Kapitel Eins

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Rettung in letzter Sekunde?

»Der Atlantische Kristall verfügt über einige passive Fähigkeiten. Man kann nicht aktiv damit etwas bewirken, wie beispielsweise mit dem Stab der Guten Fee oder Königin Elsas Kräfte. Die Kristalle werden eher als …«

Lonnie tippte vorsichtig meinen Arm an und schob unauffällig einen kleinen Zettel auf meine Tischhälfte. Darauf war eine erstaunlich detailreiche Zeichnung von einem dunkelhäutigen Mädchen mit offenen und wilden Haaren. Wie könnte Rina mit Textmarkern meine Verzweiflung in diesem Fach so gut einfangen?

Ich drehte mich zu ihr um und gab ihr einen unfreundlichen Blick. Ich hatte ihr doch schon gesagt, dass sie mich nicht in Geschichte zeichnen sollte! Kein Wunder, dass Lonnie mir immer helfen musste.

Rina zuckte mit den Schultern, bevor sie sich eine braune Haarsträhne aus dem Gesicht strich und mit ihren großen grünen Augen zur Tafel sah. Ihr beiges Barett lag auf der Ecke des Tisches. Ich spielte mit dem Gedanken, es runterzuschubsen.

»Miss Maldonia. Warum drehen Sie sich schon wieder zu Miss Fitzherbert um?«

Ich drehte mich schnell zu Mister Thatch um und lächelte entschuldigend. »Es tut mir Leid. Ich werde mich ab jetzt mehr auf den Unterricht fokussieren.«

»Wenn das nochmal vorkommt, werde ich Sie bitten müssen, ein Vortrag über das aktuelle  Thema zu halten.« Er legte die Kreide beiseite und wischte sich den Kreidestaub an seinem weißen Hemd ab.

Ich nickte. Eigentlich war Mister Thatch einer der ruhigsten Lehrer. Er hatte den Respekt vieler Kollegen damit verdient, dass er geholfen hatte Atlantis neu aufzubauen und sich gegen Commander Rourke und seine Leute gestellt hatte, als es aussichtslos schien. Manchmal fragte ich mich, warum er hier in Auradon war, wenn seine Frau Atlantis regierte.

Ein Knistern und Rauschen unterbrach erneut den Unterricht. »Miss Tayla von Maldonia, bitte melden Sie sich im Büro der Guten Fee.«

Lonnie sah mich irritiert an und ich sah ebenso verwirrt zurück.

Mister Thatch seufzte resigniert und nahm seine runde Brille ab, um sie mit einem Tuch abzuwischen. »Packen Sie am Besten ihre Sachen schonmal ein. Nachdem was ich weiß, werden sie heute nicht mehr in meinen Unterricht zurückkehren.«

Nun noch etwas verwirrter packte ich schnell meine Sachen zusammen und schulterte meinen hellgrünen Rucksack.

»Vergessen Sie nicht den Test nächste Woche!«, rief mein Geschichtslehrer kurz bevor ich die Tür wieder schloss.

Was war los? Ich hatte eigentlich nichts verbockt. Geschichte war mein schlechtestes Fach, aber durch Lonnies Hilfe war ich selbst da ganz gut.

Vielleicht war meinen Eltern etwas passiert? Ich war das älteste Kind und, obwohl ich ein Mädchen war, hat mein Vater darauf bestanden, dass ich die erste weibliche Thronfolgerin werden sollte. Mein Bruder war darüber sehr erleichtert gewesen.

Da ich Thronfolgerin war, haben meine Eltern mich auch bei der Auradon Prep angemeldet. Fast jeder hier war entweder Thronfolger oder mit einem Thronfolger verwandt. Auch mein Bruder war in irgendeinem dieser Klassenräume hier und wurde von den Lehrern in Sachen Magie, Anstand und Organisation unterrichtet. Sollte mir etwas passieren, wäre er dran.

Auf der Treppe ins obere Stockwerk kam mir ein einziges Mädchen entgegen. Wir lächelten uns freundlich an und gingen aneinander vorbei.

Warum sollte ich zur Guten Fee?

Bevor ich in ihr Büro eintrat atmete ich nochmal tief ein und aus. Dann klopfte ich.

Fast direkt wurde mir die Tür geöffnet.

»Prinz Ben, bonjour.«, meinte ich erstaunt und machte einen Knicks.

Prinz Ben hatte einen feinen dunkelblauen Anzug an, auf dem klein das Wappen von Auradon eingestickt war. Seine Stimme klang freundlich und warm. »Danke, dass du gekommen bist. Komm doch rein.« Er schloss hinter mir die Tür.

Hinter einem großen dunkeln Holztisch saß die Gute Fee. Ihre braunen Haare waren wie immer ordentlich in einem Dutt drapiert. Ihr hellblaues Kostüm mit der rosafarbenen Schleife schien faltenlos. Auf ihren Lippen lag ein zartes Lächeln.

In dem Büro gab es nur vier Stühle. Einer war noch neben der Guten Fee, zwei waren vor ihrem Schreibtisch. Nic saß auf einem davon.

Verglichen mit Ben hätte Nic sich etwas förmlicher anziehen können. Seine dunkelbraune Hose war völlig zerknittert und seine Schnürsenkel waren, wie so oft, offen. Wenigstens war das hellgrüne Poloshirt gebügelt.

Ich selbst war froh heute morgen einen ordentlichen pastellgrünen Tellerrock und ein langärmliges beiges Shirt ausgewählt zu haben. Nur meine grünen Ballerinas sahen ein wenig abgenutzt aus.

Ben ging an mir vorbei. »Bitte, setz dich doch.« Er selbst setzte sich neben die Gute Fee.

Ich stellte meinen Rucksack neben die Tür und setzte mich dann auf den Stuhl neben Nic. Das Polster war erstaunlich weich und ein sanfter Geruch von Lavendel und Plätzchen strich mir um die Nase. So schwach, dass ich es erst jetzt bemerkte.

»Danke, dass ihr beiden gekommen seid«, begann Ben. Er hatte die Hände ordentlich zusammengefaltet auf den Schreibtisch gelegt.

Ich lächelte.

»In einer Woche wird die Krone Auradons auf mich übergehen. Zusammen mit ein paar Beratern«, er nickte der Guten Fee kurz zu, »habe ich meine erste Amtshandlung beschlossen. Ich möchte, dass ihr beiden mit den Vorbereitungen helft. Natürlich nur, wenn es euch zusagt.«

Ich nickte. »Ich würde dich gerne unterstützen.«

»Was ist denn deine Amtshandlung? Die erste?« Nic klang etwas misstrauisch. Er fragte immer mehr nach als ich, aber sollten wir wirklich so misstrauisch klingen, wenn vor uns der Thronfolger des ganzen Staates saß?

»Natürlich. Ich habe beschlossen, ein paar besonderen Kindern eine Chance in Auradon zu geben. Sie werden -«

»Was für Kinder?«

Mit versteinertem Lächeln sah ich zu Nic. Er sollte aufhören so dreist nachzufragen!

»Es sind vier Kinder von der Insel … der Verlorenen.« Ben sah suchend in unseren Gesichtern nach einer Reaktion. »Wir sollten nicht sie dafür bestrafen, was ihre Eltern getan haben.«

»Ich stimme dir zu. An welche Kinder hattest du gedacht?« Ich fand es super. Er hatte Recht und ich war mir ziemlich sicher, dass es auch an dem dunkelsten Ort in Auradon helle Funken der Hoffnung gab. Hoffnung auf ein besseres Leben, die einen nicht auf der bösen Seite lässt.

»Die Töchter von Grimmhilde und Maleficent und die Söhne von Jafar und Cruella de Vil.«

Ich nickte. »Ich würde sehr gerne helfen.« Ich sah zu Nic, der gerade etwas abwesend auf eine Stelle des Schreibtischs sah. »Okay«, sagte er schließlich. »Ich werde auch helfen.«

Ben atmete erleichtert aus und schenkte uns ein aufrichtiges Lächeln.

Die Gute Fee wirkte genauso erleichtert. »Wir würden uns wünschen, dass ihr die Kapelle und die Kantine leitet. Wir wissen«, sie hob beschwichtigend die Hände, »dass ihr nicht in diesen AGs seid. Aber wir kennen euren Werdegang und denken, ihr seid die idealsten Personen zum Leiten. Du Tayla,« sie sah mich mit gütigen Augen an, »arbeitest zweimal die Woche in Rapunzels Quietscheentchen. Die kulinarischen Gerichte wären morgen als Kantinenessen ideal.«

Ich nickte.

»Nic, du hast Unterricht von deinem Vater auf drei Saiteninstrumenten und bist laut Mrs Phillips erstaunlich gut in Musik. Wir würden dir gerne die Leitung der Kapelle übertragen. Doug steht dir dabei natürlich zur Verfügung.«

»Ihr werdet heute vom Unterricht freigestellt. Morgen bei der Ankunft würden wir uns außerdem wünschen, dass ihr mit mir und der Guten Fee vorne steht und sie begrüßt.«

Küss' den VK?! ~ Descendants FF [wird Bearbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt