinen Tribut forderte. Es konnte ja nicht jeder zu einem Wasserfall werden wie ich.
Ich tat so, als wäre nichts passiert und auch wenn Nio wirkte wie ein geschlagener Hund, schien er froh darüber. Gemeinsam bauten wir eine Barrikade im Füllhorn die uns vor dem Sand schützen würde. Wir ließen immer abwechselnd einen Teil links und dann rechts frei, damit wir im Slalom nach draußen konnten, wenn etwas war; Wind und Sand aber nicht nach drinnen konnten.
Seezth schlief auch noch als wir geschafft die letzten Waffen und Essensvorräte verräumt hatten. Ich fühlte mich ein wenig wie ein Karriero, da dies normalerweise ihre Taktik war. Aber wir konnten schließlich nicht weg, was auch Nio feststellte.
„Hör mal.“, hielt er mich auf, bevor ich wieder ins Füllhorn gehen wollte. „Auch wenn du mich danach noch mehr hassen wirst aber wir sollten überlegen was wir machen, wenn es ihm nicht besser geht. In seinem Zustand können wir nirgendwo mit ihm hin, geschweige ihn alleine lassen. Die anderen jagen würde deswegen ausfallen, da es Selbstmord wäre, wenn einer alleine loszieht.“
„Was willst du damit sagen Nio?“, forschte ich nach als er nicht weitersprach. „Du willst ihn zurück lassen richtig?“
„Ohne ihm wären unsere Chancen größer!“
„Er ist mein Verbündeter. Er wurde verletzt weil er mich gesucht hat! Ich lass ihn nicht zurück!“, zischte ich Nio an und er seufzte genervt.
„Warum vertraust du ihm so viel mehr als mich. Vielleicht war ich kein guter Mensch aber du kennst mich. Ihn kennst du seit nicht mal einer Woche und eins steht so oder so fest. Er ist ein Lügner!“, knurrte Nio und ich starrte ihn an. „Ja ich weiß die Geschichte die er erzählt hat. Die Frage ob es wahr ist, das seine Familie aus Rebellen bestand oder nicht ist doch egal! Entweder er hat gelogen, um zu versuchen seine Haut zu retten oder, was noch schlimmer wäre, er hat dieses eine mal die Wahrheit gesagt, dafür aber sein ganzes Leben gelogen. Warum sollte er das auf einmal für dich ändern?“ Nio trat näher und nahm mein Gesicht in seine Hände. Ich war zu perplex von seinen Worten, als das ich ausweichen hätte können, doch er legte seine Stirn nur sanft gegen meine. „Warum verstehst du nicht, dass ich mir Sorgen mache. Was wenn er dich nur ausnutzt?“
Einen Moment dachte ich darüber nach. Eindeutig dachte beide nicht gut von einander. An sich dachten sie ziemlich ähnlich. Das der jeweils andere mich nur ausnutzen wollte. Sehr schmeichelhaft.
„Er ist mein Verbündeter und ich lasse ihn nicht einfach zurück, weil er verletzt ist. Niemand zwingt dich bei uns zu bleiben.“, sagte ich endgültig und befreite mich von seinen Händen, die mich auch sofort gehen ließen. Vielleicht war ich unfair gegenüber ihn aber ich wusste einfach nicht mehr was ich denken sollte. Es gab zu viele „Aber“ in der ganzen Sache.
Am besten war es wahrscheinlich, wenn ich mich einfach von beiden fernhielt. Ich musste mich endlich auf diese Spiele konzentrieren und aufhören über zwei Männer nachzudenken die, wenn alles nach Plan verlief und ich überlebte, in wenigen Tagen beide Tod waren.
Deswegen setzte ich mich auch an die andere Seite des Füllhorn. Gegenüber von Seezth. Ich überließ Nio die Aufgabe meinen Partner wach zu bekommen und ihn essen und trinken einzuflößen, auch wenn beide davon nicht so begeistert wirkten.
Mein Zeitgefühl verschwand völlig. Während ich an meiner Wasserflasche nippte, hörte ich das Geräusch der Hovercrafts. Sie hatten wohl eingesehen, dass wir uns nicht weiter von den Leichen entfernen würden und begannen, die Toten einzusammeln.
Endlich ertönten auch die Kanonenschüsse.
Zehn Stück.
Zehn Leben, die im Sandsturm ausgelöscht wurden waren.
Wir warteten darauf, dass die Sonne unterging. Jeder saß in seiner Ecke. Seezth schlief immer wieder ein, wachte aber auf, wenn er sich zu schnell bewegte und die Wunde schmerzte. Nio saß nicht weit von ihm entfernt, nachdem er gemerkt hatte, dass ich wohl keine Lust mehr hatte Krankenpflegerin zu spielen.
Auch wenn es ihr im Füllhorn kühler als draußen war, begann die Hitze mir zu schaffen zu machen und ich war mehr als froh, als sich der Winkel der Sonne eindeutig senkte.
Leise, da Seezth gerade wieder eingeschlafen war, stand ich auf und ging nach draußen. Nio folgte mir schweigend.
Ich wartete darauf, dass die Hymne begann und versuchte mich innerlich auf die Gesichter der Toten vorzubereiten. Die meisten hatte ich nur flüchtig gekannt, manche nur von Feiern der Spielmacher. Nio und Seezth waren beide bei mir. Trotzdem war ich angespannt? War der Junge mit der komplett schwarzen Haut unter den Toten?
Die Hymne begann und die ersten Bilder wurden eingeblendet.
Der Junge aus Eins, war gleich der erste, der eingeblendet wurde. Danach die Mädchen aus Zwei, drei und vier. Ich erinnerte mich, dass Drei eines der Mädchen war, die sich für Snows Enkelin freiwillig gemeldet hatte. Ob sie da schon gewusst hatte, dass sie so schnell sterben würde? Oder hatte sie Hoffnung auf den Sieg gehabt?
Dann kam Rose und ich merkte wie Nio neben mir zusammen zuckte.
Verdammt. Er hatte es nicht gewusst. Natürlich. Er war auf der anderen Seite des Füllhorns gewesen und ich hatte es ihm nicht einmal gesagt.
„Tut mir Leid.“, flüsterte ich leise und er nickte. Sein Blick war starr aber ich sah, dass es ihm mitnahm. Nio hatte das kleine Mädchen gemocht, wie fast jeder. Und was war mein einziger Gedanke in diesem Moment? Das der Junge, der Distrikt Vier vertrat noch lebte. Wahrscheinlich war ich wirklich einfach nur ein schlechter Mensch.
Gleich als nächstes kam das Gesicht ihrer Freundin. Das Mädchen hatte Distrikt Acht verdrehten, was bedeutete das alle Vier Jugendlichen von Distrikt Sechs und Sieben noch lebten. Danach kam ihr Partner. Auch die Vertreter von Distrikt Neun waren beide gestorben und als letztes kam das Mädchen von Gruppe Zehn.
Ich war froh das zumindest Thom noch lebte, auch wenn ich keine Lust hatte in der Arena auf ihn zu treffen, um ihn dann zu töten.
„Nio... tut mir Leid wegen Rose.“, versuchte ich es noch einmal, doch er winkte ab.
„Besser jetzt als später. Ich hoffe einfach sie hat nicht gelitten.“ Ich wollte nach ihm greifen, doch in dem Moment drehte er sich um. Erst jetzt bemerkte ich den Bogen in seiner Hand und die Pfeile auf seinen Rücken.
„Du gehst also?“ War ich enttäuscht? Ja verdammt. So viel zum Thema er liebte mich.
Er schaute mich an und grinste. Er grinste wirklich! Dieser...
„Ich geh hoch aufs Füllhorn um wache zu halten, damit ihr schlafen könnt. Ich denk zwar nicht das jemand kommt aber sicher ist sicher.“
„Oh“ Das Kommentar war vielleicht nicht das Klügste aber das einzige was mir in dem Moment einfiel.
Nio nutze den Moment um mir einen schnellen Kuss auf die Lippen zu drücken, bevor er den Bogen nach oben auf das Füllhorn warf und hinterher kletterte.
Seufzend ging ich zurück in das Innere des Füllhorns. Wiedermal nicht sicher über meine Gefühle.
Womit hatte ich gleich nochmal das alles verdient?
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Aice Nandina | Wenn Liebe zum Spiel wird
FanfictionMein Name ist Aice Nandina. Mein Leben lang lebte ich in einer Familie von Spielmachern, obwohl ich selbst die Spiele hasste, was der Rest meiner Familie nie verstand. Nach der Rebellion bin nur noch ich und meine kleine Nichte da, als verkündet wir...