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Magnus


Nachdem wir einige Zeit still nebeneinander in einem Hubschrauber gesessen sind, landen wir neben dem mir bekannten Gebäude an einem abgelegenen Ort. Ich muss schon sagen, die Geschäfte meines Vaters müssen besser laufen, als wir denken. So etwas hatte er früher nicht. Ansonsten hat sich nicht viel verändert seit ich weggelaufen bin. Ein kalter Schauer läuft mir über den Rücken, als ich das Gebäude betrete. Zu viele Erinnerungen, die ich versucht habe zu verdrängen kommen jetzt wieder langsam auf. Es ist nicht einfach für mich, hier wieder zurückzukehren, doch wenn ich mir ins Gedächtnis rufe, warum und für wen ich das mache, reiße ich mich wieder zusammen.

Rose führt mich durch das Haus meiner Vergangenheit, doch sagt kein Wort. Überhaupt haben wir kein Wort gewechselt seit ich mich von Alec verabschiedet und ihr gefolgt bin. Sie war früher schon hier, doch wie an vieles, kann ich mich auch an sie nur noch begrenzt erinnern.

Als wir vor einer schweren Holztür ankommen, klopft sie an und verschwindet, ohne sich noch einmal an mich zu wenden. Ein festes 'Herein' ertönt durch das Holz und ich öffne die Tür. „Magnus.", dreht sich der Mann zu mir um und sieht mir mit schweren Blick in die Augen. Ich muss hart schlucken. Der Anblick meines Vaters ist doch nicht so leicht zu verkraften, als ich dachte. Vielleicht habe ich vor Alexander ein wenig den Tapferen gespielt.

An den Raum kann ich mich noch leicht erinnern. Kahl, wenig Licht – so wie das meiste in dem Haus. Sein Büro, wenn man das so sagen kann. Ich merke wie ich mich augenblicklich anspanne und leicht zurückweiche. Ich versuche mir die Kampftechniken ins Gedächtnis zu rufen, doch alles scheint wie ausgelöscht. Und das verursacht, dass ich noch nervöser werde. Ich bin wieder der sechsjährige Junge, der seine Mutter tot aufgefunden hat und in Tränen ausgebrochen ist.

„Ich wusste, dass du irgendwann wieder zu mir zurückkommst. Für uns alle kommt irgendwann der Moment, in dem wir in das Haus unserer Väter zurückkehren müssen.", grinst er leicht beunruhigend. „Ich schätze du hast Recht.", spiele ich mit, wobei ich gerade lieber wieder weglaufen würde. Aber ich bin jetzt erwachsen. Neunzehn Jahre lang habe ich mich vor ihm versteckt und jetzt ist der Augenblick gekommen, in dem ich mich meiner Angst stellen muss.

„Ich habe mitbekommen, du hast einen Freund? Warum ist er nicht mitgekommen? Ich hätte meinen Schwiegersohn gerne kennengelernt, auch wenn mir eine Schwiegertochter natürlich lieber wäre. Nichts gegen euch, aber du bist schließlich mein einziger Sohn und ich verlange Nachfahren, die hier alles im Griff haben, wenn ich nicht mehr bin.", kommt er langsam auf mich zu, während er sich auf seinen Gehstock stützt.

„Ich denke, du wirst ihn früh genug kennenlernen und es wird sich bestimmt jemand finden, der dein Geschäft weiterführt. Vielleicht einer deiner Mitarbeiter?", schlage ich motiviert vor, während ich mich innerlich sträube, ihn überhaupt anzusehen. Ich weiß, dass er kein gutes Verhältnis zu seinen Mitarbeitern hat. Eigentlich hat er zu niemandem ein gutes Verhältnis. Nicht einmal zu seiner Frau und seinem Sohn.

„Du weißt doch, dass ich es lieber in Familienbesitz lassen würde.", lächelt Asmodeus abscheulich. „Ja, natürlich.", breche ich den Augenkontakt mit ihm ab. „Also, setzen wir uns.", zeigt er auf ein dunkelgraues kleines Sofa vor einem Schreibtisch. Ich setze mich mit Abstand neben ihn. „Du bist zu einem attraktiven Mann herangewachsen. Definitiv meine Gene.", scherzt mein Vater und ich lächle gespielt. „Erzähl. Wo hast du gewohnt? Was hast du gemacht? Wann werde ich Andrew kennenlernen? Und vor allem, warum seid ihr so plötzlich mit Raj abgetaucht?", wird er präziser mit den Fragen. Ich muss mir gute Lügen zurechtlegen, aber darüber habe ich schon ein wenig mit Alec gesprochen.

„Woher soll ich wissen, wo Raj hin verschwunden ist? Ich war bei meinem Freund und wir haben ein paar schöne Tage miteinander verbracht. Ich darf annehmen, seinen Namen weißt du von Raj? Oder einem deiner anderen Spione?", frage ich vielleicht ein wenig zu gereizt, aber mich in seiner Gegenwart zusammenzureißen ist schwerer als gedacht. Er löst so viele Gefühle in mir aus und langsam werden sie mir alle zu viel. Wut. Hass. Trauer. Hoffnung. Angst.

„Ich dachte nur, dass es möglicherweise etwas mit eurem verschwinden zu tun hat. Aber wenn du sagst, dass das nicht so ist ... werde ich dir natürlich Glauben schenken. Und ja, Raj hat mich darüber informiert. Er hat auch erwähnt, dass er diesem Andrew nicht traut und du weißt, dass Raj mich nicht anlügen würde.", klopft er mit seinem Zeigefinger immer wieder ungeduldig auf den auf seinem Gehstock angebrachten Knauf. Als würde er auf etwas warten, doch ich denke, er empfängt niemanden mehr.

„Man kann ihm trauen, sonst wäre ich schließlich nicht mit ihm in einer Beziehung, Vater." Es ist komisch, ihn so zu nennen und eigentlich hatte ich mir auch vorgenommen, es nicht mehr zu tun. Aber ein kleiner Teil, mag er noch so winzig sein, hat ihn vermisst. Meinen Vater, einen Vater. Ein kleiner Teil in mir hatte immer noch die Hoffnung, dass Asmodeus irgendwann erkennt, dass ich ihm wichtig bin. Doch ich habe immer gewusst, dass das nie passieren wird, weshalb die Enttäuschung nicht allzu groß ist. Ich bin eher erleichtert, dass er nicht sauer ist, da ich weggelaufen bin. Aber vermutlich werde ich noch ein wenig hierbleiben müssen.

„Du warst schon immer naiv, Magnus. Du vertraust zu schnell, bist zu freundlich, zu hilfsbereit. Passt eigentlich überhaupt nicht in die Familie, so wie es Lilly nicht getan hat.", hebt mein Gegenüber seine Stimme leicht und kurz zucke ich zurück. Bis er meine Mutter erwähnt. „Lass sie da raus. Sie war eine liebenswerte Person.", verteidige ich sie und muss auch kurz an Alec denken. Sie weisen gewisse Ähnlichkeiten auf. Lieb, freundlich, hilfsbereit, immer bereit alles für die Menschen, die sie lieben, zu tun.

„Sie war für nichts gut. Nicht einmal für Nachfahren.", redet er sie schlecht. Ich springe auf und sehe ihn wütend an. „Hör auf! Sie war die beste Person auf der Welt und du hast sie in den Tod getrieben!", schreie ich fast und spüre plötzlich einen heißen Schmerz an meiner Wange. Ich lege meine Hände an meine brennende Wange und sehe meinen Vater geschockt an. Er hat sich nicht verändert. Kein bisschen. Vielleicht bin ich nicht nur für Alec hierhergekommen, sondern auch weil ich wissen wollte, ob sich jemand wie er doch noch ändern kann. Jetzt habe ich meinen Beweis, dass das niemals möglich ist.

Wütend stürme ich aus dem Raum in Richtung meines früheren Zimmers. Einmal verlaufe ich mich in den langen labyrinthartigen Korridoren, bevor ich es schlussendlich doch noch finde. Langsam öffne ich die Tür, welche quietschend aufschwingt. Eine dicke Staubschicht liegt über allem. Anscheinend war niemand mehr hier, seit ich weggelaufen bin. Wie lange es wohl gedauert hat, bis sie gemerkt haben, dass ich weg war?

Ein Kinderbett in der Ecke, ein Holzregal mit einer Handvoll Büchern, die ich mir nie angesehen habe und ein Tisch, auf dem verschiedengroße Messer liegen. Zu jedem Geburtstag habe ich ein größeres bekommen. Ich weiß nicht, was er dachte, das ich mit einem Jahr mit einem Taschenmesser anfange, aber ich hatte es. Ich schließe die Tür hinter mir wieder und gehe langsam auf das Bett mit dem schmutzigen weißen Bettüberzug zu.

Ich klappe die dünne Decke weg und sehe einen kleinen Teddybären unter der Decke liegen. Augenblicklich steigen mir Tränen in die Augen. Meine Mutter hat ihn einmal mithineingeschmuggelt für mich. Ich glaube ich war zwei, als ich ihn bekam. Abends habe ich mich mit dem hellbraunen Bären in mein Bett gekuschelt und habe mich in den Schlaf geweint. Eine Träne kullert mir bei der Erinnerung an mein jüngeres Ich über die Wange.

Ich nehme das Stofftier in die Hand und drücke es an meine Brust. Ich vermisse meine Mom, ich vermisse Alec. Ich möchte wieder weg von hier. Ich habe das alles unterschätzt. Ich habe meine Kräfte unterschätzt. Alec. Schnell hole ich das Telefon aus meiner Hosentasche und gehe auf den einzigen Kontakt, der eingespeichert ist. Andrew ❤️. Leicht muss ich lächeln. Alec hat mich so eingespeichert und mir dann einen liebevollen Kuss auf die Wange gedrückt. Ich will wieder zu ihm zurück.

Nach kurzem Läuten wird es abgebrochen und eine kleine Anzeige mit zwei Wörtern wird angezeigt. Kein Signal. Ich könnte in Tränen ausbrechen und genau das tue ich auch. Ich lege mich in das kleine Bett, kuschele mich an den Teddy und schließe meine Augen, während immer wieder erneut Tränen aus meinem Augenwinkel laufen. Ich fühle mich wie vor neunzehn Jahren. Als wäre die ganze Zeit dazwischen ein Traum gewesen und ich jetzt wieder aufwache.

Den Tunnel, den ich gefunden habe, war kein Glück, sondern ein Traum. Dass mich Catarinas Eltern gefunden haben. Die schönen und lustigen Jahre, die sie mir geschenkt haben. Das Leben, das sie mir geschenkt haben. Die Schule. Die Uni. Alec. Seine unglaublich tolle Familie.

Undercover (german Malec ff)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt