ROSA
„Vergiss nicht zu atmen, Vögelchen."
***
„Pünktlichkeit kennst du nicht, oder?", frage ich ihn durch das offene Fenster seines Bonzenwagens. Guzmans markantes Gesicht hellt sich auf als er lacht und mir seine perfekten Zähne präsentiert.
Mir fällt die Fliege auf, die er trägt, dazu der schwarze Anzug – oder ist es ein Smoking? Ich habe mich Gott sei Dank schlau gemacht, wo er mich unbedingt dabeihaben will und mich dementsprechend gestylt, aber dass er gleich so dick aufträgt, hätte ich nicht gedacht.
„Der Verkehr, du kennst das ja", brummt er.
Ich ziehe eine Braue nach oben, öffne die Tür und lasse mich so gut es mit dem schwarzen Kleid geht, auf dem Beifahrersitz nieder. Dabei spüre ich seine Blicke auf mir, erwidere sie aber nicht. Trotzdem kann ich das Kribbeln auf meiner Haut nicht ignorieren, dass sich ausbreitet, sobald ich merke, dass er mich ansieht.
„Außerdem wohnst du ziemlich abgelegen. Ich dachte ich würde es nicht finden", scherzt er und lacht dabei. Der tiefe Klang bringt mich zum Erschauern, was sich mehr als angenehm anfühlt. Seltsamerweise habe ich mich fast schon daran gewöhnt, obwohl ich es so selten höre. In den letzten zwei Tagen kaum, deshalb genieße ich es umso mehr.
„Das sagt die Person, dessen bester Freund noch weiter weg von der Zivilisation entfernt", erwidere ich und schließe die Tür einen Ticken zu fest, was mir einen tadelnden Blick einbringt. Diesen erwidere ich nur mit einem verschmitzten Lächeln und nachdem ich mich angeschnallt habe, tritt er aufs Gaspedal und fährt los.
Mein Elternhaus verschwindet relativ schnell aus meinem Blickwinkel und als wir die Auffahrt hinter uns gebracht haben, atme ich erleichtert auf. Die Konfrontation mit meinem Vater war nicht ohne. Er hat mich ungewohnter Weise ziemlich gelöchert, doch dann kam der Anruf, dass einer von unseren jüngsten Mitglieder tot aufgefunden wurde.
Mein Vater sah am Boden zerstört aus, vergoss stumme Tränen und fuhr umgehend zur Familie. Ich begleitete ihn, obwohl ich mich so unglaublich schuldig gefühlt habe und es immer noch tue, dass ich weder ihm noch den Eltern von Gustavo in die Augen schauen konnte. Wäre ich aber zuhause geblieben, hätten einige Fragen gestellt und es hätte verdächtig gewirkt. Also musste ich mich zusammenreißen und die lähmenden Stunden aushalten, die mir bevorstanden.
Immer mehr Mitglieder der Estrellas versammelten sich im kleinen Haus von Gustavos Eltern, die noch zwei jüngere Söhne haben, die vor Erschöpfung auf der Couch und dem Boden eingeschlafen waren. Mein Herz zog sich bei ihrem Anblick so schmerzhaft zusammen, dass ich nach draußen gehen musste, um mich zu sammeln. Dort traf ich auf Santiago, der mich nur stumm ansah, ehe er ins Haus ging.
Keine zehn Minuten kam er wieder, setzte sich neben mich und schwieg weiter. Keine Ahnung, wie lange wir so dagesessen sind, aber wir haben zugesehen, wie die Sonne aufging und einen neuen Tag angekündigt hatte. Es war so still, sodass nur das Gezwitscher der Vögel die trügerische Idylle durchbrochen hat.
Um sieben waren wir zuhause, mein Vater fuhr gleich zur Bar und ich legte mich kurz hin, doch ich konnte nicht schlafen. Die dunklen Schatten unter meinen Augen musste ich unter einer dicken Schicht Concealer verstecken, was sich wie eine Maske anfühlt. Normalerweise trage ich so gut wie kein Make-up außer, wenn ich feiern gehe, oder zu traurigen oder schönen Anlässen muss.
Heute musste es sein, wäre Lina hier gewesen, hätte sie mir falsche Wimpern aufgedrängt, die ich selbst niemals an meine Augen heranlassen würde, aber Lina ist eben eine Fashionista, sie weiß, wie man sich für jeden Anlass schick macht. Ich habe daran gedacht sie anzurufen, ihr zu sagen, was in meinem Leben los ist, doch ich habe mich nicht getraut.
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Gangs of Sinaloa - Killing Love
ChickLitCuliacan, Mexico 2018 Die 22 jährige Rosa de la Cruz fährt zurück in ihre Heimat. Der Grund: Die Beerdigung ihres Grossvaters. Der das Oberhaupt einer der Bikergangs in Sinaloa war und dessen Tod ein grosses Loch in viele Herzen gerissen hat. So auc...