Kapitel Dreiundzwanzig

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Kann man das Verrat nennen?

Eigentlich war diese ganze Szenerie zu verrückt um wahr zu sein. Ich stand der Person gegenüber, die ich gerade am wenigsten sehen wollte, die ich eigentlich nicht leiden konnte, aber ich erzählte ihr, wie mein Bruder verschwand.

»Sein Verschwinden hat nichts mit euch zutun?«, Harry sah ungläubig zu Evie.

Grimmhildes Tochter schüttelte heftig den Kopf und hob abwehrend die Hände. »Das waren wir wirklich nicht. Wir kennen ihn nur durch Bilder!«

»Ich weiß auch nichts. Ein Tag bevor ihr«, ich sah zu Evie, »angekommen seid, wurden wir zur Guten Fee gerufen. Ben hat uns gefragt, ob wir bei den Vorbereitungen helfen könnten. Wir beide hatten zugesagt und uns danach aufgeteilt. Er zur Kapelle, ich zur Kantine. Ich habe ihn nur noch kurz an dem Abend gesehen, aber er wirkte sehr abwesend. Am nächsten Morgen war er nicht mehr da.«

»Also können wir es auch gar nicht gewesen sein. Wir sind erst an dem einen Morgen von der Insel geholt wurden.« Evie sah etwas erleichtert aus, aber ihre Stirn war immer noch mit leichten Besorgnisfalten belegt. Mir wurde erst jetzt bewusst, dass Evie zum ersten Mal erfuhr wann ich meinen Bruder zuletzt gesehen hatte.

»Ich hätte nicht gedacht, dass in Auradon einfach Leute verschwinden. Ich meine - bei euch wirkt alles so perfekt!« Harry warf die Hände demonstrativ in die Luft. Sein Haken liegte inzwischen neben ihm auf dem Boden, während er sich an den Laternenpfahl lehnte.

»Das wirkt auch nur so. Was meinst du, warum Mal vor zwei Monaten zurückkam?«

»Wir dachten, dass läge alles daran, dass sie nunmal hier aufgewachsen ist. Man fühl ich mich dumm!« Harry stieß sich mit einem Bein von dem Laternenpfahl ab und lief langsam im Kreis, während er immer wieder den Kopf schüttelte und mit seinen Fingern durch die Haare fuhr. Er schien immer etwas zu murmeln. »Wir hätten es wissen müssen« oder »es scheint doch immer anders zu sein«.

Stirnrunzelnd sah ich zu Evie, die nur mit den Schultern zuckte.
Ich wusste, es war auf der Insel nicht angebracht, aber ich fragte trotzdem: »Harry, alles in Ordnung?«

Er blieb stehen, und sah zu Boden, mit dem Rücken zu uns. »Ich hätte schon früher darauf kommen können, dass bei euch nicht alles perfekt ist. Wäre es mir nicht jetzt aufgefallen, hätte ich sie vielleicht damals retten können.«

Ich stand von dem Motorrad auf, auf das ich mich gesetzt hatte. (Ich hasse hohe Schuhe.) Vorsichtig näherte ich mich Harry und legte ihm schließlich eine Hand auf die Schulter. »Wen retten?«, fragte ich leise. Als er nicht antwortete, dachte ich er hätte mich nicht gehört, aber schließlich antwortete er doch.
»Meine Schwester. Harriet. Sie«, er sah weiter auf den Boden, aber ich merkte durch seine Jacke, wie er sich anspannte. »Sie hat sich vor fünf Jahren eins der Ruderboote geklaut und wollte einen Durchgang durch den Wall finden. Sie wollte nach Auradon, weil sie es perfekt fand. Ich fand nur noch ihren Brief und Dad fand ihr Boot.« Seine Stimme erstickte in Trauer.

Es machte irgendwie so viel Sinn. Warum er Auradon so hasste, warum er die Insel hasste. Alles musste ihn daran erinnern, warum sie gegangen war.
Hätte mir heute morgen jemand erzählt, was heute alles passieren würde, hätte ich sie für bekloppt gehalten, aber jetzt tat ich das, was ich in diesem Moment für richtig fand.
Ich umarmte Harry. Ich musste ihm nicht sagen, dass mir sein Verlust Leid tat. Das hätte ihn nicht trösten können. »Aber eine Umarmung tröstet jeden«, hatte Mom immer gesagt.
Er hätte mich wegstoßen können, aber ich merkte, wie er etwas entspannter wurde - nicht viel, aber ein bisschen.

»Ist das eine Umarmung?«, fragte er leise.

Ich musste leicht Lächeln. »Das ist füreinander da sein.«

Küss' den VK?! ~ Descendants FF [wird Bearbeitet]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt