Erinnerungen

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ROSA

„Kommt Mama nicht mehr wieder?"

„Mama, Mama!", rufe ich lachend und renne auf sie zu. Ihre braunen Locken wehen im Licht des beginnenden Tages und sehen aus wie ein Heiligenschein. Ihre Augen leuchten warm und freundlich und das Lächeln, welches sich auf ihrem wunderschönen Gesicht ausbreitet, lässt sie noch mehr, wie ein Engel aussehen. 

„M'ija, Rosa!", meint sie lächelnd und schließt mich in ihre Arme. Der süß Duft nach Rosen umhüllt mich wie die Steppdecke von Abuela, die sie mir zur Geburt genäht hat. Ich kuschle mich jeden Abend darin hinein, während Mama mir vorliest und Papa mir übers Haar streichelt, während ich immer müde werde. Doch jetzt bin ich nicht müde, es ist taghell und meine Mama ist wieder da!

„Papa hat gesagt, dass du erst morgen zurückkommst", sage ich leise und schaue zu ihr auf. Noch immer lächelt sie mich an, die Sonne erhellt ihr Haar und der Rosenduft wird stärker, als sie sich zu mir nach unten begibt. 

„Ich habe dich so sehr vermisst, dass ich nicht länger bleiben konnte", erwidert sie liebevoll und streichelt mir über den Kopf. Ich lache, als sie mich kitzelt und umarme sie fester.
„Wo ist Papa überhaupt?", fragt sie und lässt mich los. Ich nehme sie an der Hand und erzähle ihr, dass er im Haus ist und kocht. 

„Oh je, dann schauen wir doch, was wir noch retten können", antwortet sie lachend und rennt mit mir über die Wiese. Doch als wir im Haus sind, ist Papa nicht da und die Wände klappen, wie bei einer Pappschachtel auseinander. 

Die Sonne blendet mich so sehr, dass ich die Augen kurz schließen muss und als ich sie wieder öffne, sind wir in der Stadt. Wir stehen vor dem Schaufenster eines Ladens mit ganz viel Spielsachen. Ich betrachte die neuste Puppe, die sogar Worte verstehen und nachsprechen kann. 

Ich will sie unbedingt haben, doch als ich Mama fragen möchte, den Kopf nach rechts umdrehe, sehe ich plötzlich vier Männer, die aus dem anderen Laden rennen und wild herum schießen. Sie halten Pistolen in ihren Händen und zielen damit auf alles und jeden in der Nähe. Die Geräusche sind viel zu laut, tun in meinen Ohren weh, sodass ich sie zuhalten will.

„Rosa!", schreit meine Mama und kommt auf mich zu. Sie rennt und sieht ängstlich aus. Immer wieder schaut sie sich um, doch dann packt sie meinen Arm und zieht mich mit sich. Ich weiß nicht, was los ist, warum wir so schnell von hier wegmüssen, die wollen doch uns nichts tun, oder? Ich will Mama fragen, doch als ein Schuss fällt und ich das Zucken durch Mamas Körper spüre, schaue ich sie an und sehe, wie sie auf die Knie fällt, sich den Bauch hält und wieder zuckt. 

„Mama! Mama!", schreie ich voller Angst. Denn nun wird ihr weißes Kleid ganz rot, es wird immer schlimmer. 

„Lauf ... Rosa ...!", röchelt sie und fällt um. Ich stehe da, weiß nicht, was ich tun soll. Doch sie sich nicht mehr bewegt, wird die Angst stärker. In mir krampft sich alles zusammen und der Schrei, der über meine Lippen dringt, ist so laut, viel lauter als die Schüsse, dass ich zusammen zucke. Ich weine, schluchze und rüttle am leblosen Körper meiner Mama. Sie ist warm, doch ihre Augen sind starr auf mich gerichtet. Etwas Rotes, warmes und klebriges breitet sich unter ihr aus und wird immer mehr.

„Mama? Steh auf!", dränge ich sie, doch sie reagiert nicht. Auf einmal erklingen Polizeisirenen und die Männer rennen weg. Einer schubst mich zu Boden, sodass ich mir das Knie aufschlage. Weinend liege ich neben meiner Mama, die sich nicht bewegt und mir nicht antwortet.
„Steh auf!", schluchze ich. 

Als die Sonne plötzlich wieder so grell wird, dass ich die Augen schließen muss, höre ich jemanden meinen Namen sagen. Also öffne ich sie wieder und sehe Papa vor mir knien. Er ist ganz in schwarz angezogen und richtet die schwarze Schleife an meinem Haar. Ich schaue an mir herunter und sehe das schwarze Kleid mit den schönen Rüschen, dass ich auch in rosa habe und immer dann anziehe, wenn jemand Hochzeit feiert.

Gangs of Sinaloa - Killing LoveWo Geschichten leben. Entdecke jetzt