4. Kapitel

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       Vogelgezwitscher drang an meine Ohren, sowie das Surren von Insekten. Wärme umgab mich. Keine kühle Brise fuhr über mich hinweg. Stattdessen blendete mich etwas. Grummelnd öffnete ich die Augen und zuckte zusammen, als ich in das Licht der Sonne blickte, dass zwischen dem dichten Blattwerk hindurchbrach. Erschrocken realisierte ich, was das bedeutete. Es bedeutete, dass ich... eingeschlafen war. Auf Ramiros Rücken. Noch immer hing ich eher an seinem Hals, doch das schien ihn nicht gestört zu haben. Er war unerschütterlich weiter gelaufen.
       »Guten Morgen«, murmelte ich und strich über sein Fell. Er schnaubte und schien zu sagen: „Auch schon wach?" Lächelnd richtete ich mich auf und sah mich nach einer geeigneten Stelle für eine kurze Pause um. Nicht, weil ich sie brauchte, sondern weil er sie sicherlich brauchte. Als ich eine gute Stelle fand, lenkte ich ihn in diese Richtung. Ein wiederwilliges Schnauben kam von ihm, doch als ich Halt machte, mich aus dem Sattel schwang und meine eingerosteten Glieder streckte, die ein Knacken von sich gaben, wirkte er entspannter.
       Lächelnd lief ich zur Satteltasche und holte zwei Äpfel von weiteren Zehn heraus. Grinsend hielt ich ihm einen hin. »Frühstück?«, fragte ich, während ich lächelnd von meinem Apfel abbiss. Ramiro folgte gierig meinem Beispiel und schien sichtlich froh, Halt gemacht zu haben. Ich nahm den Wasserschlauch heraus und erlaubte mir, einen Schluck zu trinken, bevor ich mir etwas in die Hand füllte uns es ihm hinhielt. Gierig schleckte er meine Hand aus. Willig schenkte ich noch etwas davon in meine Hand. Sofort trank er noch einmal. »Du bist ein guter Junge«, hauchte ich.
        Seine dunklen Augen trafen meine, als hätte er mich verstanden. Aufmerksam musterte er mich, während etwas Wasser von seinem Zügel tropfte. »Danke, dass du mich die Nacht über getragen hast. Das war sicher so, als würde man einen schweren Kartoffelsack tragen.« Auch, wenn er mich nicht verstand, hatte ich das Bedürfnis ihm danke zu sagen. Mich bei ihm zu bedanken. Deswegen bekam er noch einen Apfel und eine Streicheleinheit. Wir machten eine kurze Rast.
       Ich setzte mich auf den Waldboden und blickte zum Blätterdach empor und lauschte den Vögeln, die fröhlich zwitscherten und umherflogen. Ramiro graste vor sich hin, dennoch zuckten seine Ohren aufmerksam hin und her. Immer wieder. Da war ich mir einfach sicher. Ein leises Lächeln umspielte meine Lippen und ich legte mich ins Gras. Ich genoss den Geruch der frischen Blumen, gemischt mit dem Geruch von Kiefern und Schnee, der mich umgab. Es war so friedlich hier.
       Ein Teil in mir wünschte sich, für immer hier bleiben zu können. Für immer diesen Frieden genießen zu können. Doch ein Teil in mir wusste, dass wir bald weiter gehen mussten. Nach einer Weile hob der dunkelbraune Hengst den Kopf, lief zu mir und stupste mir mit seiner Schnauze in die Seite. Lachend strich ich ihm über die Nüstern, bevor ich aufstand. »Ist ja gut, ich komme ja schon.« Unruhig tänzelte er auf der Stelle.
       Wie er so schnell wieder an Kraft gekommen war, wusste ich nicht. Ein Teil in mir wollte es auch gar nicht wissen. Wirklich nicht. Stumm schwang ich mich auf seinen Rücken. Kaum hatte ich die Stiefel in den Steigbügeln, trabte er schon wieder los. Lächelnd schüttelte ich den Kopf und genoss die Wärme, die uns umgab. Wie von selbst nahm ich die Kapuze ab. Was gefährlich war, wenn man bedachte, dass meine Haare strahlend blond waren und im Licht der Sonne funkelten. Ramiro trabte unbeirrt weiter.
       Instinktiv wusste ich, dass es nicht mehr weit war. So langsam musste ich mir überlegen, was ich mit ihm machte. Mitnehmen konnte ich ihn nicht, allein zurücklassen wollte ich ihn nicht, da ich nicht wusste, was passieren würde. Es war nicht mehr weit bis zum Fuße der Berge, das spürte ich. Denn der Geruch von Schnee überdeckte fast den Geruch von Kiefern und Moos. Gedankenverloren strich ich Ramiro über den Hals. Sein warmes Fell kitzelte meine Handfläche.
Während er unbeirrt weiter vorantrabte, erlaubte ich es mir, den Wald näher zu betrachten. Hier in der Nähe hatte ich dem roten Drachen damals meinen Teddy geschenkt. Er war so traurig gewesen. Vor meinem inneren Auge sah ich seine große Gestalt abermals vor mir. Den traurigen Blick seiner großen Augen, die Art, wie er mich betrachtete hatte. So überrascht, als ich ihm den Teddy gegeben hatte. Eine kleine Geste, die seinen Schmerz sicher nicht ganz hatte vertreiben können, da war ich mir sicher.
       Dennoch versank ich für einen Moment lächelnd in diesen Erinnerungen. Erlaubte mir, mich an ihn zu erinnern, den großen Drachen, den ich seitdem nicht mehr gesehen hatte. Den Drachen, der meinen Teddy hatte. Ich wusste nicht, ob er noch lebte und ihn noch immer hatte. Allerdings hoffte ich, dass mein Teddy ihm ein Lächeln auf die Lippen gezaubert hatte. Natürlich wusste ich nicht, wie alt er gewesen war. Sicher aber älter als ein Kind. Jetzt kam es mir dumm vor, dass es nur ein Teddy gewesen war.
      Ein Teddy war nur für Kinder schön, nicht für Erwachsene. Dennoch hoffte ein Teil von mir, dass es die Geste war, die ihm zum Lächeln gebracht hatte. Ramiros Ohren zuckten, als ein Ast im Gebüsch knackte. Mein Herz setzte einen Schlag aus und ich spürte, wie Adrenalin durch meinen Körper rauschte. Mein Blick scannte das Gebüsch ab. Erleichterung durchströmte mich, als ein Hase zum Vorschein kam. Nur ein kleiner Hase. Lächelnd sah ich dem braunen Hasen dabei zu, wie er über das Gras hoppelte.
       Ramiro schien den Hasen auch anzusehen, aber er blieb ruhig. So ruhig, wie ein Pferd nur sein konnte. Auf dem restlichen Weg zu den Bergen geschah nichts wirklich Aufregendes, was ganz gut so war. Wir legten nur zwei weitere Pausen ein, bevor ich das Ende des Waldes erkennen konnte. Das Licht wurde dort heller. Ein wahrer Lichtschein.
      Die Freude verebbte aber, als der Wind die Rufe von Rittern herantrug. Ich wusste, dass sie noch weit weg waren und mich nicht sehen würden. Zumindest nicht sofort. Doch das, was sie riefen, gefiel mir nicht. Zwar konnte ich nur Wortfetzen hören, doch ich wusste, dass sie die Drachen provozierten. Wut kochte abermals in mir auf, ließ mein Blut kochen und es in meinen Ohren rauschen. Wie von selbst krallten sich meine Hände um die Zügel, die ich in der Hand hielt. Das Leder drückte gegen meine Handflächen, doch ich spürte es kaum. Es war mir egal.
        Diese Männer... Damian hatte sie geschickt. Einfach so. Ohne des Wissens meines Vaters und jetzt wollte er noch mehr schicken. Dieser Wicht! Er machte sich an mich heran, um meinen Vater zu blenden. Da war ich mir sicher. Mehr als sicher. Ein Teil in mir verstand einfach nicht, was das sollte. Warum sie die Drachen stürzen wollten. Sie taten uns nichts. Lebten friedlich. Sie hatten sich nur von uns abgeschirmt, weil wir sie gejagt hatten. Die Menschen. Einfach so. Aus Gier. Aus der Gier der Macht ihrer Herzen.
       So ganz hatte ich das noch nicht verstanden, doch ich hoffte, darauf Antworten zu finden. Antworten von ihnen. Ramiro tänzelte nervös, in Anbetracht der Tatsache, dass er vermutlich das Schlagen der gewaltigen Schwingen der Drachen hören konnte und die Rufe der Ritter. Viel deutlicher als ich. Er schnaubte, warf den Kopf hin und her, seine Ohren zuckten. Sanft strich ich ihm über den Hals. Ramiro kannte diese Stimmen. Als Fohlen hatten sie ihn angeschrien, ihm befohlen schneller zu laufen, kräftiger zu werden. Stärker zu werden.
       Sie hatten ihn gepeitscht, ihn angeschrien. Selbst wusste ich das nicht, doch die Stallburschen hatten es mir erzählt. Seine Hufe tänzelten über den staubigen Waldboden, wirbelten Staub auf. Wie wild fing er an zu zerren, den Kopf hin und her zu schlagen, seine wilde Mähne wirbelte dabei durch die Luft. »Shh, ist schon gut. Ich bin bei dir. Sie werden dir nichts tun. Ich bin bei dir«, wisperte ich und strich über seinen Hals.
       Meine Worte hatten nur eine kleine Wirkung auf ihn, doch sie reichte aus, um ihn ruhig weiter laufen zu lassen. Seine Ohren zuckten noch immer, sein Körper angespannter als noch vor ein paar Minuten. Ein Teil in mir wünschte sich, diese Ritter würden dafür hängen, doch dann wäre ich nicht besser als sie. Ein Tod in der Gefängniszelle wäre auch nicht schlecht, doch so lange würden sie nicht im Gefängnis sitzen, sie würden niemals im Gefängnis sitzen. Niemals würden sie das tun. Nicht so lange mein Vater solche Dinge tolerierte. Für ihn war Ramiro nur ein weiteres Pferd. Brachte es nicht genug Leistung, durften die Ritter es erst peitschen, bis es vielleicht doch Leistung zeigte, dann musste man es töten. Kalte Schauer rannen dabei meinen Rücken hinab.
      Ich wusste, dass Damian gerne Zuschauer bei solchen Dingen war. Sogar der Antreiber der ganzen Sache. Und er würde es immer sein. Niemals zurückschrecken. Er schrak nicht einmal davor zurück, andere Frauen anzugaffen, während er mich bezirzen wollte. Was für ein Schwachsinn. Die Wut, die in mir brodelte, hielt ich zurück. Denn hier fand sie keinen Platz. Nicht in diesem Moment. Ramiro musste ruhig bleiben und ich musste herausfinden, ob sie mich sehen würden, wenn ich den Wald verließ.
      Mit donnerndem Herzen ließ ich Ramiro langsam auf den Waldrand zulaufen. Seine Schritte waren langsam. Ja, fast wie in Zeitlupe. Er schien den stummen Befehl verstanden zu haben, der in meiner Haltung lag. Er lief so langsam wie möglich, ohne ein Geräusch zu machen. Als wir den Waldrand erreicht hatten, spähte ich um die Ecke, um erleichtert aufzuatmen. Die Ritter waren weit weg. Sie waren nur kleine Punkte. Nur ihre Worte wurde vom Wind und den Bergen herangetragen.
        Also stieß ich Ramiro leicht in die Flanken und schon verließen wir den Wald. Innerlich hoffte ich, dass uns niemand von ihnen sah. Denn hier konnte uns kein einziger Baum schützen. Das kleine Stück hier vor den Bergen war kahl. Als hätte jemand den Wald dort abgeholzt. Doch ich wusste es besser. Bei dem Kampf verbrannten viele Bäume. Hier an den Bergen entlang verbrannte ein Teil des Malanwaldes durch das Feuer der Drachen, die verzweifelt versucht hatten, die anderen damit aufzuhalten.
      Allerdings ohne großen Erfolg. Nicht einmal mehr Baumstämme oder Baumstümpfe waren übrig. Alles war damals zu Asche verbrannt. Niemand hatte es aufhalten können. Ramiro schritt unbeirrt weiter den schmalen Weg entlang, der mich direkt zur Grenze führen würde, wenn ich nur den Berg hinaufstieg. Mein Herz pochte wild, da ich noch immer nicht wusste, was ich mit Ramiro machen sollte. Ihn hier allein zu lassen, kam auf einmal gar nicht mehr in Frage. Hier in der Nähe lagerten seine Peiniger. Da ich nicht wusste, was passieren würde, konnte ich ihn einfach nicht hier lassen.
       Nicht, wenn mir sein Leben lieb war. Nicht, wenn er mir wichtig war. Es gab hier einfach so viel, das gefährlich war und ich wusste nicht, wie das hier ausgehen würde. Schließlich konnte ich sterben. Also fasste ich einen kurzen Entschluss, der ihm vielleicht nicht gefallen würde. Je weiter wir auf den Fuße des Berges zuritten, desto ruhiger wurde ich. Dennoch spürte ich diese nagende Unruhe in mir, dass uns jemand entdecken könnte. Wir wären nur ein schmaler Punkt, und doch würden wir Aufmerksamkeit erregen.
      Inständig betete ich also, dass uns niemand sehen würde. Ramiros Hufe tänzelten nun über den schmalen Weg. Unruhe machte sich in ihm breit. Kurz darauf erkannte ich auch warum. Ein Schatten überzog die Ebene. Ein großer Schatten. Sofort richtete ich mein Blick gen Himmel und erkannte einen schwarzen Drachen. Er flog auf die Ritter zu und stieß ein warnendes Brüllen aus, hielt sich aber noch etwas über den Bergen.
      Sein Brüllen hallte wie ein lautes Donnergrollen in meinen Ohren wider. Markerschütternd und laut. Sein Brüllen war so voller Wut, dass ich sie bis in jede Zelle meines Körpers spüren konnte. Ramiros Ohren zuckten, er tänzelte unruhig über den Weg hinweg und warf den Kopf hin und her. Beruhigend strich ich ihm über den Hals. Immer und immer wieder und flüsterte ihm sanfte Worte zu. Mit der Zeit wurde er ruhiger, während der schwarze Drache weiter brüllte. Seine Augen lagen auf den Rittern.
      Doch als er Ramiros Schnauben zu hören schien, wandte er mir den Blick zu. Dunkle Augen. Seine Augen waren so dunkel, dass alles in mir zu Eis erstarrte. Seine Augen bohrten sich in meine und im ersten Moment bekam ich es mit der Angst zu tun. Die Angst, dass er mich aufhalten würde und mir nicht erlauben würde, weiter zu reiten. Doch er schien zu merken, dass ich nichts Böses wollte und wandte sich wieder den Rittern zu. Ramiro lief weiter, wenn auch nervös und unruhig diesmal.
      Ich konnte schon den Weg sehen, der sich den Berg hinaufschlängelte, zumindest, bis er in den dichten Bäumen verschwand, so nahe waren wir dem Berg schon. Den Bergen, sollte ich sagen. Den Bergen, die sich bis zum Himmel erstrecken zu schienen und wie spitze Fangzähne in die Luft ragten. Obwohl diese Berge so hoch waren und so... gefährlich wirkten und mir kalte Luft entgegenkam, verspürte ich keine Angst. Diese Angst blieb aus, als ich an meinen Plan dachte.
      Daran, was ich tun konnte. Daran, was ich tun musste. Ein schwummriges Gefühl machte sich in mir breit, doch das war mir egal. Ich würde den Berg erklimmen, die Grenze übertreten. Koste es, was es wolle. Niemand könnte mich aufhalten. Niemand. Je weiter wir ritten, desto unruhiger schien Ramiro zu werden, schien er doch zu spüren, was ich vorhatte. Er schien zu spüren, dass ich ihn nicht mitnehmen würde. Mit jedem Schritt schien er langsamer zu werden, als könnte er das Eintretenden hinauszögern. Es machte mir nichts aus. Es störte mich nicht, dass er langsamer wurde.
       »Es tut mir leid, dass ich dich allein lassen werde. Aber es muss sein. Ich kann dich nicht mitnehmen. Der Weg ist zu steil und zu schmal«, meinte ich zu ihm und strich über das Fell an seinem Hals. Meine Antwort war ein Schnauben, das vermutlich sagen sollte: „Was auch immer du meinst. Ich bin dennoch nicht einverstanden." Ein kleines, trauriges Lächeln huschte über meine Lippen. Denn ich wusste, dass ich... dass ich ihn gehen lassen würde und wer weiß, wann ich wieder kommen würde. Wenn ich es überhaupt überleben würde.
      Ich zweifelte nicht an meinen Absichten aber ich zweifelte daran, dass man mich so weit kommen lassen würde. Nicht die Drachen würden mich aufhalten, sondern die Ritter. Diese Bedenken hatte ich. Vielleicht hatten sie mich schon längst entdeckt. Sahen, was ich vorhatte. Ein kurzer Blick in ihre Richtung zeigte mir aber, dass sie eher damit beschäftigt waren, den Drachen anzuschreien und ihn wütend zu machen. Das blendete ich aus. Nicht, weil ich es ignorieren wollte, sondern weil meine Wut mich von meinem Plan abhalten würde. Denn wenn ich diese brodelnde Wut zulassen würde, würde ich auf sie zustürmen, sie anschreien und ihnen sagen, dass sie ihre faulen Ärsche in Richtung Schloss bewegen sollten.
      Doch sie würden nicht auf mich hören. Diese Ritter hatten noch nie auf mich gehört. Sie hörten entweder auf Damian oder meinen Vater. Eine Frau hatte ihnen nichts zu sagen. Deswegen würde dieser Versuch nichts bringen, dafür aber konnte ich zu den Drachen und ihnen sagen, was mein Vater vorhatte. Konnte sie warnen. Denn ich wusste, dass tief in ihnen die gleiche Wut brodelte, wie in mir. Ich sah es dem Drachen an, der sich beherrschte, sie nicht zu zerfleischen. Weil er nicht so wie sie sein wollte.
       Er wollte nicht in ihre Falle tappen. Es schien ihm mit jedem Wort, dass von den Rittern zu kommen schien, schwerer zu fallen. Seine Flügelschläge wurden heftiger, sein Brüllen lauter und lauter. Ramiro tänzelte nervöser, während wir dem Anfang des Berges immer näher kamen. Sanft strich ich über seinen Hals. »Shh, ist schon gut. Alles ist gut.« Zwar beruhigte er sich etwas, aber nicht vollkommen. Am Anfang des Anstiegs stieg ich von seinem Rücken. Seine großen, dunklen Augen fanden meine.
      Eine stumme Anklage schien darin zu liegen. Diese stumme Anklage, dass ich ihn nicht zurücklassen sollte und nicht allein gehen sollte. So schien es jedenfalls. Dennoch schulterte ich mir die Satteltasche ohne weiteres über und die Decke. Er schnaubte. Ich lächelte leicht. »Danke, für deine Mühen und danke, dass du mich bis hier hingetragen hast. Sogar, als ich geschlafen habe. Wenn ich irgendwann wiederkomme, dann sage ich allen, was für ein tolles Pferd du bist«, hauchte ich und strich über seine Nüstern.
       Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Es war nicht so, dass ich keine Angst hatte. Den nächsten Weg musste ich allein bestreiten. Die unzähligen Schritte bis nach oben. Das lange abmühen. Das musste ich allein schaffen. Und das würde ich allein schaffen. Irgendwie. »Hier«, sagte ich und gab ihm noch einen Apfel. Erst starrte er mich mit seinen Augen nieder, bevor er sich dazu herabließ, den Apfel zu essen. Dann starrte er mich einfach wieder an. Er schien seinen nächsten Befehl zu kennen und doch bewegte er sich keinen Schritt. Keinen einzigen.
      »Ramiro ich bitte dich. Reite zurück.« Meine Stimme brach bei meiner Bitte. Ich mochte diesen Hengst, mehr als gut für mich war. Besonders da ich wusste, dass Vater ihn mir nie geben würde. Freilassen konnte ich Ramiro nicht. Es gab keine wilden Pferde hier und allein würde er nie überleben, da er es nie hatte tun müssen. Es wäre Wahnsinn ihn frei zu lassen. Deswegen musste ich ihn zurückschicken. Er war schlau, er würde den Weg finden. Das wusste ich. Die Frage war nur, ob er es auch tun würde.
       Anklagend sah er mich an, bevor er schnaubte und seine Nüstern gegen meine Wange stieß. Leise lachte ich. Dann drehte er sich um und galoppierte davon. Für einen Moment erlaubte ich mir, ihm nachzusehen. Erlaubte mir dabei zuzusehen, wie er über die freie Ebene preschte, seine Mähne und die Zügel flatterten. Dann holte ich tief Luft und wandte mich dem Weg zu. Ein Aufstieg. Ein langer Aufstieg, der sich aber lohnen würde.

Dragon Heart ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt