*27* Evakuierung

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Clayden's P.o.V:

Völlig gehetzt und in Rekordzeit komme ich am Rudelhaus an, sie muss hier einfach irgendwo sein.

Energisch stoße ich die Flügeltüren auf und taumele sofort ein paar Schritte rückwärts.

Das komplette Rudel drängt sich dicht an dicht in der Eingangshalle und auf der Treppe, ich will gar nicht wissen wie es oben aussehen muss.

Vorsorglich schließe ich die Türen wieder, nachdem ich mich hineingequetscht habe und sehe mich suchend um.

Es ist einfach unmöglich, hier eine einzelne Person ausfindig zu machen, der Lärmpegel ist unfassbar hoch.

Immer wieder werde ich versehentlich von Wölfen aus meinem Rudel angerempelt, was den Betreffenden auch sehr unangenehm zu sein scheint.

Gut so.

Verzweifelt kämpfe ich mich einmal quer durch die Halle, dann nochmal und nochmal. Anschließend geht es die Treppe hoch, durch alle möglichen Schlafzimmer, Gästezimmer, Badezimmer, Büros und Arbeitszimmer. Nichts.

Wutentbrannt schlage ich gegen die Wand, von der kurz darauf die Tapete etwas abblättert.

Ein stechender Schmerz bahnt sich durch meinen Körper und erreicht in meinem Kopf seinen Höhepunkt.

Zischend atme ich ein und fasse mir an die Schläfen, das muss Jesses Schmerz sein!

Von einer plötzlichen Intuition geleitet bahne ich mir einen Weg durch das Rudel und stehe vor der verschlossenen Küchentür.

Ungeduldig hämmere ich dagegen, ich spüre eine starke Präsenz hinter der Tür.

Von drinnen kommt allerdings keine Reaktion.

»Wer auch immer da drin ist, macht sofort die Tür auf!!!«

Brülle ich eher wie ein Kleinkind als ein Alpha.

»Tut mir leid, das geht im Moment nicht!«

Ertönt Tines mütterliche Stimme.

»Aufmachen!«

Knurre ich nun mit meiner Alphastimme und binnen Sekunden dreht sich ein Schlüssel im Schloss.

Krachend lasse ich die Tür auffliegen und stürme hinein, Tine wirft sie hinter mir sofort  wieder ins Schloss.

Am Küchentisch sitzt meine süße Mate und presst sich ein Kühlakku gegen die Stirn.

Ihre sonst so strahlenden, eisblauen Augen sind matt und stumpf. Ein etwas gequältes Lächeln liegt auf ihren perfekten Lippen aber ich sehe, dass es nicht echt ist.

Bei ihrem Anblick zieht sich mein Herz zusammen und eilig stürze ich zu ihr, um sie beschützend in den Arm zu nehmen.

Ihr Kühlakku verrutscht ein wenig und gibt die Sicht auf ihre Stirn frei, wo sich eine etwas blutende Wunde befindet.

Erschrocken aber vorsichtig nehme ich das Kühlakku von ihrer Stirn.

»Tine! Kannst du mir sagen, wie das passieren konnte??«

Frage ich die Haushälterin in scharfem Tonfall.

»Ich kann auch selbst reden!«

Murmelt Jesse etwas schwächlich und versucht sich etwas mehr aufzurichten, was ich aber mit meinem Arm, der sich um ihre Taille geschlungen hat, unterbinde.

»Schhhhht«

Mache ich leise zu ihr und streichele beruhigend ihren Kopf.

»Also?«

»Ich weiß es nicht so genau, soweit ich das gesehen habe wurde sie von der Menge etwas mitgerissen und ist mit dem Kopf gegen die Kommode gestoßen, dort habe ich sie dann aufgesammelt und hierher gebracht, ich dachte, etwas Ruhe tut ihr gut.«

Besorgt nicke ich und schaue meine Mate an, die sich erschöpft gegen mich lehnt und lege ihr behutsam den Kühlakku wieder gegen die Stirn.

»Hast du Schmerzen?«

Frage ich sie, doch sie schüttelt energisch den Kopf, verzieht jedoch sofort das Gesicht und reibt sich die Schläfen.

»Jesse lüg mich nicht an, ich sehe es doch«

»Nein«

Widerspricht sie und versucht mir fest in die Augen zu sehen, doch ich erkenne die Verletzlichkeit in ihrem Blick.

Resigniert seufze ich auf. Sie würde es niemals zugeben, wenn sie Schmerzen hat, warum muss sie auch so stur sein??

»Sie scheint nur eine kleine Schürfwunde  zu haben, aber der müsste eigentlich schon längst wieder verheilt sein.«

Meldet sich Tine zu Wort und kratzt sich ratlos am Hinterkopf.

»Schon gut Tine, ich regle das.«

Verdammt, Halbwolf!

Plötzlich fliegt die Küchentür auf und ein völlig zerfetzt aussehender Cole steht in der Tür.

»Alpha, sie sind weg. Vorerst. Aber das Rudelhaus ist völlig überfüllt und das Feuer der hinteren Hütten breitet sich aus, wir müssen umgehend etwas unternehmen, sonst bricht die Massenpanik aus!«

Entschlossen nicke ich. Ich weiß, was jetzt zu tun ist.

»Wir evakuieren. Schafft zu erst die Familien mit kleinen Kindern raus, dann die alten und dann die anderen. Die Wachen und Krieger beginnen sofort, alles Wichtige aus dem Rudelhaus einzupacken und mit in das vorübergehende Rudelhaus zu bringen.«

»Und... Wo ist das vorübergehende Rudelhaus?«

»Das Landhaus. Alle, die eine Wohnung oder ein Haus in der Stadt haben, sollen dorthin, den Rest bringen wir im Landhaus unter, zur Not rücken wir eben etwas zusammen oder Zelten auf der Wiese.«

»Alles klar Alpha, ich mach mich an die Arbeit.«

»Danke, Cole. Ich komme nach, sobald Jesse in Sicherheit ist.«

Mit einem Nicken verlässt Cole die Küche und ich schaue zu Jesse. Sie ist eingeschlafen.

Etwas blass und mit zuckenden Augenliedern lehnt sie an meiner Brust und atmet zwar etwas flach aber gleichmäßig ein und aus.

Wie süß sie ist. Süß und friedlich. Kein Anzeichen von Wut, Misstrauen oder Angst.

Verträumt streiche ich ihr eine Haarsträhne aus dem Gesicht. Ihre Haut ist so weich. Und verletzlich. Viel zu verletzlich. Am liebsten würde ich sie in Watte packen, sie vor der ganzen Welt und dem Universum beschützen.

»Bring sie am besten irgendwo hin, wo sie sich in Ruhe auskurieren kann.«

Schlägt Tine vor und ich nicke abwesend.

»Pack deine Sachen und die aus der Küche und komm so schnell wie es geht zum Landhaus, falls jemand fragt, du hast auf Anweisung von mir Vorrang. Wenn du dort bist, Versuche die Zimmer ein wenig zu koordinieren, Familien bis zu Fünf Personen in ein Zimmer, Einzelzimmer gibt es vorerst nicht. Ich helfe dir, sobald ich Jesse versorgt hab.«

»In Ordnung, Alpha. Gute Besserung.«

Meint Tine noch und eilt dann aus der Küche, um ihre persönlichen Sachen zu holen.

Noch einmal sehe ich meine schlafende Mate liebevoll an und hebe sie dann im Brautstyle hoch, um sie zu meinem Auto zu tragen.

One and a half wolves [1]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt