11. Kapitel

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     Mit leerem Blick lag ich auf dem Bett, als die Sonne aufging. Leider lag die Sonne auf der anderen Seite und ich müsste in den Gang, um sie aufgehen zu sehen. Doch es war mir egal. Es war mir egal, dass der Sonnenaufgang schön aussehen könnte. Sah ich doch die Wolken, die sich am Horizont bildeten und Regen mit sich brachten. Es war mir egal, dass ich Holwan hörte, der über den Gang lief und vor meiner Tür stehen blieb. »Ich kann später nicht mit dir zum Frühstück gehen, da ich jetzt Küchendienst habe, Vina. Also wundere dich bitte nicht. Ich bin sicher, dass Cas dir sagen wird, wenn es Frühstück gibt. Bis später dann.«
      Damit entfernten sich seine Schritte. Doch es war mir egal. Dass er das sagte, war mir so egal. Es war mir wirklich egal. Ich konnte allein zum Frühstück gehen. Da ich aber keinen Hunger hatte, würde ich vermutlich nicht gehen. Es war mir egal. Diese bodenlose Leere erfüllte meine Seele und meinen Körper. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals, als ich mich daran erinnerte, was mit mir damals, vor zwölf Jahren passiert war. Ich aß nichts und trank nur wenig. Meine Mutter war krank vor Sorge gewesen, da mein Zustand sich dadurch verschlechtert hatte.
Mein Zustand würde hier vom Rumliegen nicht besser werden und doch... das Bett war so bequem und warm. Die Welt außerhalb des Zimmers schien mir kein guter Ort zu sein. Ein Ort, an dem nur Grauen herrschte. Ein Ort, an dem Cas wieder über mich herziehen konnte. Ich würde später gehen, beschloss ich. Wenn sie alle fertig waren. Dann würde ich mir aus der Küche etwas zu Essen holen. Cas wollte ich nicht sehen. Vielleicht war es kindisch, aber... aber ich wollte mich vor Schmerz schützen.
      Diese bodenlose Leere hatte noch nicht alles für mich egal gemacht und ich wusste, dass wenn ich Cas gegenübertreten würde, dass mein Herz krampfen würde und ich vermutlich den Schmerz nicht ertragen könnte. Keine schönen Aussichten. Jedenfalls für mich nicht. Entschlossen blieb ich also liegen, auch wenn mein Magen irgendwann knurrte. Ich rührte mich nicht. Dann hörte ich, wie die Tür aufging. Cas. Seine Schritte hallten im Gang wider, wie ein lautes Donnergrollen.
      Instinktiv hielt ich die Luft an und wartete. Er blieb vor meinem Zimmer stehen und klopfte. »Ich... es tut mir leid. Ich wollte nicht so gemein sein und habe es sicher nicht so gemeint. Es gibt Frühstück und ich möchte nicht, dass du das verpasst, nur weil ich ein... Mistkäfer war.« Obwohl ich wütend und traurig und verletzt war, schlich sich ein kleines Lächeln auf meine Lippen, als er meine Beleidigung für ihn benutzte. Das Lächeln verrutschte aber sogleich wieder. Ich antwortete nicht. »Covina... bitte. Lass mich rein und es dir von Gesicht zu Gesicht erklären.«
Da lag dieses Flehen in seiner Stimme. Vermutlich erwartete er, dass ich seine Bitte erfüllte. Der trotzige und verletzte Teil in mir wollte das aber nicht. »Geh einfach zum Frühstück. Ich möchte nicht mit dir reden«, gab ich so genervt ich konnte von mir. Dabei konnte ich das Zittern in meiner Stimme aber nicht verbergen und verfluchte mich insgeheim dafür. Ich hasste es, dass ich so emotional war. Dass ich so emotional wurde.
      Er seufzte. Es war ein Wunder, dass ich diesen kleinen Laut hörte. »Bitte, Covina. Sie werden nicht ohne dich essen. Ich auch nicht. Das, was ich gesagt habe, meinte ich nicht so. Ich habe es nur aus Wut gesagt. Das musst du mir glauben. Ich bin... so. Ich bin so, wenn ich wütend bin. Und im Nachhinein bereue ich diese Worte. Bitte, lass es mich erklären. Ich entschuldige mich wirklich selten.«
      Wütend schnaubte ich. »Dann lass es doch einfach und geh frühstücken.« Jetzt war diese bodenlose Leere wieder von Wut ersetzt und der Schmerz stürmte wie eine riesige Welle auf mich ein und drückte mich nieder. Ich hasste das. Ich hasste ihn dafür, dass ich nicht emotionslos bleiben konnte. Ich hasste es. »Ich gehe nicht, ehe du mich angehört hast, Covina.« Er beherrschte sich, die Fassung nicht zu verlieren. Cas war jemand, der gerne das bekam, was er wollte. Der es gewohnt war, dass alle auf ihn hörten. Doch so war ich nicht.
      So würde ich nicht sein. »Und ich sagte, dass ich dich nicht anhören will, Cas!« Mein Schrei war so laut, dass ich glaubte, mir meine Lunge aus dem Leib geschrien zu haben. Tränen brannten erneut in meinen trockenen Augen. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. »Tja, zu schade, dass du nicht abgesperrt hast«, erklang es vom anderen Ende der Tür, dann wurde sie geöffnet. Ich verfluchte mich für meine eigene Dummheit und wandte ihm weiterhin den Rücken zu, während ich auf dem Bett lag.
      Seine Schritte kamen näher. Immer näher. Meine Brust hob und senkte sich in flachen Atemzügen, Tränen brannten in meinen Augen und das Blut rauschte erneut in meinen Ohren. Als ich hörte, wie er stehenblieb und ich seinen Atem hören konnte, sprang ich aus dem Bett auf und hastete, wie ein ängstliches Reh, auf das Bad zu. Meine letzte Rettung. Es war dumm. Ich verhielt mich dumm. Das wusste ich. Doch ehe ich das Bad, meine Zuflucht, erreichen konnte, packte mich eine schwielige, große Hand am Arm und zog mich zurück.
      Mit voller Wucht knallte ich gegen eine starke Brust. Sein Geruch von Feuer, Kiefern und Rauch umhüllte mich. Im ersten Moment umhüllte mich sein Geruch so sehr, dass ich mich nicht rührte. Sein heißer Atem prallte gegen meinen Hals und hinterließ einen prickelnden Schauer auf meinem Rücken, der unter meine Haut drang und ein Flattern in meinem Bauch auslöste. Dieses Gefühl... war komisch. So hatte ich mich noch gefühlt.
      Als ich spürte, wie er seine Nase gegen mein Haar drückte und meinen Geruch einatmete, schien ich in der Realität anzukommen. Mit Tränen verschleierter Sicht löste ich mich von ihm und wirbelte wütend herum. »Fass mich nicht an!« Cas' Blick war verschleiert und dunkel. Er blinzelte. Einmal. Zweimal. Dreimal. Es war, als würde er erst jetzt wieder in der Realität ankommen. Meine Brust hob und senkte sich in flachen Atemzügen und ich hatte das Gefühl jeden Moment zu ersticken. Es war einfach... zu viel. Er war mir so nahe.
      Obwohl ich drei Schritte von ihm entfernt stand und den kalten Luftzug spürte, der durch die Fensterritze über meine Haut strich, fühlte ich mich eingeengt und spürte ein heißes Kribbeln auf meiner Haut. Seine Aura war so stark. Er strahlte Autorität, Stärke, Anmut und etwas Dominanz aus. Letzteres war schwach, aber vorhanden. Mit seiner Ausstrahlung nahm er jeden Raum ein, ohne viel zu tun. Er musste nicht einmal etwas zu mir sagen.
      »Hör mir bitte zu.« Seine Stimme war rau und von Gefühlen belegt, die ich nicht ganz einordnen konnte. Etwas, das ich nicht so ganz verstand. Lange musterte ich ihn, ohne einen Ton von mir zu geben. Ein Teil in mir wollte nicht antworten. Ein Teil in mir wollte, dass er verschwand. Noch immer brannten Tränen in meinen Augen, denen ich keinen freien Lauf ließ. »Damit du mir wieder sagen kannst, dass es besser gewesen wäre, wenn ich vor 1-«, setzte ich an, doch da landete seine große Hand bereits auf meinem Mund.
      Erschrocken starrte ich ihn an. Mein Körper versteifte sich bei dieser Berührung komplett. Ich stand stocksteif da. Wie ein Brett. Ein Teil in mir hatte Angst, dass seine andere Hand etwas tun würde, doch sie hing schlaff an seinem muskulösen Körper herab. Gestern hatte ich seine Muskeln ignoriert. Er war nicht übermäßig mit Muskeln bepackt, aber das Leinenhemd spannte an seiner Brust, so wie an seinen Oberarmen.
      Er hatte genau die richtige Menge an Muskeln. Jedenfalls in meinen Augen. »Es tut mir leid, was ich gesagt habe, Covina.« Mein Name kam zum ersten Mal sanft über seine Lippen. Ich starrte ihn nur weiterhin mit großen Augen an, während er seine Hand weiter auf meinem Mund hielt. »Ich meinte es wirklich nicht so. Bitte verzeih mir, dass ich deine Gefühle verletzt habe. Das war nicht meine Absicht. Ich wollte dir nicht so wehtun. Es fällt mir nur schwer, anderen zu trauen. Deine Güte und deine Hilfsbereitschaft und dein Sinn für Gerechtigkeit sind zu schön, um wahr zu sein. Mein Kopf sucht nach jeder Möglichkeit, dir nicht zu trauen. Bitte verzeih, dass ich ein Trampel bin... nein, ein Mistkäfer.«
      Bei meiner Beleidigung für ihn zuckten seine Mundwinkel für eine kurze Sekunde nach oben, doch der Moment war so schnell vorbei, dass es auch eine Einbildung hatte sein können. So viel stand für mich jedenfalls fest. Ja, es hatte eine Einbildung sein müssen. »Ab jetzt versuche ich, dir ein Viertel meines Vertrauens zu schenken.« Als ich die Stirn runzelte, fügte er hinzu: »Mein ganzes Vertrauen wirst du vielleicht mit der Zeit erlangen, ich weiß es nicht. Es gab lange niemanden mehr, der es nach Wren, Fero, Howlan und Nila gelungen ist, mein Vertrauen zu erlangen.«
      Als ich nur nickte, löste er seine Hand von meinem Mund, offenbar dafür bereit, dass ich sprach. »Verrätst du mir, was genau das Problem ist? Nur so kann ich daran arbeiten«, meinte ich und sah ihn an. Sein Blick verdunkelte sich und er schüttelte den Kopf. »Das kann ich nicht.« Vermutlich sah er die Enttäuschung in meinem Blick, denn er fügte hinzu: »Jedenfalls noch nicht. Ich kann die alten Wunden noch nicht aufreißen.«
      Also nickte ich wieder nur. Ich würde mit ihm sprechen, aber ob ich seine Worte so schnell vergessen würde, wusste ich nicht. Diese Worte... diese Worte zu vergessen schien mir gar unmöglich. Er hatte sie ausgesprochen. Er hatte sie gesagt. Einfach so. Natürlich glaubte ich ihm, dass er es nicht so gemeint hatte, doch das änderte nichts an der Tatsache, dass ich es hatte hören müssen, dass die Worte mein Herz durchschnitten hatten, wie ein Pfeil. Cas war mir noch immer so nahe, dass ich die Wärme seines Körpers spüren konnte.
      Sein Körper war so warm. So warm, dass seine Wärme für einen Moment die Kälte aus meinen Knochen verdrängte. Immer schneller und schneller. Seine dunklen Augen ruhten auf mir. Mit weniger Hass als sonst. Mit weniger Wut und dennoch lag Zurückhaltung in der Art, wie er vor mir stand. Da lag auch Zurückhaltung in seinem Blick. Ein Kloß bildete sich in meinem Hals. Mir wurde ganz schwummrig. Dennoch zwang ich mich zu einem Lächeln. Diese Zurückhaltung in seinem Blick zeugte davon, dass er nicht wusste, was er von mir halten sollte.
Ein Teil von ihm schien bereit zu sein, mich zu mögen, der andere Teil hegte noch immer Zweifel und war skeptisch. Ich wusste nicht, wie ich das finden sollte, geschweige denn, wie ich damit umgehen sollte. Ich war es nicht gewöhnt, wenn jemand mich so ansah. So, als hätte ich etwas verbrochen, obwohl ich Garnichts getan hatte. »Lass uns frühstücken gehen«, durchbrach Cas die Stille, wandte sich ab und lief auf meine Tür zu.
      Im ersten Moment sah ich ihm nach, dann fiel mir auf, dass meine Klamotten von gestern waren. Sie stanken zwar nicht, aber ich hatte in ihnen geschlafen. »Äh... ich sollte mich waschen und umziehen«, murmelte ich. Cas hielt in der Bewegung inne und musterte mich von oben bis unten, als hätte er erst jetzt verstanden, dass ich noch immer die Kleidung von gestern trug. Ein kleines Lächeln schien über seine Lippen zu huschen.
      »Wren hat dir weitere Klamotten in den Schrank gelegt. Beeil dich.« Damit verließ er das Zimmer, schloss die Tür hinter sich und... wartete. Eigentlich hatte ich erwartet, dass er zum Saal gehen würde. Doch das war eine nette Überraschung. Der hölzerne, dunkle Schrank war nicht zu groß, aber auch nicht zu klein. Er war perfekt. Jedenfalls sah ich das so. Der Schrank in meinem Zimmer in meinem Reich war viel zu groß und nahm mir sehr viel Platz weg, den ich für andere Dinge hätte verwenden können.
      Nachdem ich mich für eine weiter dunkle Hose entschieden hatte und ein Leinenhemd, dass diesmal ein Stück enger war und für einen breiten Gürtel und andere Unterwäsche, verließ ich mein Zimmer und lief in das Bad. Von Gestern war noch etwas Wasser übrig. Es war kalt, aber das störte mich nicht. Ich wusch mich notdürftig, bevor ich mich abtrocknete und anzog. Meine wilde blonde Haarpracht bändigte ich mit meinem Kamm, so gut es ging und flochte sie dann zu einem Zopf zusammen, den ich mit dem Lederband, dass an meiner Tasche gewaschen war, zusammenband.
      Nachdem ich damit zufrieden war, verließ ich den kleinen Raum und das Zimmer. Als ich die Tür öffnete, lehnte Cas an der Wand gegenüber und sah aus dem Fenster hinaus. Als ich im Türrahmen stand, wandte er mir den Blick zu. Der glühende Blick, der mich traf, traf mich unvorbereitet. Ich konnte die Emotion in seinen dunkle leuchteten Augen nicht deute. Jedenfalls nicht wirklich. Er starrte mich eine Weile einfach an. Einfach so. Ohne ein Wort. Nervös nestelte ich an der Schnalle des Gürtels.
      »Stimmt etwas nicht?«, hakte ich nach, in der Befürchtung, dass es mit dem Frieden zwischen uns gleich vorbei war und mich wieder anfahren würde. Doch Cas schüttelte nur den Kopf und räusperte sich. »Lass uns gehen.« Mit schnellen Schritten lief er los, als könnte er es gar nicht erwarten, von hier wegzukommen. Innerlich seufzend folgte ich ihm. Seine Schritte waren größer als meine. Cas war zwar nicht so viel größer als ich, aber seine Beine waren sehr lang. Jeder seiner Schritte strahlte Anmut und Stärke aus.
      Wenn ich ein Mensch wäre, der seinen Zorn fürchten müsste, würde ich mir vor Angst in die Hose machen. Cas' Ausstrahlung deutete daraufhin, dass er jeden niedermachen würde, der ihm oder seiner Familie etwas antun wollte. In ihm sah man den Drachen selbst in dieser Gestalt. Ich sah ihn unter seiner Haut schlummern, so gefährlich und doch so wunderschön. Cas schien stärker zu sein, als die anderen. So hatte ich es zumindest im Gefühl. Sie behandelten ihn wie den Anführer.
      Grundsätzlich musste das nicht heißen, dass er der Stärkste war, er konnte auch nur sehr schlau sein und die Führungskräfte besitzen. Ich schüttelte den Kopf. Nein, das ging mich nichts an. Wenn sie Cas als Anführer auserkoren hatten, dann war das eben so. »Ich kann deine Gedanken bis hierher hören, Covina. Was möchtest du wissen?«, sagte er und sah über die Schulter zu mir. Sein Blick immer noch dunkel. Heiße Flammen schienen über meine Haut zu zucken und hinterließen ein Kribbeln dort, wo sein Blick mich traf.
      »Ich... sie behandeln dich... wie... den Anführer«, murmelte ich, was keine Frage war und doch schien Cas zu verstehen. Er schluckte einmal. »Mein Vater war schon immer ein mächtiger Drache. Nicht jeder Drache kann fünf Jahre damit verbringen, in seiner Drachengestalt zu leben, ohne sich jemals zu verwandeln. Er schaffte es. Danach konnte er seine Flügel anbringen, ohne sich ganz in einen Drachen zu verwandeln. Oder er konnte seine Augen verwandeln, oder seine Hände in Pranken und Klauen. Dazu kam, das er schlau und gütig war. Er war nicht der offizielle Herrscher, denn damals mochten sich noch alle Drachen, doch sie hörten gerne auf ihn, ließen sich leiten. Ich habe diese Gabe... geerbt anscheinend. Ich kann Flügel herbeirufen, ohne mich zu verwandeln.«
      Zur Demonstration breitete er seine Schwingen aus. Sie waren kleiner, als in seiner Drachengestalt, doch sie waren da. Fasziniert wollte ich die Finger danach ausstrecken, hielt mich aber in letzter Sekunde davon ab. Nein, sagte ich mir, nicht anfassen. Das wäre nicht richtig. »Wir sind nur eine kleine Gruppe, doch sie vertrauten mir die „Führung" an. Weil ich stärker bin als sie und weil ich ab und an... schlau sein kann. Auch, wenn meine Worte gestern zu dir eher das Gegenteil von schlau waren.«
      Ich nickte und spürte noch immer den nachklingenden Schmerz in meiner Brust, wenn ich daran dachte. Früher da hatte es Zeiten gegeben, da hatte ich selbst daran gedacht. Die Lords hatten mich gehasst. Keiner wollte ein Mädchen auf den Thron. Der Tod wäre leichter gewesen, als ihre Verachtung zu ertragen. Damals, als ich die Krankheit überstanden hatte, hatte ich daran gedacht. Mit sieben Jahren ertrug man die bösen Blicke der Älteren kaum.
      Man tat es einfach nicht. Die Blicke gingen mir nicht mehr aus dem Kopf. Cas hatte nur verdrängte Erinnerungen wachgerufen. Denn ich wusste, dass viele Lords das gesagte hatten. Sie hatten meinem Vater geraten mich sterben zu lassen, obwohl er im ganzen Land nach Hilfe gesucht hatte. Sie hatten gesagt: „Es ist besser, wenn sie jetzt stirb, als später. Wir brauchen einen Mann auf dem Thron. Kein Weib." Als Kind steckte man das anders weg. Als Kind hatte man Angst. Als Kind hatte man böse Gedanken danach.
      Man fragte sich, ob das stimmte. Ob das wahr war. Schließlich waren sie die Älteren. Schließlich mussten sie recht haben. Irgendwie jedenfalls. »Hat das deine Frage beantwortet?«, riss Cas mich aus meinen düsteren Gedanken. Kurz angebunden nickte ich, unfähig etwas zu sagen. Ich wollte nicht mehr zugeben, dass seine Worte mich stark getroffen hatten. Ich wollte es nicht. Denn das wäre nicht richtig. Es war ja grundlegend nicht seine Schuld. Er hatte aus Wut gesprochen. Auch ich hatte schon oft aus Wut gesprochen und es bereut. Dennoch taten seine Worte noch immer weh.
      Langsam folgte ich ihm und spürte das Rebellieren in meinem Bauch, spürte die Schwere, die auf meiner Brust lastete. Sie wurde erst besser, als wir den Saal betraten und das Gelächter der anderen an mein Ohr drang. Als wir eintraten, verstummten sie, sahen aber lächelnd zu uns. Howlan wirkte erleichtert, als er mich sah und zwinkerte mir zu. Ich rollte mit den Augen und bemühte mich, diese finsteren Gedanken zu verdrängen.
      Ich lebte. Das war das Wichtigste. Ich lebte und würde es noch lange tun, auch, wenn das den alten Lords nicht passte. Vielleicht würde ich im Krieg sterben aber vielleicht auch nicht. Gott schien gnädig mit mir zu sein, denn sonst hätte ich nicht einfach so überlebt. Deswegen lächelte ich und setzte mich an den runden Tisch zu den anderen. »Du siehst aus wie eine Kriegerin. Gefällt mir«, sagte Nila zu mir und grinste. Ihre eisblauen Augen funkelten mir entgegen.
»Wie eine Kriegerin?«, hakte ich nach. Sie nickte. »Eine wild entschlossene Kriegerin.«

Dragon Heart ✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt