10. Kapitel

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     Der Geruch von Muscheln, Meer, Weinsauce aber auch der Geruch von Wachs lag in der Luft, während wir aßen. Die Muscheln schmeckten himmlisch. Vor mir stand bereits der dritte Teller. Fero lachte über meinen Hunger. Doch in den Muscheln war ja nicht viel drin. Immer, wenn ich die schwarzen Schalen öffnete, kam nur ein kleiner Muschelinhalt zum Vorschein. Zusätzlich tunkte ich das Brot in die weiße Soße ein und genoss den Geschmack, der sich daraufhin in meinem Mund ausbreitete. Genüsslich schloss ich für einen Moment die Augen.
      Der Geschmack erinnerte mich an Zuhause. Für einen Moment gab ich mich dem Gefühl der Nostalgie und der Wärme hin, erinnerte mich an die schönen Feste, die wir gehabt hatten, nur um mich kurz darauf daran zu erinnern, wie schäbig sich die Lords und die Berater manchmal verhalten hatten. Dennoch vermisste ich mein Zuhause. Ich vermisste Faya und meine Mutter. Ja selbst meinen Vater vermisste ich, der sich von Damian so beeinflussen ließ. Ein Teil in mir wünschte sich, er würde sich nicht so beeinflussen lassen. Das war dumm. So verdammt dumm.
Doch mein Vater konnte man nur mit guten Argumenten überzeugen. Für diese Argumente hatte Damian ja gesorgt. Innerlich seufzte ich. »Also da Wren mir alles erklärt hat, bin ich auch dafür, dass wir die anderen um Hilfe bitten, Cas. Ich weiß, dass das nicht leicht für dich ist, aber es ist eine Möglichkeit. Wir können an ihrer Seite kämpfen. So wie früher«, sprach Nila das Thema an, an das sich niemand der anderen gewagt hatte.
      Das hatte auch einen Grund. Cas' kalter und harter Blick hatte eindeutig besagt, dass er nicht darüber reden wollte. Und doch hatte Nila es jetzt gesagt. Ich fragte mich, ob sie das Abendessen ruinieren wollte oder ob sie einfach nur sehr mutig war. Cas sah zu ihr, die Härte noch immer in seinem Blick. »Und wer von uns soll sie überzeugen, Nila? Du etwa?« Die letzten beiden Worte spuckte er nur so aus. Anscheinend musste nicht nur ich darunter leiden, dass er Worte, die eigentlich unschuldig waren, wie Beleidigungen klingen ließ.
      Nila saß mit hoch erhobenem Kopf da, ihre eisblauen Augen so kalt wie der tiefste Winter. »Du aufgeblasener Esel hörst jetzt auf, so mit mir zu reden, verstanden? Nicht nur einer sollten hingehen, sondern wir alle, damit sie sehen, wie wichtig uns das ist. Covina sollten wir mitnehmen, damit sie bezeugen kann, was der König vorhat. In Dalenka sitzen unsere Freunde, Cas. Sie werden uns helfen.« Ihre Worte waren bestimmt und hart, ließen keinen Raum für Widerspruch und doch widersprach Cas ihr.
      »Nein, das wird nichts bringen, wenn wir sie mitnehmen. Sie ist ja doch nur eine verwöhnte Prinzessin.« Wieder einmal trafen mich seine Worte hart und ich fragte mich, was ich getan hatte, um das zu verdienen. Was ich getan hatte, um zu verdienen, dass er so über mich sprach. Heute Morgen hatte ich noch Kraft gehabt, gegen ihn anzugehen, jetzt hatte ich keine Lust mehr, mit ihm zu streiten. Stattdessen nahm ich einen Schluck von dem Wasser, in der Hoffnung den Kloß in meiner Kehle damit verschwinden zu lassen. Ohne Erfolg.
      »Cas, es reicht. Hör auf dich ein Bastard zu benehmen, ja? Sie bietet ihre Hilfe an, dann nimm sie auch verdammt noch mal«, fauchte sie Cas an. Ein Knurren kam aus den Tiefen seiner Kehle und seine Augen leuchteten bernsteinfarben auf. Dort, wo seine Pupille sein sollte, war die Pupille wie bei einer Katze. Drachenaugen. Das waren seine Drachenaugen. Seine Adern begannen wieder zu glühen. Goldenes Licht wurde von ihnen verströmt. So wie heute auf dem Dachgarten.
      »Hör auf, dich so zu benehmen. Sie ist unser Gast. Zeig dich von deiner besten Seite und knurre mich nicht an, denn ich beiße zurück. Das weißt du, du Esel.« Cas blinzelte und seine Augen nahmen wieder eine normale Form an und wechselten die Farbe in ihre ursprüngliche Farbe. »Ich sehe einfach nicht, dass etwas bringt, wenn wir sie um Hilfe bitten«, erwiderte Cas und spielte mit einer Muschel in seinen großen Händen.
      Nila rollte mit den Augen. »Das denkst du immer. Aber wir bitten sie ja nicht nur um Hilfe, sondern wir sagen ihnen auch, dass der Krieg vor der Tür steht und das wir alles tun müssen, um uns und unser Land zu verteidigen.« Cas brummte vor sich hin, während Fero, Wren und Howlan sich aus Sicherheit raushielten. Nila schien nach Cas so etwas wie die Anführerin zu sein. Dann seufzte Cas. »Na schön, dann lasst uns alle hingehen.« Nila grinste, zwinkerte mir zu und widmete sich wieder ihren Muscheln.
      Obwohl Cas zugestimmt hatte, dass ich mitkonnte, war mir der Hunger vergangen. Noch immer dachte er, dass ich eine verwöhnte Göre war. Noch immer hasste er mich. Ich war es gewohnt, gehasst zu werden. Die Lords und Berater hassten es, dass ich den Thron besteigen sollte. Manchmal, so hatte ich das Gefühl, hatten sie meinen Tod geplant. Doch ihr Hass war mir egal. Weil ich auf dem Thron sitzen würde und versuchen würde, die Welt zu verändern. Cas' Hass war mir nicht egal. Leider.
      Sein Hass ging mir tief unter die Haut und sorgte dafür, dass ich das Gefühl hatte, zu ersticken. Ich wusste einfach nicht, warum er mich noch immer hasste. Was auf dem Dach so eine Reaktion hervorgerufen hatte. Für den Rest des Essens schwiegen wir. Immer wieder spürte ich Cas' kalten Blick auf mir brennen, doch ich hob nicht den Kopf. Ich spielte mit den leeren Muschelschalen, als wären sie Spielzeuge und rührte das selbstgebackene Brot nicht mehr an, dass so gut war. Stattdessen versank ich in meinen Gedanken. Nur Howlan flüsterte mir leise zu, als eine Muschelschale in meinen Händen brach: »Die Muscheln sind unschuldig, Vina.«

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