Kapitel 24 - Die Versöhnung

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Chris war die ganze Heimfahrt über still. 

Er zupfte nur nervös an den Loch in seiner zerrissenen Jeans herum und bemühte sich, den Blick möglichst starr von seinem Bruder abgewandt zu halten. Die erste halbe Stunde verbrachten sie beide also erstmal in angespannter Stille, tief in ihren jeweiligen Gedanken und Gefühlen verloren. Doch dann stieg die Anspannung ins unermessliche und wie immer war Andreas derjenige, der zuerst den Mund öffnete. "Hey, ich weiß ich hab Scheiße gebaut, okay?"

"Hat Steffi dir das hier eingeredet?" platzte es aus Chris heraus.

Wenn Andreas nicht direkt antwortete, nahm Chris sein Schweigen als Bestätigung. 

Er schnaubte wütend aus. "Wenn du nur gekommen bist, um dich bei mir für deinen Ausraster in der Werkstatt zu entschuldigen, kannst du mich gleich wieder aussteigen lassen. Ich bin noch nicht bereit, übers' Aufhören mit der Crew zu sprechen."

"Ach, aber Max hast du gleich Bescheid gesagt, ja?" fuhr Andreas ihn scharf an. 

Chris fuhr sich mit der Hand durch die Haare. Es war ein nervöser Tick den er hatte, wenn er sich in die Ecke gedrängt fühlte und er hatte ihn seit der Kindheit nie abgelegt. 

"Worauf hätte ich den warten sollen?!" biss er zwischen zusammengepressten Zähnen hervor. "Du hast dich doch mehr als deutlich ausgedrückt oder nicht? Max hat angerufen um zu fragen, wie es mir geht und da hab ich's ihm eben gleich gesagt!" 

"Hör mal, Chris," sagte Andreas leise und machte den Blinker an, bevor er das Auto in eine neue Ortschaft steuerte. "Ich hab wahrscheinlich überreagiert..." Es fiel ihm nicht leicht, das zuzugeben, Andreas hatte noch nie leichtfertig einen Fehler eingestanden. Schon gar nicht seinen jüngeren Geschwistern gegenüber. "Die ganzen letzten Monate, alles was passiert ist. Das ist mir einfach zu Kopf gestiegen. Und der Gedanke, dass du wieder auf der Bühne stehen wirst, zwischen der ganzen Pyrotechnik und mit der ganzen Mechanik und allem..." 

Andreas schüttelte den Kopf und schluckte. 

Aus dem Profil, konnte Chris den Adamsapfel seines Bruders herumhüpfen sehen. 

Im warmen Schein der Straßenleuchten, der durch die Windschutzscheibe ins Auto einfiel, bemerkte er das verräterische Glitzern in Andreas' Augen und plötzlich wich der ganze aufgestaute Ärger der letzten Stunden aus seinen Knochen. 

Chris ließ die Schultern sacken und lehnte seine Stirn gegen die angelaufene Fensterscheibe. 

Das kurze Schweigen, das diesmal die Luft erfüllte, war nicht so unangenehm wie noch Minuten zuvor. Diesmal war es einfach nur ein inneres 'zur Ruhe kommen'. 

Ein paar Minuten verstrichen, in denen Andreas sich sammelte. Dann räusperte er sich und versuchte es erneut. "Ich weiß du kannst auf dich selbst aufpassen. Und ich vertraue dir, auch, dass du unter normalen Umständen dein Ding durchziehst ohne dich selbst zu verletzen oder in Gefahr zu bringen. Ich weiß, das alles wär nie passiert, wenn du das Scheiß Fieber nicht gehabt hättest, Chris. Aber das heißt nicht, dass mir das Ganze einfach fallen wird." 

Er nahm tief Luft und stieß sie langsam durch die Nase aus. Jetzt kam wohl der harte Part.

"Ich hab Angst, dass mal was schief geht, ok? So richtig schief geht."

"Die Angst hast du früher nie gehabt."

"Ja und dann wärst du fast vor meinen Augen gestorben!" zischte Andreas ihn an und drückte unterbewusst ein bisschen fester aufs Gas. Der Motor des Autors heulte kurz auf als sich der Wagen beschleunigte und Andreas' Finger umklammerten das Lenkrad so fest, dass seine Knöchel jegliche Farbe verloren. 

Anders Als Man DenktWo Geschichten leben. Entdecke jetzt