19. Kapitel

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     Wieder trainierten wir. Die Drachen aus Dalenka waren heute Morgen hier eingetrudelt und würden so lange bleiben, wie es dauerte. Sie würden hier schlafen. Hier essen. Hier wohnen. Es störte mich nicht. Howlan und Wren machten mir das Training nicht leichter und als ich das Gefühl hatte, dass meine Lugen in Flammen standen und meine Muskeln nie wieder aufhören würden vor Schmerzen zu pochen, kam Fero mit meinem Bogen angeschlendert und mit seinem. Müde und erschöpft sah ich ihn an, doch wenn ich in diesen paar Tagen, die uns blieben, Muskeln aufbauen wollte, dann musste ich das wohl.
      Cas sah ich den ganzen Tag kaum. Er stürzte sich in den Schwertkampf oder lieferte sich Duelle in seiner Drachengestalt. Im Schwertkampf ging er manchmal als Verlierer vom Feld, als Drache war er unschlagbar. Doch weder Wren, Howlan und Fero gaben mir die Gelegenheit, ihn zu beobachten. Ich wurde so im Training eingespannt, dass nicht mal die Zeit blieb an den Seelenbund zwischen Cas und mir zu denken. Bis jetzt hatte ich es auch nicht gewagt, ihn zu fragen.
      Er sorgte sich. Ich wusste es. Er wollte nicht, dass ich hier war. Immer wieder spürte ich seinen Blick auf mir ruhen. Vielleicht trainierte ich deswegen so verbissen. Ich wollte besser werden. Ich musste besser werden. Für ihn. Für sie. Wir trainierten immer auf der freien Ebene. Späher erkundeten die Luft, sagten uns, wie viel Zeit uns noch blieb. Die Armee meines Vater hatte es noch nicht über den Berg geschafft, eine Lawine aus dem restlichen Schnee des Winters hatte sich gelöst und sie aufgehalten.
      Ein kleiner Vorteil, den wir hatten. Doch es würde sie nicht lange aufhalten. Der gestrige Tag steckte noch in meinen Knochen und doch machte ich weiter. Als meine Arme so stark zitterten, dass ich eine Gefahr für jeden mit dem Bogen in der Hand war, ließ Fero mich eine Pause machen. Da alle beschäftigt waren, die ich gut kannte, lief ich etwas weiter weg und ließ mich mit meinem Wasserschlauch erschöpft ins Gras sinken. Ich nahm einen Schluck, um meine trockene Kehle zu befeuchten, als ich Schritte hörte.
      Aus dem Wald trottete der Feuerbringer. Kleine Rauchwolken kamen aus seinen Nüstern, als er schnaubte, doch sein Blick war freundlich. Er lief locker auf mich zu und sah auf mich herab. Innerlich verfluchte ich mich dafür, dass mein innerer Drache nicht zum Vorschein kam. Manchmal da hörte ich super gut, da hörte ich manchmal sogar Howlan schnarchen, doch heute wieder nichts. Heute hatte ich das Gehör eines Menschen. Deswegen taten meine Muskeln auch noch so weh.
      Das machte mich furchtbar wütend. Denn ich musste besser werden. Für sie alle. Für mich selbst. Doch stattdessen hatte ich mich von meinem Vater beherrschen lassen und ewig nicht trainiert. Kleine Übungen hatte ich in meinem Zimmer gemacht, wann immer es ging. Nur wenn er meinen Tag nicht so voll gekleistert hätte von Übungen, die so unnütz waren, wie 30 Briefe abzuschreiben um an meiner „Handschrift" zu üben, blieb leider nicht viel Zeit für Training. Jetzt hatte ich den Salat. Als hätte er schon immer geplant, dass ich untrainiert in einen Kampf gehen sollte.
      Der Hengst legte seine Nüster an meine Wange und strich sanft darüber. Die feinen Härchen kitzelten mich und ich lächelte. »Dir auch einen schönen Tag«, hauchte ich. Der Hengst sah mich an und ich fragte mich, warum er schon wieder so nett zu mir war. Er konnte alles tun und doch stand er hier jetzt vor mir. Im nächsten Moment legte er seine Nüstern auf meinen Arm, der leicht zitterte. Auf einmal begannen die gold-orangenen Striemen in seinem Fell zu glühen. Erschrocken wollte ich zurückweichen, als diese um meinen Arm zu schlingern begannen.
      Da war ein heißes Kitzeln auf meinen Armen, dort, wo seine Nüstern mich berührten. Ein dunkler Schatten breitete sich über uns aus. Ein Blick nach oben zeigte mir Cas, der den Hengst wütend musterte und ein lautes Grollen ausstoßen wollte. Doch die Schlieren aus Energie drangen in meine Haut ein, bis in die Tiefen meiner Knochen und Muskeln. Gleißende, prickelnde Energie rann durch meinen Körper, die von ihm kam. Deswegen stoppte ich Cas mit einer Handbewegung. Er stockte, dann landete er neben mir.
      Der Hengst zuckte mit den Ohren, wandte sich aber nicht von mir ab. Im Gegenteil. Er blieb so lange stehen, bis ich das Gefühl hatte, nur so vor Energie zu strotzen. Selbst als er fertig war, verließ er mich nicht. Er starrte Cas an, schnaubte und scharrte mit dem Hufen, die Ohren angelegt. Ein helles Leuchten blendete mich, dann stand Cas da. So, wie ihn Gott geschaffen hatte. Aus Scham wandte ich den Blick ab und wartete wieder einmal, bis das Rascheln der Klamotten verklungen war. »Wenn ein Feuerbringer das macht, dann vertraut er dir sehr und sieht dich sozusagen als Gefährten. Feuerbringer pflanzen sich nicht fort. Sie leben zwar in Herden, aber bringen keine Nachkommen. Aber sie suchen sich Freunde. Er scheint dich erwählt zu haben.«
      Cas starrte den Hengst als, als käme er vom Mond. Der Hengst hatte noch immer die Ohren angelegt. Um einen Streit zu vermeiden, stand ich auf und war erstaunt darüber, wie schnell ich stehen konnte, ohne zu wanken. Beruhigend strich ich ihm über das dunkle Fell. »Er ist mein Freund. Er tut dir und mir nichts. Okay, er kann ein Mistkäfer sein, aber er tut uns nichts«, hauchte ich. Als hätte der Hengst mich verstanden, entspannte er sich und stemmte sich etwas gegen mich, um von mir noch mehr gestreichelt zu werden.
      Cas schüttelte den Kopf und beobachtete uns. »Er verdient einen Namen, weißt du? Jetzt, wo du seine Freundin bist.« Ein kleines Lächeln legte sich auf meine Lippen. »Fireheart.« Der Hengst sah mich an und schloss dann die Augen, als ich über seine Stirn strich. Er schien damit einverstanden. Dragonheart und Fireheart. Als ich zu Cas sah, sah ich ein Lächeln auf seinen Lippen. Es war so klein, dass ich es Anfangs für eine Einbildung hielt, doch es war auch noch da, als ich blinzelte. »Streicheln ihn«, wisperte ich, als Fireheart neugierig in Cas' Richtung blickte. Cas schien unsicher.
      »Feuerpferde finden Drachen nicht so toll. Er mag mich nicht.« Ich rollte bei diesen Worten mit den Augen und konnte nicht glauben, dass er das wirklich dachte. »Nur weil du so feindselig warst.« Cas hob eine Braue und verschränkte die Arme vor der Brust. »Ich war nicht feindselig.« Da ich nicht nur eine Braue heben konnte, rollte ich mit den Augen und seufzte. »Aha und was warst du dann bitte?« Etwas flackerte in seinen Augen auf. Die Härter, die gestern und heute Morgen noch in seinem Blick gewesen war, wurde zu einer Wärme und Sanftheit, die ich nicht erklären konnte.
      Er lächelte sanft, als er sagte: »Ich hatte eben Angst um dich.« Bei diesen Worten geriet mein Herz ungewollt ins Stocken. Ein Teil in mir wusste noch immer nicht, ob er das alles nur sagte, weil er diesen Bund spürte oder ob er es wirklich so meinte. Ein Teil in mir dachte noch immer, dass Cas nur nicht wütend auf mich war und nur nicht dachte, dass ich für den Tod seines Vaters verantwortlich war, weil er nicht anderes konnte, nicht, weil er nicht sauer auf mich sein wollte.
Aber wenn er mich so ansah, dann zweifelte ich an meinen Gedanken. Er sah mich so an, wie mein Vater meine Mutter früher angesehen hatte. So voller Wärme und Zuneigung, die sicherlich nicht nur durch das Gefühl kam, dass ihm verriet, dass wir Seelengefährten waren. Ich blinzelte. Cas strich Fireheart über die Nüstern. Dieser schmiegte sich in seine große Hand und schien die Berührung sichtlich zu genießen. Wir drei schienen gerade in einer anderen Welt zu sein. In einer Welt, in der alles okay war.
      Eine Welt, in der alles gut war. Eine Welt, in der man sich nicht fürchten musste. Eine Welt, wo alle gleich waren und Freude sein konnten, egal, was sie waren. Im nächsten Moment wieherten in der Ferne ungeduldig ein paar Pferde und Fireheart löste sich von uns, ehe er freudig davon galoppierte. Einen Moment sah ich ihm nach, dann gingen Cas und ich zu den anderen zurück. Wir sprachen nicht über das, was er gesagt hatte. Wir sprachen über Garnichts. Stattdessen glitten wir kurz darauf in die richtige Welt zurück und widmeten uns dem wichtigen Training, das wir hatten.
      Am Abend berichteten uns die Späher, dass die Hexen angehalten hatten. Sie gingen davon aus, dass sie auf die Armee meines Vaters warten wollten. Das war nur eine Vermutung, doch es war sehr gut möglich, dass beide Seiten sich gegen uns verschworen hatten. Uns blieben vielleicht noch drei oder vier Tage. Nicht sehr lange, wie mir schien. Drei restliche Tage... in drei Tagen könnten alles vorbei sein. Für immer. Diese Gedanken bohrten sich in mir fest und erlaubten es mir nicht, ruhig zu bleiben.
      In mir herrschte ein Sturm. Beim Essen würgte ich wieder nur alles herunter und stürzte mich mit Fero zum Abspülen. Ich schrubbte die Teller so hart, als könnte ich damit selbst den letzten Dreck wegmachen. Als könnte ich damit meine Wut bändigen. Doch es geschah nicht. Ich schrubbte und schrubbte, doch die Unruhe in mir wurde größer und größer. Größer und größer. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, während Fero darauf wartete, die Teller, Becher und das Besteck so wie die Töpfe säubern zu können. »Covina, ich denke der Teller ist sauber«, meinte er, als ich bei einem Teller doppelt so hart schrubbte wie davor.
      Erschrocken hielt ich inne und stellte fest, wie fest meine Hände um den Teller geschlungen waren. Meine Knöchel traten weiß hervor. Eilig reichte ich den Teller an Fero weiter. »Es ist nicht leicht. Für keinen von uns. Aber du hättest eine Chance zum Überleben. Du bist die Prinzessin. Sie würden dir nichts tun, wenn du dich auf ihre Seite schlägst.« Verwirrt hielt ich inne und sah Fero an. Sein Profil wurden von einem Vorhang aus langen roten Haaren verdeckt, als er den Teller trocknete. Es wirkte nicht so, als wolle er mich ansehen.
      »Denkst du wirklich, dass ich so bin?« Ich hatte Mühe die Wut in meiner Stimme zu unterdrücken. Endlich sah Fero mich an und lächelte. Es war ein ehrliches Lächeln. »Das denke ich nicht. Und du bist wirklich gut im Bogenschießen und im Schwertkampf. Du hast an Wendigkeit zugelegt. Jedenfalls etwas. Aber nicht nur du weißt, dass unsere Chancen schlecht stehen. Du musst nicht einmischen. Bis jetzt bist du den Bund mit Cas nicht eingegangen und ich würde davon auch abraten. Uns kennst du noch nicht lange. Du könntest einfach gehen.«
      Fassungslos starrte ich ihn an. Seine grünen Augen blitzten traurig. Ich fragte mich, ob Cas ihm gesagt hatte, er soll das zu mir sagen, oder ob das von ihm selbst kam. »Sollst du mir das von Cas aus sagen?« Fero schüttelte den Kopf und setzte zu einem Satz an, doch ich unterbrach ihn. »Jetzt hör mal zu. Auch, wenn ich noch nicht lange hier bin, fühlte ich mich hier wohl. Es ist, als würde ich euch schon so lange kennen. Ich fühlte mich hier als hätte ich mein Zuhause gefunden. Im Schloss hatte ich das Gefühl nie. Natürlich liebe ich meine Eltern aber... sie gaben mir nie das Gefühl von Zuhause. Und ja, Cas und ich haben den Bund noch nicht eingegangen, doch wenn er bei mir ist, spüre ich tief in meinem Inneren, dass da etwas ist. Ja, vielleicht sterben wir aber deswegen werde ich nicht wie ein Angsthase weglaufen.«
      Fero starrte mich ein paar Sekunden an. Dann grinste er. »Genauso loyal wie Cas. Aber verrate mir, würdest du deinen Eltern wehtun, wenn es sein muss? Würdest du sie töten oder würdest du zusehen, wie sie von jemand anderem getötet werden?« Mit jedem Wort mehr verschwand das Grinsen von seinen Lippen, während mein Herz stolperte und Kälte meinen Körper flutete. Daran hatte ich noch nie gedacht. Ich suchte nach der Antwort in mir, doch ich fand keine. Ich fand nur Stille.
      Fero schien auch keine Antwort zu erwarten, denn er kümmerte sich wieder ums Abtrocknen.

Dragon Heart ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt